Hallo Papa

Innerer Monolog zum Thema Erkenntnis

von  Cassandra

Hallo Papa,

habe lange mit mir gekämpft, Dir diese Zeilen zu schreiben. Hab mich die ganze Zeit nicht getraut…

Mein schlechtes Gewissen plagt mich. Meine Angst, dass Du nachtragend sein könntest – obwohl, das warst Du nie.

Warum habe ich Dir nie zugehört, wenn Du von Deiner harten Zeit im Krieg erzählen wolltest? Ich konnte und wollte nicht zuhören, war immer in Eile und hab teilweise innerlich geflucht, wenn Du kein Ende fandest und immer und immer wieder von den schlimmen Erlebnissen erzähltest.

Warum habe ich Dich nicht öfters in den Arm genommen, wenn Du von Mama erzählen wolltest? Wenn Du Dein schlechtes Gewissen etwas beruhigen wolltest. Du brauchtest Trost von mir und es wurde mir zuviel. Du hast ihr oft wehgetan und das konnte ich Dir nicht verzeihen.

Warum habe ich mich teilweise Deiner geschämt? Nur weil Du im Alter nicht mehr so fit warst, vergesslich wurdest, kindische Ausbrüche hattest und mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anriefst?  Du hast Nähe gesucht und ich war nicht immer bereit, sie Dir zu geben. Es wurde mir zuviel – meine Familie, die mich beanspruchte und Du, der sich beleidigt zurückzog, wenn ich nicht gleich auf der Matte stand.

Und wie oft haben wir miteinander gelacht! Wie oft hast Du uns geholfen, standest uns bei – ohne Erwartung einer Gegenleistung. Wir haben zusammengehalten, uns gegenseitig gestützt, Du hast Penner nach Hause gebracht, sie in die Wanne gesteckt, eine Mahlzeit serviert und sie dann mit ein paar Mark wieder in die „Freiheit“ entlassen. Eine Seele von Mensch – auf den ich böse war, weil er alt wurde. Weil in mir die Angst steckte, Dich irgendwann zu verlieren, so wie Mama, ganz plötzlich…

Vielleicht bist Du mir gar nicht böse, vielleicht grinst Du nur schelmisch – wie damals, als Du das Finanzamt beschissen hast, oder mit Wasser gefüllte Luftballons von Deinem Balkon hinunterwarfst. Oder als Du diesem bösartigen Hund ein Krümelchen Haschisch als Fleischfüllung serviertest. Der Hund war plötzlich friedlich und Du hast Dich fast bepisst vor Lachen. Wie haben wir Dich genannt? Richtig, der einarmige Bandit…

Oh Daddy, ich hoffe so sehr, dass Du mir nichts nachträgst und das Du mich immer noch liebst, mich, Dein Krontöchterchen…

Grüß Mama von mir und sag ihr, dass, wenn ich komme, sie doch den leckeren Sauerbraten machen soll…

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Kommentare zu diesem Text

BBA (43)
(02.04.10)
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 Cassandra meinte dazu am 03.04.10:
Danke. Hoffentlich liest er sie...

Ganz liebe Ostergrüße
Cassandra
Nihil (35)
(03.04.10)
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 Cassandra antwortete darauf am 03.04.10:
Bin auch traurig. Diesen Monat jährt sich sein Todestag zum 5.ten Mal...

Bin auch traurig, dass Du Ostern nicht hier sein kannst :(

Bussi
Mum
SueL. (32)
(03.04.10)
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 Cassandra schrieb daraufhin am 04.04.10:
Liebe Suel,

vielen lieben Dank. Es freut und ehrt mich, dass insbesondere Dir der Text gefallen hat.

Liebe Grüße
Cassandra

 princess (15.05.10)
Solche Väter sind nicht nachtragend
Sie erinnern manchmal allerdings an das,
was die Töchter nachtragen.
Sich selber...;-)
Ich finde viel innere Klarheit in Deinem Text.
Liebe Grüße, Ira

 Cassandra äußerte darauf am 17.05.10:
Es stimmt wohl, was Du schreibst - er war einfach ein absoluter Spitzendaddy und ich werde ab und zu von meinem schlechten Gewissen heimgesucht.

Vielen Dank.

Liebe Grüße
Cassandra
Jonathan-B (22) ergänzte dazu am 29.05.10:
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 Ingmar (04.09.10)
das ist jetzt ein seltsamer kommentar. ein verriss, der so beginnt: ein schöner, warmer text. auch und insbesondere, da er als folie unweigerlich hat: mindestens kafkas brief an den vater. das aber ist natürlich auch das grösste problem des textes. er ist alles in allem unreflektiert, unkritisch. eine liebeserklärung halt. und als solche vielleicht eher tagebuch-, eher brieftauglich. literarisch (whatever it means) ist er - im vergleich zu kafkas brief - verzeih, dass ich deinen text damit vergleiche - nicht eben sehr, dein brief.

 Dieter Wal (06.11.16)
"Warum habe ich Dir nie zugehört, wenn Du von Deiner harten Zeit im Krieg erzählen wolltest? Ich konnte und wollte nicht zuhören, war immer in Eile und hab teilweise innerlich geflucht, wenn Du kein Ende fandest und immer und immer wieder von den schlimmen Erlebnissen erzähltest."

So ähnlich von meinem Vater, der mit 15 "freiwillig" in den Krieg zog, mit Augendurchschuss überlebte, in sibirischer Kriegsgefangenschaft noch einmal überlebte und mit zunehmendem Alter seine Kriegsneurosen immer weniger verdrängen konnte. Auch er wiederholte seine Erzählungen scheinbar unermüdlich. Therapie, die dringend nötig gewesen wäre, erhielt er leider nie.

Ich schätze an ihm sein Engagement, körperlich gesund zu bleiben, eine umfangreiche Bibliothek über Medizin und Alternativmedizin zu pflegen, sich körperlich und geistig fit zu halten und alles dafür zu tun, alt werden zu dürfen. Er wurde 85. Wie dein Vater in deinem liebenswürdigen Portrait nahm er sich nach eher reibungslosem "Funktionieren" im NS-Staat zahlreiche Gelegenheiten, gegen den Strom zu schwimmen, ein "Freund aller Welt" zu sein, nicht mit den Wölfen zu heulen und dennoch nicht als Preis dafür völlig zu vereinsamen. Er war ein Familienmensch, dem seine Frau und das Zusammenleben mit ihr über alles ging.
(Kommentar korrigiert am 06.11.2016)
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