Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil V

Satire

von  pentz

Krachers zweiter Kracher oder der ewige Lächler

Der Kracher öffnet nun schwungvoll die Tür zur Geschäftsleitung, wobei er sich mir zudreht und mich als erstes hineinbittet, kommt hinterher, schließt mit einem gewissen beredten festen Nachdruck die Tür hinter sich und schreitet zum in der Mitte des Raumes Sitzenden hin, um ihm in etwas, na was wohl, ins Ohr zu flüstern.
Äußerst gepflegt und adrett aussehender Mann, karierte Krawatte, weißes Hemd, blaue auf Bügelfalte getrimmte Hose, nettes Keep-Smiling-Lächeln und selbst dann noch, als er von seinem Untergebenen die Ernsthaftigkeit der Situation ins Ohr geflüstert bekommt, verzieht er nicht die geringste Miene - der Oberchef schlechthin! Und er steht tatsächlich auf, um mich zweifelhaftes Subjekt zu begrüßen.
„Willi!“, stößt er aus, anscheinend überrascht. Aber er lächelt.
Tritt mir ein alter Freund entgegen, reicht mir herzlich seine Hand, schüttelt diese und kommt wenige Zentimeter mit dem Gesicht an mein Gesicht heran, eine Geste der spürbaren Intimität und Verbundenheit, um mir erneut in freundlichstem Ton meinen Vornamen zuzuraunen oder noch besser die vom Herzen kommenden Worte: „Schön, dich wieder einmal zu sehen!“ – nein, das tut er nicht!
So stark sind die Freundschaftsbande auch nicht, niemals gewesen, ganz klar.
Gleichviel, dieser Bekannte steht völlig perplex vor mir und stammelt: „Willi!“
Wie das?
Nun, er hat diesen Namen oft genug von meinen Freunden gehört, in einer Kleinstadt wird viel geredet. Trifft man sich, wird nach Michael, Bernd und Will gefragt. Von daher weht der Wind. Denn dass Michael überhaupt jemandes Freund ist oder das Gefühl für Freundschaft gegenüber jemanden empfindet, das sei dahin- und in Frage gestellt. In Michaels Welt gibt es keine enge Freundschaftsgefühle –Verbundenheits-Gefühle schon, aber nur für seine Familie und sich selbst - und wenn er weiß, was Freundschaft bedeutet, dann allenfalls als ein Indikator fürs Geschäft, sprich fürs Kalkül.
Aber ein bisschen Illusion schadet nicht. Ich antworte vom Herzen kommend mit: „Michael!“ und steigere mich der Echtheit willen dahinein, hier einen „guten alten Freund“ zu treffen, sage mir, schöne Scheiße, hier einen „Kumpel“ zu treffen. Schön, wenn es denn so wäre - doch es ist nicht so.! Aber gut, nähre die Illusion, Michael soll als mein Freund auftreten, sei es ihm gegönnt!
Ich sage weiter: „Michael! Ich fasse es nicht.“
„Du bringst mich in eine unangenehme Lage, Willi!“ Aber er lächelt.
„Ich weiß, Michael, es tut mir...“, eine Kunstpause gesetzt, „Leid..“, noch eine daraufgesetzt, „wegen dir!“
Darüber lacht Michael.
Er hört die Ironie heraus, die in diesen Worten mitschwingt.
Er hat auch sofort die Lage erfasst, in der ich stecke, er weiß, was dagegen sein heißt.
Ja, wo leben wir denn? In einer modernen Welt! Das heißt, Buchhändler sind absolut alternativ, wenngleich sie jeden Schamott verkaufen, Anti- genauso wie Pro-Bücher äußersten Ausmaßes, in einem solchen Megaladen wie hier sowieso. Modern, ja, aber das ist etwas anderes, was ich im Kopf habe. Jedenfalls drücken sie einem stets den Eindruck rein, man wäre im Recht, durchs Lesen dächte man bewusster und stünde somit über den Konformisten der Gesellschaft. Auch nur eine Illusion!
Sei es dahingestellt, wie groß auch immer die Sympathie dieses sehr erfolgreichen Buchhändlers Michael fürs Außergewöhnliche und Antitum sein mag, nun ist es ein Problem für den Verständnisvollen. Er gehört selbst mittlerweile dazu, zu den Jasagern, zum Establishment, zu den Gelackten, dem nun schwer an den Karren gefahren worden ist. Was tun?
Unterdessen, was wir nicht mitbekommen, tut Kracher etwas, was er nicht hätte tun sollen und was weder mir noch Michael gelegen kommt. Er geht zum auf Michaels spartanisch wirkenden Schreibtisch stehendem Telefon und wählt eine Kurznummer, mit der er sofort verbunden wird. An der richtigen Stelle herausgekommen, entledigt er sich seiner Aufgabe mit den denkbar kargsten Worten, die aber ihre Wirkung in der entgegengesetzten Richtung effektivst entfalten.
„Hier Verlagsbuchhandlung Fiola!“ „Ach ja! Ist es wieder einmal so weit?“ „In der Tat, Herr Polizist!“ „Ich komme sogleich!“ „Jawohl!“ Und aufgelegt.
Und wir, Michael und ich, haben nicht die Bohne davon mitgekriegt, während wir mit unserer Schaumschlägerei zugange gewesen sind.
Michael setzt sich jetzt hinter seinen Schreibtisch, wobei er zum Kracher spricht: „Ist schon gut, Bill. Ich händle das schon!“ Der Kracher, mir noch einen verächtlichen Blick zuwerfend, schleicht sich. Na, was es da zu regeln gibt, bin ich einmal gespannt – völlig ahnungslos, was bald auf mich zukommen wird.
Noch fühle ich mich sicher, geradezu entspannt, als ich mich in die angenehme Sitzgelegenheit hier im Raum plumpsen lasse und es mir bequem mache. Ich bräuchte hier keine albernen Lügengeschichte aufzutischen, nichts zu beschönigen und ich bin absolut gewillt, die Wahrheit geradeheraus zu sagen. Bei mir ist ja Michael!
„Wie gehen die Geschäfte?“, frage ich interessiert. Eine reizende Frage in dieser Lage.
Michael lächelt wieder sein gewinnendes Lächeln, das keiner so hinkriegt wie er. Es muss einfach echt sein. Aber er stöhnt. Labert von Verantwortung, wie viel auf dem Spiel stehe, durchaus glaubwürdig, ich nehme es ihm ab. Man kann es sich gut vorstellen: ein solch bedeutendes Verlagshaus übernommen zu haben, eines der größten in Deutschland. Das ging wahrscheinlich nicht ohne Kreditaufnahme, hohe Verschuldung und den ganzen betriebwirtschaftlichen Pipapo ab. Wenn’s schief ginge, na dann, aus mit Villa und großem Grundstück außerhalb der Stadt, mit Mercedes Benz XYZ und ich will es gar nicht wissen, was alles.
Michael ist ein Filou. Er kann eine ganze Stadt einwickeln, sülzen, das sich die Balken biegen, indem er vorgibt, jeden vielversprechenden Autoren dieser Stadt, es war noch in der Kleinstadt, zu fördern, groß herauszubringen und einer breiten Leserschaft zuzuführen, sofern, ja, sofern er gut wäre. Das war natürlich keiner!
Ist dieses Versprechen ein Werbe-Trick gewesen? Man sagt so etwas halt, damit verkannte Autoren Hoffnung bekämen und in die Buchhandlung rennen. Man weiß niemals recht, woran man bei Michael ist. Nett, freundlich, verbindlich und letztlich unfassbar ist er, ein Geschäftsmann wie er im Buche steht, der ewige Lächler. Nunmehr, heute befindet er sich zurecht am Zenit seines Erfolges, keinem anderen hätte es besser zugestanden als dem lieben, netten Michael aus gutem Hause, großbürgerlichen, versteht sich.
„Also, Michael. Das war so!“ Ich verklickere ihm die Umstände des Bücherklaus, natürlich vor allem das Weshalb. „Der Kracher hat mich einfach aufgeregt!“
„Wer, der Kracher? Wer ist der Kracher?“
„Na, dein Fußsoldat“, wäre mir beinahe herausgerutscht!
Aber ich sage, „Dein Bediensteter!“, was immer noch gewagt klingt. Ich berichtige mich zaghaft: „Dein Angestellter?“
Es ist Zeit, dass Michael erfährt, was ich von ihm halte, es ist eine sehr gute Gelegenheit jetzt, natürlich nur durch die Blume, wenn auch unmissverständlich.
Michael lächelt nur und nickt. „Ich verstehe!“ Ich brauche nicht mehr erwähnen, dass man ihn stets lächelnd vorstellen muss.
Natürlich versteht Michael, das habe ich nicht anders erwartet. So tief steckt er noch nicht im kapitalistischen Sumpf, dass er das nicht verstehen könnte. Ich merke, in seinem Schädel rotiert es, er rechnet sich im Geiste aus, was ihm teuerer kommt: einen Freund dem Galgen auszuliefern oder ihn laufen zu lassen? Dahinter steckt wohl der gleiche Algorithmus wie damals, als er dieses populistische Buch eines Rechtsradikalen verkaufte, wo er sich ausgerechnet hatte: du verdienst mehr durch Laufkundschaft als durch den Verlust von Stammkundschaft wie ich einer war, der sich durch solche Bücher vergällen lässt. Geschäft ist das eine, Freundschaft das andere.
Und nun zur dritten Illusion: meiner Unschuld.

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