Sommersinfonie

Erzählung zum Thema Liebe und Sehnsucht

von  FloravonBistram

Sommersinfonie

Er sah ihr einfach nur entgegen, unbeweglich an den Baum gelehnt, die Wange an ihn geschmiegt, so in der Silhouette fast eins mit dem Stamm, unkenntlich fast das Gesicht im Schatten, doch die brennenden Augen leuchteten. Hier hatte er immer auf sie gewartet, hier, wo er sie das erste Mal gesehen hatte, als er glaubte, einem Spuk zu begegnen.
Erst vier Wochen war es her, dass sich sein Leben so unglaublich verändert hatte.
Wieder einmal war er völlig genervt gewesen von der schrillen Stimme seiner Frau, die ihn beim Heimkommen von seinen wichtigen Außendiensttätigkeiten nur noch mit Ausrufen „woher so spät, warum so schweigsam, du betrügst mich, du bist immer nur müde“ und ähnlichen Ausbrüchen umringte, dass er es nun nach so vielen Jahren nicht mehr ertrug, seine Jacke schnappte und fluchtartig das Haus verließ.
Aufatmend lief er in der beginnenden Abenddämmerung zum nicht weit entfernten Wald. Tief atmend nahm er den würzigen Duft der Felder und Wiesen, die Geräusche des Waldes auf. An an einem Baum blieb er stehen und ließ den Blick über die Lichtung schweifen, die einen schmalen Spalt zum Firmament freigab. Noch konnte er die letzten Himmelsmalereien des Sonnenuntergangs bewundernd aufnehmen, bevor auch das letzte Sonnenlicht sich der hereinbrechenden Nacht beugen musste.
Er zuckte zusammen, glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er plötzlich eine zarte Gestalt im hellen Mondschein durch das Gras tanzen sah. Mit ausgebreiteten Armen, den Kopf in den Nacken gelegt, das in diesem Licht ätherisch anmutende Gesicht dem Himmel zugewandt, drehte sie sich im leichten Nachtwind, dass die langen Haare sie wie duftige Schleier umschwebten, zu einer entzückend geträllerten Melodie.
Starr vor Bewunderung, erstaunt über das heftig klopfende Herz, stand er wie verwachsen mit dem Wald, voller Angst, sich zu bewegen, um den süßen Spuk nicht zu verscheuchen oder unsanft aus einem Traum zu erwachen.
Wie Schmetterlingsflügel bewegten sich nun ihre Arme, bevor sie ganz plötzlich Anlauf nahm, um dann radschlagend die kleine Wiese einzunehmen, biegsam wie eine Gerte, leicht wie ein Vogel, dabei immer wieder ein glückliches „Hey“ ausrufend und von Zeit zu Zeit stehenbleibend, um das federleichte Gespinst von Kleid wieder zu ordnen.
Eine winzige Wolke schob sich vor den Mond und verdunkelte den Schauplatz in Sekundenbruchteilen und als sich dieser wieder erhellte, war der Spuk vorbei.
Er löste sich von dem Platz, sein Blick schweifte suchend umher, voller Schmerz und Trauer, als hätte er einen sehr schweren Verlust erlitten.
„Kleine Melyanna“, flüsterte er heiser, „wo steckst du denn?“
Der Name war ihm spontan aus Tolkiens Büchern eingefallen. Er erinnerte sich, Melyanna bedeutete Liebesgeschenk.
Sein Mund war trocken, sein Puls erhöht, er fühlte sich wie einst der Junge, der heimlich mit den Freunden bei den Mädchen in der Badeanstalt in die Umkleidekabinen geschaut hatte. Doch es wurde schlimmer, denn es bemächtigte ihn eine Unruhe, die er kaum einordnen konnte. Ihm wurde heiß in der Erinnerung an die Erscheinung, die sicher kein Traum gewesen war, denn sein Blut wallte und ein Sehnen ergriff Besitz von ihm, wie er es noch nie in seinen nun dreiundfünfzig Lebensjahren gefühlt hatte.
Immer noch am Lichtungsrand entlanggehend, die suchenden Blicke durch Gras und Bäume schickend, bewegte er sich voller Bedauern, aber auch erfüllt von einem unermesslichen Glücksgefühl, in Richtung Straße, um dann nach Hause zu gehen.
Zum ersten Mal in den 11 Ehejahren verspürte er ein schlechtes Gewissen, als er seine Frau auf dem Sofa eingeschlafen vorfand, bekleidet mit ihrer schlabberigen Jogginghose, die Haare seit ein paar Jahren kurz geschnitten. „Ist praktischer“, war ihre kurze Erklärung gewesen. Selbst jetzt im Schlaf hatte sie den ewig unzufriedenen Zug um den Mund und er hörte  fast schon wieder ihre Stimme, die ihn seit Jahren quälte.
Er hätte sich gleich scheiden lassen sollen, als sie ihn betrogen hatte, doch er hatte sich von ihren Tränen und Versprechungen überreden lassen, es noch einmal miteinander zu versuchen. Das stellte sich im Laufe der folgenden Jahre als schwerer Fehler heraus, denn wenn sie ohne ihn zu Feiern oder Feten ging, ließ sie sich gerne als einsame Frau trösten. Er konnte seinen Beruf nicht an den Nagel hängen, er war nun mal selbstständig, war sein eigener Außendienstler, immer gewesen und liebte seinen Beruf, die kleine Firma, die schon sein Vater betrieben hatte. Er liebte die alte Dame, die die Büroarbeiten schon seit über fünfzig Jahren erledigte, wie eine Mutter. Leider hatte er es aber in über dreißig Jahren Ehe nicht geschafft, seine Frau, die nie einen Beruf gelernt hatte und meinte, auch keinen zu brauchen, für  die Firma zu interessieren. Gerne hätte er sie eingearbeitet, um eine Nachfolgerin aufzubauen, wenn seine zuverlässige Angestellte nicht mehr arbeiten wollte oder konnte. Nein, seine Frau interessierte sich nur für das Geld, das er verdiente, seit sie das Kind, von dem er nicht genau wusste, ob es seins war,  verlor.
Als er vor Jahren von Scheidung sprach, drohte sie mit Selbstmord und er sprach das Thema nie mehr an.
Doch verlief sein Leben nicht eintönig, da die Fahrten durch Deutschland immer wieder Freude vermittelten, ihm Städte und Landschaften nahebrachten, er mit den Menschen, die er kannte, gute Kontakte pflegte.
Er atmete durch, nahm die Wolldecke, die vom Sofa gerutscht war, deckte seine Frau zu und ging in das Bad. Aufgestützt auf den Waschbeckenrand sah er sich im Spiegel an, verfolgte die feinen Spuren des Lebens. Er entdeckte einen Glanz in seinen Augen, den er nie vorher gesehen hatte und ein feines Lächeln umspielte die Mundwinkel, zauberte kleine Falten um die Augen und gaben dem Gesicht eine Lebhaftigkeit, die ihn selbst erstaunte.

Der folgende Tag war nur Qual, denn seine Gedanken waren trotz einer traumlos durchgeschlafenen Nacht nicht bei der Arbeit, den Telefonaten, nein, vor dem inneren Auge zog der Zauber der nächtlichen Stunde immer wieder vorbei, verlockte ihn, die Augen zu schließen, um sich Träumen und Wünschen hingeben zu können. Eine einzige Sehnsucht beherrschte ihn, dem Drang nachgeben zu können, wieder zu der Lichtung zu laufen, zu sehen, ob der Wachtraum sich wiederholen würde.

Und endlich brach der Abend an, die fiebrig heiß ersehnte Dämmerung war nah und die weinerliche Stimme seiner Frau, die wieder einmal über die Nachbarin herzog, nicht mehr wahrnehmend, missachtend, verließ er eilig das Haus, seine Füße trugen ihn an den Platz und still verharrend lauschte er, ob er leichte Füße, ein fröhliches Singen auffangen könne, doch alles blieb still, die Stille nur unterbrochen von den Lauten der beginnenden Nacht.
Da, waren das nicht ihre Schritte? Nein, ein Rehbock brach witternd aus dem Unterholz und betrat, immer wieder starr verharrend die Lichtung.
Zu anderen Zeiten hätte dies den Wartenden zutiefst berührt, liebte er doch den Wald mit all seinem Leben, ja die Natur überhaupt, aber heute war die Enttäuschung übergroß, das heißersehnte Wesen nicht sehen zu können.
Er setzte sich auf den Baumstumpf, in Gedanken die Bilder der vergangenen Nacht heraufbeschwörend, sah die Wolkenfetzen, die den immer noch vollen Mond umspielten, vertiefte sich in die Betrachtung der Sterne, von denen er so gerne mehr wissen wollte. Die Zeit hatte es nie zugelassen , sich intensiver damit zu beschäftigen, das Geschäft hatte Vorrang. Bei dem Gedanken nickte er. Ja, er hatte sein Leben diesem Geschäft verschrieben, hatte nie nach rechts und links geschaut, nur geradeaus, sorgen für sich und seine Frau, die ihn vor Jahren umgarnt und geheiratet hatte. Er fühlte sich getrieben von seinem ewigen Gefühl, seiner Pflicht auch wirklich nachzukommen, eigene Wünsche und Bedürfnisse außer Acht zu lassen. Es gehörte sich nun mal so, so war er von seinem Vater nach dem frühen Tod der Mutter erzogen worden und er hatte nie versucht, sich aufzulehnen.
Tief durchatmend nickte er und dachte: „Ich will endlich mein Leben leben!“ schreckte im gleichen Moment hoch, erstaunt darüber, dass er es wagte, auch nur an Auflehnung zu denken. Sofort merkte er, dass er es laut ausgesprochen hatte, denn eine leise Stimme antwortete: „Das will ich auch.“
Und da stand sie. Klein, zierlich, umflossen von ihren Haaren, die nur mit einem Stirnreif gehalten wurden. Sie war älter, als er vermutet hatte, kein Mädchen mehr, sondern eine reife Frau, die das Funkeln in seinen Augen genoss, seine Hand ergriff, ihn auf die Lichtung führte, um ihn dann in das Gras hinunter zu ziehen. Als er sprechen wollte, legte sie ihm mit einem liebevollen „psst“  ihre Hand auf den Mund, die sie dann aber wegzog, um Platz zu machen für ihre Lippen, die ihn völlig überwältigten. Im Wispern des Windes, dem leisen Rauschen des Waldes fanden zwei Menschen sich in einem Reigen voller Sinnesfreude, einer Begegnung der Körper, die in der Zärtlichkeit mit Gefühl den Hunger nach liebevoller Berührung und Vereinigung erkennen ließen.
Er fuhr hoch, war er doch tatsächlich etwas eingeschlafen? Hatte er geträumt, seine Wunschvorstellungen mit in das Abgleiten aus der Wirklichkeit genommen. Er setzte sich auf, fühlte eine leichte Feuchtigkeit und Kühle hochsteigen, erschauerte kurz, um festzustellen, dass er alleine und nackt im Gras gelegen hatte.  Der Haarreif neben ihm, daliegend wie ein Pfand von ihr, bezeugte, dass er alles wirklich erlebt hatte.
Während er sich langsam anzog, huschten Momente durch sein Sinnen, Momente der Lust, der Innigkeit, wie er sie eben erlebt hatte. Da fiel ihm brennend heiß ein, dass sie nicht einmal voneinander die Namen wussten, geschweige denn mehr, doch er war sich sicher, dieser Traum würde weiter gehen. Sie würden sich morgen wiedersehen, hier auf ihrer Lichtung.

Er saß in seinem Auto. Straßauf, straßab, kreuz und quer führte ihn sein unruhiges Herz durch die umliegenden Dörfer. Umherstreifende Blicke, hoffnungsvoll, das geliebte, von ihm  heißbegehrte Wesen zu erspähen, doch umsonst, keine Spur von ihr und so blieb ihm die Hoffnung auf die Nacht. Ein sorgenvolle Blick zum Himmel, der sich jedoch gleich wieder entspannte, denn der Wettergott war mit ihnen.
Oh mein Gott, wie sehr war er verliebt, nein, das traf es nicht, er liebte, er liebte, wie er es nie zuvor kennengelernt, wie er es auch nie vermisst hatte, denn was man nicht kennt, kann man wohl auch nicht vermissen. Am liebsten hätte er ganz laut gesungen, so übervoll an Glück war er.

Und nun stand er hier wieder, genau wie vor vier Wochen, er sah sie tanzen, wieder tanzen für ihn im Vollmond auf der Wiese, seine kleine Melyanna, wie er sie immer nannte, worauf sie ihn fröhlich lachend als Elu Thingol bezeichnete.
Nacht für Nacht hatten sie sich getroffen, sahen sich an, liebkosten einander, hielten sich in den Armen, doch immer, wenn er Fragen stellte, mehr über sie wissen oder von sich erzählen wollte, verschloss sie mit einem Kuss seinen Mund und schüttelte den Kopf.
Heiße Erregung schoss in ihm hoch. Er glaubte, sein Herz müsse vor Liebe zerspringen. Ein Gefühl abgrundtiefer Angst erfasste ihn, denn sie hatte gesagt:“Nur heute tanze ich noch einmal für dich“ und er konnte es nicht einordnen, wie sie es gemeint hatte. Er umklammerte den Baum, die brennenden Augen auf sie geheftet, ihre Bewegungen aufsaugend, um sie für immer festzuhalten, in sich einbrennend, um nie wieder ohne diese Bilder zu sein. Ärgerlich wischte er die Tränen ab, die ihm plötzlich in die Augen stiegen…

Dann war sie verschwunden, weg, einfach so. Er suchte, er rief, er rannte über die Wiese, den Waldrand entlang, entdeckte im feuchten Gras ihren Haarreif, an dem ein Zettel befestigt war. Er fluchte, hatte er doch nicht mal ein Feuerzeug dabei, um zu entziffern, was sie schrieb, geschrieben hatte. Doch gleich nach Erreichen der beleuchteten Straße glättete er mit bebenden Fingern das Papier.

Geliebter Elu Thingol,
ein Sommermärchen geht zu Ende und ich habe nie, niemals vorher solche Stunden erlebt. Ich nehme sie, trage sie in mir und werde dich fühlen, solange ich lebe.
Such mich nicht, du wirst mich nicht finden, behalt mich im Herzen, in das du mich in unseren Nächten eingeschlossen hast.
Wenn du auf unsere Lichtung gehst, schließ die Augen, sieh mich tanzen, nur für dich und hör in den Stimmen des Waldes, im Rauschen der Bäume, in den Geräuschen der Nacht unsere Sommersinfonie.
Melyanna ist die Gattin von Elu Thingol.

Ich bleibe auf ewig die Deine,
die, der du Leben einhauchtest


***

Flora von Bistram


Anmerkung von FloravonBistram:

Aus dem Buch > Halt die Zeit an

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (44)
(04.03.12)
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 FloravonBistram meinte dazu am 04.03.12:
umso mehr danke ich fürs Durchhalten beim Lesen und die Empfehlung. Weichheit empfinden zu können ehrt. Danke
Flo

 Songline (04.03.12)
Jetzt hatte ich mir so sehr ein happy end gewünscht. Aber wahrscheinlich ist es so ein happy end, weil der Zauber der Nacht niemals vom Alltag verzehrt wird.
Schöne Geschichte!
Liebe Grüße
Song

 FloravonBistram antwortete darauf am 04.03.12:
Das happy ending...
stellen wir es uns vor, vielleicht findet er sie ja doch oder sie kommt zurück, zu einem neuen Sommermärchen?
Genau so behält man den Zauber in sich und kein Alltag ergreift Besitz davon.
Danke Flo

 Dieter_Rotmund (04.03.12)
Meine Meinung ist: Holprige Syntax; viel zu lange Sätze, oft wegen eines Rattenschanzes aus nachgeschobenen Nebensätzen. Lesen kaum durchzuhalten.

Bitte nicht nach konkreten Stellen fragem weil es sonst keine "konstruktive Kritik" wäre. Die sog. konkreten Stellen sind überall im Text und sehr offensichtlich.

Nichts für ungut, das ist nur meine eine Meinung!

 FloravonBistram schrieb daraufhin am 04.03.12:
Und ist das nicht schön, dass Du die freie Wahl hattest, ob Du es bis zu Ende lesen möchtest oder nicht?
Flo
Caty (71) äußerte darauf am 04.03.12:
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 FloravonBistram ergänzte dazu am 04.03.12:
"Nun lass nicht den Kopf hängen, jeder hat mal angefangen, und jedem ist mal eine Geschichte schiefgegangen."

;-)
Ein wenig hochnäsig von oben herab?

(Antwort korrigiert am 04.03.2012)
(Antwort korrigiert am 04.03.2012)
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 07.03.12:
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 FloravonBistram meinte dazu am 07.03.12:
Ich denke, das Handtuch zum Reinbeißen benötigst Du.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 30.06.21:
@FB: Wie denkst Du heute darüber?

 FloravonBistram meinte dazu am 30.06.21:
Mein Großvater erzählte mir seine Geschichte 1965 und sagte: "Schreib sie auf." Ich schrieb sie in Stichpunkten auf und fertigte sie in seinem Beisein dann 1971. Er umarmte mich mit Tränen in den Augen und bedankte sich.

Genau so lasse ich sie und ehrlich gesagt ist es mir heute mit 72 Jahren egal, welche Kritik da kommt.
Es wird immer Menschen geben, die dieses gut finden und Menschen, die anderes gut finden...
So ist es in allen Dingen

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 30.06.21:
Du musst handwerkliche und inhaltliche Kritik unterscheiden.
Zur inhaltlichen Kritik sind wir hier gar nicht gekommen, weil es schon auf der handwerklichen Ebene extrem hakte.
Du musst Dich fragen: Ist Dir die Erzählung deines Großvaters wichtig?
Wichtig genug, die Geschichte handwerklich ordentlich wiederzugeben?
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