Denn wir kennen uns 1

Text

von  FloravonBistram

Die Kassiererin

Leicht gebeugt sitzt sie da, wie immer, als trüge sie die Last des häuslichen Alltags mit zu ihrer Arbeitsstelle. Wenn sie sich unbeobachtet wähnt, streicht sie sich schon mal über die Augen und seufzt oder drückt die Faust in ihren Rücken, strafft sich und runzelt die Stirn. Sie hat Sorgen, sie hat Schmerzen und doch, sobald ich zu ihr trete, meine Ware auf das Band häufe, dann lächelt sie mich an:
“Hallo, wie geht es Ihnen denn heute?“ und ich weiß, es ist keine Floskel, sie nimmt wirklich Anteil, denn wir kennen uns schon bald 20 Jahre. Damals war sie Verkäuferin in einem kleinen Tante Emma Laden bei mir um die Ecke und als die Besitzerin diesen aus Altersgründen schloss, war sie froh, gleich im nahen Supermarkt eine Stelle zu bekommen.
Wie gut wir uns doch kennen, obwohl unsere Begegnungen immer nur einen vollen Einkaufskorb lang sind.
Sie weiß, was meine Kinder und Enkel machen, dass meine Operationen gut verlaufen sind, ich kenne ihr Asthma, die Sorgen mit der frühreifen Tochter, dem körperlich behinderten Sohn und dem Sohn, der im Ausland studiert, von dem sie, ihrer Meinung nach, viel zu selten hört.
Da ihr Mann unter schwerem Rheuma leidet, überlegen sie schon lange, ob sie nach ihrer Pensionierung in den Süden umsiedeln, da es ihm dort in allen Urlauben nur gut ging. Die Ärzte haben sich dafür ausgesprochen und auch die Kinder finden diese Idee gut, doch ein ganz klein wenig Angst haben sie vor diesem Schritt, sind sie doch beide hier geboren, alle Bekannten, Freunde und Verwandten leben hier.
Wir nennen uns beim Namen und ich werde sie vermissen, wenn sie einmal aufhört, automatisch wähle ich immer die Kasse, an der sie sitzt…
denn wir kennen uns schon so lange.


©floravonbistram


Anmerkung von FloravonBistram:

Wie viele Menschen sind Teil unseres Lebens, ohne dass wir uns darüber Gedanken machen. Der tägliche Rhythmus bringt uns mit diesen Menschen zusammen, unsere Leben verlaufen parallel, wir kennen uns mit Namen oder auch nur vom Sehen und doch, was wäre, wenn sich nicht mehr unsere Wege kreuzen, wenn diese Begegnungen ausbleiben würden?
Hätten wir ein Verlustgefühl, fehlte uns etwas oder gingen wir unbeeindruckt weiter in ständig neuer Begegnung mit Menschen, bei denen sich ein Nachdenken , vielleicht sogar ein richtiges Kennenlernen lohnend wäre?
Wer weiß das schon?

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Kommentare zu diesem Text

Anne (56)
(10.10.12)
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 FloravonBistram meinte dazu am 10.10.12:
Danke Anne. Ich habe im Laufe der Jahre viele dieser kurzen Begegnungen notiert und viele sind ja regelrecht lebensbegleitend. LG Flo

 irakulani (10.10.12)
Leider werden solche Erlebnisse in unserem hektischen Alltag immer seltener. Dennoch, ab und an erlebe ich solche Begegnungen auch heute noch und finde es schön.

Ein Gespräch mit den Mitmenschen, das ist nicht Neugier sondern Anteilnahme und Interesse am Leben des Anderen!

L.G.
Ira

 FloravonBistram antwortete darauf am 10.10.12:
Liebe Ira, im miteinander reden erkennen wir mitunter auch einiges über uns, habe ich oft das Gefühl. Danke und liebe Grüße Flo

 princess (10.10.12)
Hallo Flora,

das ist ein sympathischer Text über eine sympathische Begegnung. Nur den pädagogisch wertvoll erhobenen Zeigefinger der Anmerkung finde ich doof. Ich will immer gar nicht wissen, welchen drückenden Schuh ich zu sehen habe. Ich will so was lieber selbst entdecken.

Liebe Grüße, Ira

 FloravonBistram schrieb daraufhin am 10.10.12:
Wo finde ich einen erhobenen Zeigefinger??? Ich wollte diesen weder bezwecken, noch kann ich ihn erkennen, aber mitunter ist der Schreiber, in dem Fall ich, blind. Ich schreibe nur meine Gedanken zu dem, was um mich herum vorgeht und die Anmerkung ist an sich das Vorwort zu einem ganzen Buch dieser kurzen Begegnungen, die oft Jahrzehnte in der Wiederholung stehen

Danke Dir für Deine Einschätzung. Grüße von Flo

 princess äußerte darauf am 11.10.12:
Liebe Flo, auch Leserinnen können blind sein. Ich meinte das auch keineswegs vorwurfsvoll sondern wollte dir lediglich mitteilen, welche Wirkung die Anmerkung haben kann. Nur ein Hinweis. Liebe Grüße, Ira

 FloravonBistram ergänzte dazu am 13.10.12:
Danke Dir, habe es auch nicht als Vorwurf gesehen
SigrunAl-Badri (52)
(10.10.12)
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 FloravonBistram meinte dazu am 10.10.12:
Es sollen nur kurze Blitzlichter sein, die uns allen begegnen. Ich hatte darüber vor Jahren mal ein kleines Büchlein geschrieben.
Eben nur Begegnungen, ohne Anspruch, aber eben da.
Danke Dir und Du weißt, was ich mir für Euch wünsche. Flo

 EkkehartMittelberg (10.10.12)
Ob der Text Literatur ist, weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Er ist einfach wichtig.
LG
Ekki

 FloravonBistram meinte dazu am 10.10.12:
Ach Ekki, natürlich ist das keine besondere Geschichte, sondern nur ein Krümelchen vom Kuchen Begegnungen. Ich hatte das Büchlein vor Jahren geschrieben, als ich sehr viel in der Hospiz- und Trauerbegleitung tätig war. Auch der Dienst in der Suizidprävention zeigte mir, dass Mensch nie allein ist. Er sollte nur sehen, wer immer da ist und diesem mehr Beachtung schenken. Natürlich ist das kein Anspruch, sondern ein Gefühl, dass ich für mich anwende.
Zum Glück ist hier im KV vieles noch weniger Literatur...oder?

Ganz herzliche Grüße
Flo

 princess meinte dazu am 11.10.12:
Literatur auf kv? Mhh. Ich geh mal suchen! )
Steyk (61)
(11.10.12)
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 FloravonBistram meinte dazu am 13.10.12:
Das Miteinander ist sicher auch im kleinsten Glied wichtig, sonst zerreißt die Kette
Danke Stefan. lg Flo

 TassoTuwas (12.10.12)
Eine kleine gut geschriebene Alltagsgeschichte gegen den Trend, der "Vereinsamung in der Masse". Liebe Grüße TT

 FloravonBistram meinte dazu am 13.10.12:
Danke für das Folgen und Teilen meiner Gedanken lg Flo
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