Heidrun, Weininger und Proust

Kommentar

von  toltec-head

Achterzwerg hat an mehreren Stellen auf diesen Seiten zu erkennen gegeben, dass sie einerseits die von ihr so bezeichnete "Frauenverachtung" Weiningers nicht recht ernst nehme, Proust aber andererseits schätze und nicht verstehe, wie man diesen in die Nähe von Weininger rücken können.

Heidrun, ich entnehme deinen Worten, dass Du sowohl mit den Werken von Weininger als auch von Proust, sagen wir, nur kursorisch vertraut bist.

Weininger ist ein Autor, den sich gerade auch radikale Feministinnen auf die Fahne geschrieben haben. Man muss an seinem Werk nämlich nur an einer kleinen Schraube drehen und er ist auf einmal DER große, wegweisende Autor des Feminismus.

Er verachtet die Frauen, O.K. Aber die Frage ist ja, welchen Begriff von "Frau" legt er dabei zugrunde? Untersucht man dies, zeigt sich, dass er nur die Frau als alter Eva, die sich als Opposition und Ergänzung zum alten Adam sieht, im Blick hat. Die betulich-hysterische alles bemutternde Glucke. Das Wiener fin de siècles war reich an solchen Frauentypen. Und in Ergänzung hierzu auch an homophoben Männern, die äußerlich ganz Charakterpanzer und innerlich Waschlappen waren. Diesen alten Geschlechtsdimorphismus zu überwinden ist ein Hauptanliegen auch radikaler Feministinnen. Und das Werk Weiningers ist ihnen hierbei sehr hilfreich, denn gerade auf seiner Grundlage wird es möglich, eine "neue" Frau zu denken, die diesem Dimorphismus entgeht. Nicht die Frau als "alter Eva" sondern als "Lilith", die sich nicht vampirhaft an ihren Mann festsaugt, sondern diesem in freier Eigengesetzlichkeit gegenübertritt und so sich aber auch dem Mann Raum zum freien Atmen gibt.

Proust ist für Frauen die viel schwierigere Nuß zu knacken. Anders als Weininger war Proust ja tatsächlich homosexuell. Und sein Werk ist ein homosexuelles Universum, in dem selbst "junge Frauen" ("jeunes filles"), schaut man genau hin, sich als junge Männer entpuppen. Proust ist in seiner Frauenverachtung viel radikaler als Weininger. Weininger war ein junger Mann, welcher der alles erstickenden gluckenhaften Atmosphäre des Wiener fin de siècle mit recht schematischen Kampfbegriffen entgegen trat. Die Frauenverachtung Prousts ist viel subtiler. Während Weininger nur von der Grausamkeit der Frau, die unter mütterlicher Betulichkeit kaschiert ist, sprach, schuf Proust die gänsejagende Köchin Francoise und veranschaulichte hiermit das von Weininger gemeinte sprachlich-ästhetisch in einer Weise, vor der auch radikale Feministinnen nur kapitulieren können. 

Die Möglichkeit einer "Lilith" lässt sich Prousts Werk an keiner Stelle extrahieren. Es gibt bei ihm nur eine Möglichkeit dem Geschlechtsdimorphismus zu entgehen und diese heißt Homosexualität.

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Kommentare zu diesem Text

AchterZwerg (65)
(11.11.12)
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 toltec-head meinte dazu am 11.11.12:
Leider merkt man, dass wie Deine Weininger-Lektüre so auch Dein Feminismus eher älteren Semesters ist. Namen wie Butler und Cixous scheinen unbekannt. Das ist schade. Ebenso wie das Herumhantieren mit der Moralkeule des Antisemitismus. Verständlich aber, dass Du Dich auf der Grundlage Deines "platonischen" Literaturansatzes ("Was interessiert mich die Sexualität eines Autors?") aus der Diskussion zurückziehen willst. Wie wärs stattdessen heute zum Sonntag vielleicht mal mit einem Gedicht über Schnecken und ihre den Sonnenuntergang spiegelnden Schleifspuren auf dem moosigen Grund eines Waldes? Oder einfach nur ein Gedicht über eine Blume? Zwar schwierig zu übersehen, dass die Blume das und nur das ist und vollständig zur Schau stellt: ihre Sexualität. Aber Frauen gelingt ein solches Übersehen in der Regel. Genauso wie es ihnen gelingt, Weininger abzulehnen aber gleichzeitig Proust wegen seinen "lyrischen Passagen" zu schätzen. Und es ist dieses Abstraktionsvermögen, weswegen wir sie nicht nur bewundern, sondern, weil es die Welt erst schön behaglich bewohnbar macht, lieben. Ja, die Frauen.
parkfüralteprofs (57)
(11.11.12)
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