„Der Schweizer Himmel passt nicht zu deinem Gesicht“, sagte ich. „Dieses Wetter ist zu trist für dich.“
Der Himmel war dunkelgrau, die Tropfen schlugen an die Fenster des fahrenden Zuges und glitten langsam an ihnen herunter.
„In Guatemala regnet es auch“, entgegnete sie mir. „Viel stärker als hier. Der Regen ist dort ein warmer Sturzbach, er macht alles sauber. Er ist so laut, dass er manchmal den Donner übertönt. Aber nicht die einschlagenden Blitze in die turmhohen Bäume, die zerberstenden Riesen, sie fallen langsam und andächtig, wie im Krieg. Die Blitze übertönt der Regen nicht.“
Ich lernte sie im Zug nach Bern kennen, sie sass mir gegenüber. Ich musste sie die ganze Zeit über angestarrt haben, ich kam nicht los von ihrem stillen traurigen Gesicht, das gesäumt war von ihren dunklen Haaren.
Sie sprach gebrochenes Deutsch. Oft schwieg sie lange bevor sie Antwort gab. Manchmal erkannte ich die Worte nicht, weil sie die anders betonte, doch mit der Zeit gewöhnte ich mich an ihre Art zu sprechen. Doch niemals an ihre Augen, die sie meistens abgewendet hatte, um dann mit einer solchen Intensität, dass ich erschrak, direkt in meine zu schauen.
Sie sagte, sie hiess Zenaira. Ihr Name sprach sie fliessend und elegant aus. Fast hatte ich vergessen, dass sie in einer Sprache zu Hause war.
Als erstes erzählte sie mir von ihrem Hund.
„An jeder Ecke treiben sie sich herum, herrenlos und dreckig. Abgemagert schnüffeln sie im Abfall und wedeln um die Beine der Restaurantbesucher, die nicht selten zutreten. Sie fürchten die Menschen so sehr wie sie sie brauchen, die Strassenhunde. Mein Hund war einer von ihnen, erst in einer stürmischen Nacht wurde er zu meinem Hund. Es regnete. Nicht so ein Regen wie jetzt“, sagte sie und zeigte mit ihrem Kopf aus dem Fenster. Erst jetzt sah ich den Bluterguss unter ihrem rechten Auge. „Es war ein Regen, der alles binnen Sekunden durchnässt. Ich rannte nach Hause, rannte durch die steinbepflasternden Strassen, meinen langen Rock in der Hand. Ich rannte von Lichtkegel zu Lichtkegel und dazwischen: finsternde Nacht, der Gestank von Urin und verwesenden Küchenabfällen in der Nase. Ich bog um die Ecke und eine schwarze Gestalt bäumte sich vor mir auf, ich roch den billigen Rum, ich fühlte seinen Griff an meinem Handgelenk. Ich riss mich los und rannte noch schnell, blindlings gegen den Regen, gegen die Schwärze der Nacht. Auf einer glitschigen Mangoschale fanden meine nackten Füsse keinen Halt. Ich fiel, mein Kinn knallte gegen die Steine, meine Hände und Knien schürften sich auf. Keuchend drehte ich mich um. Und da sah ich ihn, triffend vor Nässe wie ich und nach Luft schnappend, genauso verloren. Mein Hund. Plötzlich fühlte ich mich sicher. Er begleitete mich nach Hause. Er lief neben mir, ab und zu hob er die Schnauze und schaute mich an. Sonst tat er nichts.
Zuhause liess ich ihn hinein und gab ihm zu essen. Mutter schimpfte, was für einen dreckiger Köter ich heim brachte. Doch als die ängstliche vor Kälte zitternde Kreatur sah, liess sie ihn mit einem strengen Blick gewähren. Unser Dach hatte Risse, in die es hineintröpfelte, eine meiner Schwestern hatte Eimer darunter gestellt. Das Wasser brauchten wir später um uns zu waschen und das Geschirr zu spülen. Zwischen den Tropfen in der Küche am Boden machte ich meinem Hund aus Zeitungen ein Bett. Ich nahm meine zerlöcherte Matratze aus dem Nebenzimmer, wo meine Geschwister und ich schliefen und legte sie neben meinen neuen Freund. Wir kugelten uns zusammen und schliefen ein. In dieser Nacht, träumte ich vom Meer.“