Heroingeschichten oder Meines Bruders stille Zeit

Text

von  atala

Wasser tropft von meinem Haar und benetzt meine Schultern, während ich in den Händen das Foto halte. Wir sind darauf abgelichtet als wir noch klein waren. Ich stehe in einem Sonnenblumenkleid neben der Holzbank vor unserem alten Haus. Auf den schmalen Armen trage ich dich fest umklammert. Du passtest in ein Bündel. Ich lächle stolz in die Kamera und entlösse meine Zahnlücke, während meine Mutter besorgt abdrückte. Sie hatte bedenken mir dich zu geben, sie befürchtete ich könne dich nicht tragen. Wo das Foto hing, hebt sich jetzt ein heller Fleck ab. Schnell klebe ich es wieder an die Wand. Ich brauche das Foto zu sehr, als dass ich es dir geben könnte.

‪Heute ging ich dich besuchen. Mutter sagte dazu: „Gib auf dich Acht, ein Gewitter ist im Anmarsch.‬‬‬‬‬‬‬‬‬“

‪Auf dem Weg zu dir umgaben mich die Berge von allen Seiten. Stumm und gewaltig ragten sie in den hellen Himmel. Manche Hänge waren weiss als wären sie das Skelett der Erde. Am Telefon hattest du gesagt, du fühltest dich als ihr Gefangener. Ich ging nicht darauf ein, statt dessen redete von der reinen Luft und der Sicht. Und doch wirkten die steinernen Riesen wie unbewegliche Wächter, die sich mir emporstellten, als ich zu dir fuhr.‬‬‬‬‬‬‬‬

Im Haus roch es nach Desinfektionsmittel und meine Sohlen rieben sich am Laminat. Ich habe an die Tür deines Zimmers geklopft. Du sahst geschafft aus, müde. Du hast mich umarmt und ich wollte dich küssen. Ich traf deine Wange nicht und du drücktest nur eine Schulter. Nichts in deinem Zimmer gibt einen Hinweis auf den Bewohner, die Augen schmerzen von den weissen Wänden. Als wir sprachen, hallte es nach, wir hörten unseren Worten erschrocken zu. ‬‬‬‬

Als wir nach draussen gehen wollten, sagte die weiss bekleidete Frau wann du zurück sein musst. Sie lächelte doch ihr Blick war prüfend. Beim verlassen des stillen Hauses umfängt uns der schwere Duft der Blüten und die Schwüle des Tages. Wir laufen auf den Wiesen des Tals mit dem verblühten Löwenzahn und den Kirschbäumen. Es ist ein schmaler Weg, wir können nicht nebeneinander gehen. Ich gehe vor und schaue verstollen zu dir zurück. Du läufst als würdest du die Welt um dich nicht sehen.

‪Das Wetter wendet sich. Wir hören das Pfeifen des Windes zwischen den Ästen der Bäume, die auf dem Felsen stehen. Die belaubten Riesen ächzen und stöhnen unter den luftigen Wogen. Vögel fliegen von ihnen auf und fliegen gegen die grauen Wolken. Vielleicht sollten wir uns auf den Rückweg machen, sage ich mit einem ernsten Blick zum Himmel.

‪Während wir zurück gingen und der Himmel sich verfinsterte, dachte ich an den einen Abend, kurz bevor du ins weisse Haus gekommen bist. Du kamst viel zu spät, Mutter dachte, du würdest nicht mehr auftauchen, so wie du es oft tust, trotz Versprechen nicht erscheinen, meist ohne Entschuldigung. Dann kamst du doch. Du sprachst viel und laut und deine Augen waren glasig und irr und erinnerten mich an die Augen der ausgestopften Tiere.

‪Ich weiss nicht, was ich dir zum Abschied sagen soll. Unsere Umarmung will auch diesmal nicht gelingen. Ich halte dich etwas zu fest um das auszugleichen, lasse ich dich gleich wieder los. Damit es nicht so still ist, sage ich, vielleicht bringe ich dir das nächste Mal das Foto mit. Ich lasse dich in deinem Zimmer zurück und gehe die lange Treppe hinunter. Die Frau am Eingang telefoniert und ich senke den Kopf. Beim Verlassen des Gebäudes höre ich den Donner über meinen Kopf rollen. Der Himmel über mir hat die Farbe von schwarzer Tinte in einem Wasserbad. Gerade als ich mein Auto erreiche, ergiesst sich ein schwerer Regen über die sommerliche Landschaft.‬‬‬‬‬‬‬‬‬

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Kommentare zu diesem Text


 Songline (15.06.13)
Dieser Text hat eine schöne Stimmung.
Gern gelesen,
Song

 atala meinte dazu am 18.06.13:
Danke Song

 atala antwortete darauf am 29.06.13:
Obwohl ja das Thema nicht so schön ist..
Graeculus (69)
(27.06.13)
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Lyrenbold (53)
(01.08.13)
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Festil (59)
(10.05.16)
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Mondscheinsonate (40)
(04.06.16)
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