An manchen Tagen bin ich einfach etwas stiller als sonst

Text zum Thema Leben

von  larala

An manchen Tagen bin ich einfach etwas stiller als sonst.
Heute ist so ein Tag, ich betrachte mein blasses Gesicht im Spiegel, streiche mir die dunklen Haare aus der Stirn, die mit ein paar Bürstenstrichen zufrieden sind, schnell fertig, keine Schminke, draußen ist es noch ganz düster, wieder ein Sommer vorbei und trotzdem werde ich mit dem Fahrrad fahren, weil das Auto endlich verkauft ist, letzte Woche, ich brauche es nicht, es ist alt- wie ich, hätte ich jetzt fast gedacht, schiebe den Gedanken gerade noch zur Seite, wo er liegen bleibt, für später, noch ein kurzer Blick zurück, bevor ich die Tür hinter mir zuziehe, ohne dass jemand „Tschüß!“ sagt oder „Einen schönen Tag, Schatz!“, weil der, der das sagen könnte, ein paar tausend Kilometer weit weg ist - ich denke an die letzten Wochen, in denen wir unsere Tage zusammen verbracht haben, manchmal sind es auch Monate, ehe ihn sein Ingenieursjob wieder verbannt, auf die Bohrinsel, aber nun schnell los, ich möchte pünktlich sein, weil ich das auch von meinen Mitarbeitern erwarte und weil ich mir keine Schwächen leisten kann, in meiner Position, an der ich nicht hänge, aber gut bin ich trotzdem, oft macht es sogar Freude, so wie es eine Menge Dinge gibt, die ich gern tue, Musik hören zum Beispiel und tanzen- ein Mal die Woche Ballett, albern vielleicht in meinem Alter- ach, da ist er ja schon wieder, der zur Seite geschobene Gedanke- aber irgendwie muss man ja auch seine Abende ausfüllen, ja, ausfüllen ist das richtige Wort, etwas Leeres, in das man etwas füllt, besser als ausfühlen, fremd fühle ich mich, wenn ich in dieser Wohnung bin, wie nur zu Gast, manchmal sitze ich vorsichtig im Korbsessel oder auf dem Sofa, jederzeit bereit aufzustehen, ich beseitige den Schmutz und gieße die wenigen Blumen, ich schlafe hier und dusche, weil man ja irgendwo bleiben muss, nach der Arbeit, es ist ein notwendiger Ort, es ist wichtig, hierher zurückzukehren, jeden Tag, um Koordinaten zu haben, die Wände sind leer, nur hinter der Wohnzimmertür hängen Fotos von meinem Neffen, der gerade ein Jahr geworden ist und eifersüchtig bewacht wird, von der Schwägerin, die nur das Nötigste mit mir redet, weil ich ein Eindringling bin, in ihrer Familie- eine Freundin von mir hat beschlossen, dass sie mit 40 nicht mehr warten wird und bangen, sie hat das beendet, mit drei Tagen Krankenhaus, aber ich kann das nicht, wie soll ich das können, weiterleben, ohne Hoffnung, anstatt fast ohne, ich versuche täglich, mir das Leben, das ich hier vorfinde, passend zu machen, manchmal glaube ich, dass mir das gelingt, das sind dann die guten Tage, an denen lache ich, ich habe Freunde, die mich anrufen, ihre Dinge mit mir bereden, wobei meine Ohren das hin und wieder boykottieren, nach einem langen Arbeitstag und meine Mutter ist da, mit der ich mich gut verstehe und die Brüder, die ich im Notfall immer anrufen kann, egal ob es den Schwägerinnen gefällt, aber Notfälle gibt es selten, zum Glück, vielleicht ist aber auch das Ganze hier ein einziger Notfall, an manchen Tagen bin ich dann einfach etwas stiller als sonst.

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Kommentare zu diesem Text


 Songline (24.08.13)
Sehr gut, dieser volle Gedankengang, der doch von nichts als Leere erzählt.
Liebe Grüße
Song

 Lluviagata (24.08.13)
Es gibt sie, diese Tage, an denen einem der Ort, den viele Heimat/Zuhause nennen, gleichgültig ist, weil er einen genauso gleichgültig anschaut. Da brauchts nur einen einzigen Menschen, der das alles wieder zum Leben erweckt. Und plötzlich sieht man sie wieder, die alte kleine Vase von Großmutter oder dass die Fenster schmutzig sind. Aber wehe dem, er hat ihn nicht oder nicht mehr.

Ein Thema, liebe larala, das aktueller ist denn je.
Sehr gut.

Liebe Grüße
Llu ♥

 Kontrastspiegelung (25.08.13)
Ein Text wie aus dem Leben gegriffen. Finde ich jedenfalls. Die Stille, die Momente, die gefuellte Gedanken in der Leere. Es fehlen nur noch ein paar Probleme(mehr), dann ist es perfekt :-P
Wobei das in der Realitaet nicht sein muss.

Mir gefaellt der Text mit dem (un)ausgesprochenen Gedankenkreislauf.

LG, Konti

 susidie (28.08.13)
Dieser Text berührt sehr in seiner vielsagenden Klarheit. Wie zu Gast im eigenen Leben, sich vorsichtig darin bewegend. Ja, bewegt hat er mich wirklich sehr, spricht er doch von einer tiefen Einsamkeit umgeben von "Normalität". Liebe Grüße von Su )
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