Eine Nacht im Kiez

Erzählung zum Thema Rassismus

von  modernwoman

Illustration zum Text
Bitter-Diplomat
(von modernwoman)
Das waren die Siebziger - kurze Tage und lange Nächte. Irgendwo in Moabit musste was los sein, denn von der Dienststelle Kruppstrasse waren ne Menge Wagen Richtung Beussel unterwegs. Hier krachte es öfter mal. Im Humpen Turm- Ecke Waldstrasse war auch immer was los. An Wochenenden fanden sich hier abends mindestens 1000 Jahre Knast ein. Er schüttelte kurz seinen Kopf, setzte rechts den Blinker und fuhr mit seinem Bitter Diplomat halb auf den Bürgersteig, um ihn dort zu parken.

Vor ihm war eine Eckkneipe, die vorwiegend von Luden frequentiert wurde. Gerade eben ging die Tür auf, Licht und ein miefiger Dunst breitete sich draussen aus und eine Gestalt torkelte die zwei Stufen bis zum Bürgersteig runter, zog geräuschvoll die Nase hoch und rotzte seine Aule auf die Strasse zu seinen Füssen. Unverständliches vor sich hinbrabbelnd torkelte er zum U-Bahneingang Birkenstrasse, um dort schliesslich unter Gepolter zu verschwinden.

Ein letzter Zug aus der Kippe, dann schnipste er das Teil durchs geöffnete Fenster, ehe er den elektrischen Fensterheber betätigte. Scheiss auf die Umwelt. Langsam stieg er aus und zertrat die noch glimmenden Reste der Zigarette. Er holte tief Luft, rekelte sich einmal und stieg die Treppen zur Kneipe hoch, deren Tür zwischenzeitlich wieder geschlossen war. Als er die Tür öffnete, empfing ihn lautes Stimmengewirr und der Dunst von etwa hundert ungeleerten Aschenbechern. Sein Auftreten sorgte dafür, dass kurzfristig Stille eintrat und eine Menge Augen ihn abschätzend musterten. Er grinste breit in die Runde, ging zum Tresen und drängte sich zwischen zwei Typen auf den letzten noch freien Hocker.

Auf der rechten Seite neben ihm sass ein typischer Lude - fette Ringe an den Klauen, ebenso fette Ketten um den Hals und eine Fresse wie ein Feuermelder. Der Typ musterte ihn von oben bis unten und wandte sich schliesslich wieder seinem Gesprächspartner zu. Auf der linken Seite war ein untersetzter, kräftig gebauter Mann damit beschäftigt, sein Bier zu leeren. Ganz offensichtlich war er türkischer Abstammung. Als der Mann sein Glas abgesetzt hatte und sich mit dem Handrücken über den Mund wischte, drehte er sich kurz zum Neuankömmling und lächelte ihn freundlich an. Der lächelte zurück und streckte ihm die Hand zum Gruss hin, die der ergriff und ähnlich einem Pumpenschwengel auf und ab bewegte. Beide lachten und waren schnell in ein Gespräch vertieft. Er hatte recht gehabt mit seiner Vermutung, der Mann war tatsächlich Türke, wohnte nur zwei Strassen weiter und gehörte zum Kader eines Ringervereins.

Nach einer ganzen Weile, in der sich die Beiden angeregt über Land und Leute in der Türkei unterhielten, erhielt er einen Stups von rechts. Er drehte seinen Oberkörper so weit, dass er den Anstupser sehen konnte. "Was isn", tropfte es von seinen Lippen. Der Feuermeldertyp machte ihm nun wortreich klar, dass in dieser Kneipe kein Deutscher mit einem Ausländer sprechen könne. Wer sich nicht daran halte, müsse mit schmerzhaften Konsequenzen rechnen.

Geduldig hatte er sich das Geseiher dieses unangenehmen Zeitgenossen angehört. Als dieser eine kurze Atempause machte, streckte er dem lächelnd die Hand hin und meinte, er sei noch nicht so richtig mit den Sitten und Bräuchen hier vertraut. Es tue ihm leid, wenn er hier gegen irgendwas verstossen haben solle. Der Lude schaute ihm ins Gesicht, welches ihn immer noch lächelnd anblickte und ergriff die Hand.

Das hätte er lieber nicht tun sollen. Immer noch lächelnd hielt der Andere seine Hand und drückte so lange zu, bis der Lude sein Gesicht schmerzhaft verzog. Ehe der was sagen konnte, kam die andere Hand herangeschossen, verkrallte sich in seinem Haarschopf und schlug mit voller Wucht sein Gesicht über die Tresenkante. Der Lude schrie auf und versuchte sich zu befreien, kam aber weder aus dem Schraubstockgriff, noch bekam er seinen Kopf frei. Sein Kontrahent schlug sein Gesicht noch zweimal über die Tresenkante, die bereits voller Blut war. Dann liess er den Typen los, der wimmernd auf seinem Hocker zusammenbrach.

"Mir sagt niemand, mit wem ich reden darf", sagte er und lächelte auf den Wimmernden herab. Dann warf er dem Barkeeper ein Pfund zu und meinte, das sei fürs Saubermachen. Langsam trank er sein Glas aus, bezahlte seine Rechnung, verabschiedete sich von dem türkischen Ringer und ging Richtung Tür. Am Treseneck neben der Tür standen zwei Luden, die ostentativ ihre Ringe abzogen und in die Tasche steckten. Dabei sahen sie ihn grimmig an und machten den Eindruck, sie würden ihn gleich angreifen. Er sah die Beiden an, schüttelte den Kopf und meinte, sie sollten sich das lieber noch einmal überlegen. Dabei lächelte er immer noch, aber seine Augen bekamen nun einen eiskalten Glanz und sein Lächeln erinnerte eher an das Zähnefletschen eines Wolfes. Mitten im Raum stehend, schob er mit seinem Daumen die rechte Jackenseite so weit zurück, dass man ein Schulterhalfter mit einer darin steckenden Pistole sehen konnte.

So schnell wie die Ringe von den Fingern waren, waren sie plötzlich wieder drauf. Die Haltung der Beiden veränderte sich, womit sie signalisieren wollten, dass sie nichts mehr unternehmen würden. Er grinste sie breit an, ging zur Tür, öffnete sie und drehte sich im Türrahmen noch einmal um; "Seid brav, dann passiert euch nichts, ihr Pisser." Mit einem lauten Knall schlug die Tür hinter ihm zu.

Die zwei Stufen sprang er leichtfüssig hinab, ging zum Wagen, setzte sich hinein, eine Fluppe zwischen die Lippen klemmend und dabei gleichzeitig das Radio einschaltend, in dem jetzt gerade eine Mucke von CCR lief. Der Achtzylinder sprang sofort an und fast geräuschlos setzte sich der Wagen in Bewegung, hinein in die Nacht nach Irgendwo.

Cornelia Warnke

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Kommentare zu diesem Text

Steyk (61)
(02.11.13)
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 modernwoman meinte dazu am 02.11.13:
lieber stefan, schön dich bei meinem text zu sehen. danke für die beiden sternchen. was meine geschichten/erzählungen angeht, die ich neu veröffentliche - es ist nun so viel zeit vergangen, da habe ich mich entschlossen, einige begebenheiten aus meinem leben zu erzählen ;) die ludenbar gibt es übrigens nicht mehr. da ist jetzt ein piekfeines cafe drin. ich hatte ein stück weiter umme ecke mein büro.
Tom Schultz (41)
(23.11.13)
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