Verbrannte Heimat

Erzählung zum Thema Heimat

von  pentz

Heimatvertriebene vom Lande mitgenommen. Wir schreiben tatsächlich das Jahr 2014 und es soll so heißen, was am Anfang steht, nicht etwa: Heimatverbundene.
Ich stand am Bahnhof, war überwältigt vom Frühling, von Was-Auch-Immer.
Ich hatte einen großzügigen Tag, mein Herz war so geöffnet und geweitet, dass ich eine junges Mädchen fragte, ob sie nicht umsonst dorthin fahren wolle, wohin auch ich fuhr.
„Mutti hat mich gut versorgt mit Kuchen“, wobei sie die prall-gefüllten Päckchen, die aus ihrer Tasche herausquollen, sorgfältig und behutsam wieder hineinschob und – schichtete und weiter meinte: „Ich bin gut versorgt worden von Mutti während meines Heimataufenthaltes (klingt wie wenn sie Heimaturlaub von der Front gehabt hätte) oder meines Wochenendes in der Heimat (das eher, moderner).
Die nächste Großstadt sei ihr „genug weit weg.“
Dann kam der Zug.
Sie schlief zunächst sofort ein.
Nur langsam fuhr der Zug an. Er ruckelte dabei.
Schließlich wachte sie auf.
„Merken Sie es nicht, wie Sie Ihre Stadt einschläfert?“
Das hieß: Sind Sie müde von Ihrer Heimatstadt-Aufenthalt am WE oder vielleicht auch: Sie sind ihrer Heimatstadt ermüdet und überdrüssig, alles zusammen würde es so auf den Punkt bringen: Ihre Heimatstadt ermüdet Sie. Suchen sie sich etwas anderes: Orts-, Tapeten-, Menschenwechsel, birgt Wunder in sich, glaubt man schier nicht – sagte ich aber nicht, nicht andeutungsweise. Mich reute das Gewissen stattdessen, ich hatte keine Recht, die Idylle zu stören.
„Aber kann ich verstehen. Da war keiner am Marktplatz vorhin. Wie ausgestorben. Wie viel Einwohner hat denn Ihre Heimatstadt überhaupt?“
„Ach, es war Thermenfest. Deswegen wohl!“
„Aber die Therme? Die aus der Römerzeit. – Was, wirklich? Sprudeln die Therme heute noch oder wieder?“
Na, war ein Witz! Klar, was bleibt den Leuten übrig, dort, wo der Hund begraben liegt, sucht man sich die allerabwegigsten Wege zur Zerstreuung.
„Das nicht, aber...“
„So wie in Budapest vielleicht! Übrigens eine Stadt, wo es noch lebendige Therme gibt!“
„Weiß ich!“, sagte sie, verzog die Winkel um die Lippen als hätte sie in einem besonders sauren Apfel gebissen.
Schnell unterbrach ich mich wieder, will nicht allzu unhöflich sein, wie sehr es mir auch gegen den Strich geht. Dabei bin ich selbst so einer von hier. Nur fehlt mir das, was die anderen hier so festkleben lässt.
Konziliant also: „Na, sehen Sie, wie meine Geburtsstadt, die ist schon Vorstadt von der Metropole (alles verschlingende Krake). Ihre wird wohl auch bald Vorstadt von dieser werden.“ Man muss wissen, jene war näher am Schwarzen Loch angesiedelt als ihre.
Das war eigentlich wieder daneben, wenn man es von einem anderen Standpunkt aus betrachtete. Es war nicht mein Tag.
„Also, ich wollte sagen, bald wächst Fremde und Heimat zusammen und dann fühlen Sie sich nicht mehr so zerrissen...“
Aber Heimat ist Heimat und Fremde ist Fremde und Schnaps ist Schnaps und Dienst ist... wie all diese Sprüche auch heißen mögen.
„Das glaube ich kaum... nicht.... weniger. Mein Vater fährt schon seit 35 Jahren jeden Tag mit dem Zug dorthin und zurück.“
„Sehen Sie! Wie eine Vorstadt eben.“
„Kann man vielleicht sagen“, kam es müde, vermengt mit Enttäuschung, Genervtsein von mir, dem Desillusionisten vom Dienst.
Ich befahl mir: Werner jetzt hälst Du aber wirklich die Klappe. Daran hielt ich mich bis zum Ende der Fahrt.
„Auf Wiedersehen!“
Immerhin Antwort – boah!
Die Finger hatte ich mir verbrannt.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(17.07.14)
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