Frühjahr 1944 Bukowina

Erzählung zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

Frühjahr 1944, Bukowina
- zwischen Marcaudi und Raiculesti


Mein Großvater hieß Jakob Thalhammer. Er war ein Hallertauer Hopfenbauer. Mit seinen Söhnen bewirtschaftete er 7 Tagwerk Land; zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig; aber genug um ehrenhaft zu leben.

Jakob Thalhammer war schon mit 40 Jahren schwer krank. Sein Herz war kaputt. Während seines des Reichsarbeitsdienstes in Leipheim haben die Ärzte sein chronisches Rheuma kuriert. Die Arznei, die sie an ihm ausprobierten, ließ die Gelenksentzündungen sehr schnell abheilen. Er war froh darum. Die Schmerzen waren fort, aber die Herzklappen waren für immer ruiniert.
Genauso wie seine Hoffnung auf eine gute Zukunft.
Das Jahr 1939 zerstörte vieles, nicht nur die Herzklappen meines Großvaters.
Der Krieg brach aus und ließ auch die kleine, heile Welt der Hallertau jeden Tag mehr und mehr in sich zusammen stürzen.

Trotzdem gab Jakob nicht auf. Jeden Sonntag, wenn er mit seiner Familie nach Reichertshausen zur Kirche ging, trug er einen großen, schwarzen Hut auf dem Kopf. Er trug den Kopf immer erhoben.
Besonders ab 1939.

So erzählte es mir meine Mutter.

Meine Großeltern lebten einfach und bescheiden:
Neben dem windschiefen Wohngebäude, in dem Jakob, seine Frau Therese, die einfältige Magd Kreszenz, die 5 Buben und 4 Mädchen wohnten, war der Schweinestall.

Jakob Thalhammer musste würgen.
Aus dem Schweinestall stank es furchtbar.
Es stank nicht nach Jauche, nicht nach Kot. Es roch nach Gedärmen, nach Verwesung. Was für eine Plage, dachte er sich. Vielleicht hatten die Säue ein krankes Ferkel zerbissen oder ein verirrtes Huhn erwischt; - er würde sich später darum kümmern, - nach dem Vesperbrot.

Er schulterte die Mistgabel und ging hinaus zum Ortsrand. Eine Grube graben, in der er den Unflat verscharren konnte.
Hinter dem Gemüsegarten führte ein steiniger Feldweg Hügel abwärts zum Hopfengarten. Schwere Gedanken lasteten auf ihm. Mein Großvater ging langsam, er ging gebeugt, als ob er eine unmenschlich schwere Last zu tragen hätte.
So ein bestialischer Gestank!
Kein gutes Omen für einen Aprilabend.

Im Hopfengarten weideten Krähen die aufgelockerte, schwarzbraune Erde aus. Würmer und Käfer, Larven und tote Wühlmäuse wurden aufgepickt, zerrissen und verschlungen. Der Boden dampfte in der Abendsonne.

Der Mond war gerade aufgegangen; - der Aprilmond von 1944 war ein böser Mond. Er schien auf viele Heldengräber. Er hüllte sich in eine schmutzige Mönchskutte.
Schwarze Wolken drohten mit Gewitter.

Noch fern, über den Hügel von Pfettrach kam ein Mann in Uniform.
Ein Mann mit Soldatenstiefeln; - er kam drohend näher.
Es war der Dorfgendarm Hornburger aus Mösbuch.
Um seine Schultern hing ein Riemen mit einer Ledertasche.
Eine Tasche für Briefe.
Briefe in weißen Kuverts.
Briefe mit dem Reichsadler und einem schwarzen Rand.

Jakob Thalhammer erschrak. Er biss sich auf die Lippen, bis sie bluten.
Der Würgeengel kam.
Hoffentlich ging er an seinem Hoftor vorbei.
Es sollten doch die anderen sterben!
Nicht seine Söhne, nicht die armen Buben!
Jakob war ein gläubiger Mann, gläubig aber nicht fromm.

Sieben Höfe gab es in Willertshausen.
Sieben Familien und 14 Söhne an der Front.
Jakob sprach ein Stoßgebet!
„Heilige Maria, Mutter Gottes“
„Lass ihn an uns vorbeigehen.
Nicht unser Peter, nicht mein Jakob.“

Mein Großvater lief zum Haus zurück. Die Mistgabel ließ er achtlos liegen. Die Sonne versank glutrot hinter der kleinen, buckeligen Welt der Hallertau.

Der Gendarm Hornburger machte am Strauberhof halt.
Mein Großvater atmete auf.
„Noch einmal gut gegangen.“
„Danke, guter Gott!
Danke für die Galgenfrist.“

Da klopfte der Offizier dem Strauber Schorsch auf die Schultern, steckte sich eine Selbstgedrehte hinters Ohr und ging weiter. Er hielt den Kopf gesenkt, als er meinen Großvater kommen sah.

Mit zitteriger Stimme rief er ihn an:
Jakob, geh schon mal in die gute Stube, ich komme gleich nach!

Fünf Minuten später blickten sich die zwei Männer in die Augen.
Dann war Jakob Thalhammer ein gebrochener Mann.

Mein Großvater saß auf der Eckbank, - hinter ihm war der Herrgottswinkel mit dem Kruzifix. Kerzenlicht flackerte und warf einen zitterigen Schatten an die raue Wand.
Alle, die im Haus wohnten, waren zusammengelaufen. Weil Unheil drohte, mussten sie doch alle zusammenstehen!

Der junge Gendarm aus dem Nachbardorf ließ das Messingschloss seiner Ledermappe aufschnappen und fischte ein Kuvert heraus.

Stumm, ohne ein Wort zu sagen schob er dem Thalhammer den Brief hinüber.

Die Mutter stand am Herd. Sie bewegte sich nicht. Sie war erstarrt.
Wie eine Salzsäule stand sie da.
Das Knödelwasser brodelte und spritzte auf die glühende Herdplatte, wo es zischend verdampfte.
Sie schwieg und presste die Lippen zusammen.

In die unheilvolle Stille hinein kreischte ein spitzer Schrei.
Kreszenz die Magd, begriff trotz ihrer Einfalt, dass der Tod in die Bauernstube gekommen war. Der Sensenmann schnitt in diesen Jahren nur junge Leben ab; das wusste sie.
Heulend und schluchzend presste sie sich den Schürzenzipfel vor ihr rundes Gesicht.

Den Mädchen, die sich barfuss auf die Knie geworfen hatten um einen Rosenkranz zu beten, liefen hemmungslos die Tränen über die Wangen.
Die drei Buben, die noch zu klein waren für „Führer, Volk und Vaterland“; - sie standen bei ihrer Mutter. Ihre Augen waren groß, aber sie waren schwarzumrandet und leer.

Dann öffnete mein Großvater den Brief. Es wurde ganz still im Haus. Auch die Mädchen hatten aufgehört die Heilige Maria anzuflehen.

Nur das verlegene Schlucken und Räuspern des Dorfpolizisten war noch zu hören. Er selbst kannte die Worte in und auswendig; - aber das machte es für ihn umso schlimmer:

Laut las mein Großvater den Brief vor:

Einsatzort, den 11.04. 1944

Sehr geehrter Herr Thalhammer,

Ich habe die schmerzliche Pflicht, Ihnen mitzuteilen, daß iIr lieber Sohn Jakob, welcher erst am 14.03.1944 zur Kompanie kam, am 8.4.1944 in der Nähe der Ortschaft Markaudi am Dnjestr in Rumänien im Kampf um die Freiheit Großdeutschlands in soldatischer Pflichterfüllung, getreu seinem Fahneneid für Führer, Volk und Vaterland gefallen ist.

Zugleich im Namen seiner Kameraden spreche ich Ihnen meine wärmste Anteilnahme aus. Die Kompanie wird Ihrem Sohne, unserem guten Kameraden Jakob, stets ein ehrendes Andenken bewahren und in ihm ein Vorbild sehen.
Er fiel bei einem Angriff durch Kopfschuß und war sofort tot. Gestern haben wir ihn zusammen mit seinem Kompanieführer und anderen Kameraden auf dem Heldenfriedhof der 10. Panzer – Grenadier Division in Rauculesti mit militärischen Ehren zur letzen Ruhe gebettet. Möge Ihnen die Gewissheit, dass Ihr Sohn sein Leben für die Größe und Zukunft unseres ewigen Deutschen Volkes hingab, Kraft geben und Ihnen ein Trost sein in dem schweren Leid, das Sie betroffen hat.

Ich bitte Sie, zu verzeihen, dass ich Sie nicht handschriftlich von dem Heldentode Ihres Sohnes in Kenntnis setzen kann. Es ist mir infolge der harten und andauernden Kämpfe nicht möglich.

In aufrichtigem Mitgefühl grüße ich Sie mit
Heil Hitler!
Gerhard Meurice
Lt. u. Kp.Führer


Am nächsten Morgen, als mein Großvater aufgestanden war um das Vieh zu füttern, waren seine Haare nicht mehr schwarz. Er war über Nacht ergraut. Er war nun ein alter, gebrochener Mann.




***
Ein paar Anmerkungen zum Verständnis

***

P.S. Der Brief, den der Dorfgendarm meinem Großvater überbracht hat, habe ich im Original zu Hause. Manchmal lese ich ihn meinen Söhnen vor, dann muss auch ich weinen!

P.P.S. Die Entschuldigungsformel: Ich bitte Sie, zu verzeihen, dass ich Sie nicht handschriftlich vom Heldentode Ihres Sohnes in Kenntnis setzen kann…
heißt nichts anderes als: Ich stehe nicht hinter dem was ich schreibe, auch mir dreht sich der Magen beim Hitler Gruß.

***


Drei Jahre später, so um Fronleichnam, kam sein Sohn Peter aus Russland nach Hause. Keiner hatte ihn erkannt, als er durchs Dorf ging. So verändert sah er aus, so abgemagert; -dünn wie ein Faden war er. Aber er lebte. Das ist eine andere Geschichte!

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Kommentare zu diesem Text

Pfauenauge (49)
(05.04.07)
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 kirchheimrunner meinte dazu am 05.04.07:
danke dir... für deinen einfühlsamen Kommentar. Ja.. solche Tragödien, sollten sich eigentlich nie mehr wiederholen müssen..

L-G- Hans

 Füllertintentanz (05.04.07)
Gelesen, gefühlt und geweint... So einen Text kann man nach dem Lesen nicht einfach von sich weisen. Die Emotionen und Botschaften daraus nimmt man lange mit in den Tag.
Stille Grüße, Sandra

 kirchheimrunner antwortete darauf am 05.04.07:
Freut mich wirklich sehr liebe Sandra. Es ist für mich ein sehr wichtiger Text. Weil dieser wiedergefundene Brief für mich auch die Wiederentdeckung meiner Familie war.

Frohe Ostern

Hans
MustafaMond (32)
(05.04.07)
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