Morgenglanz im Nachtgewand

Kurzprosa zum Thema Farben

von  Regina

Eine dunkelgraue Wolkendecke steht am Himmel, durch die vereinzelte feine Risse silbrig zartes Hellblau versprühen. Dunkel, wie feuchtglänzend erscheint die rostrote Backsteinwand in  Kupferglanz, wie aus einem Guß, ebenso wie das Blattgold des Ahorn, ebenfalls metallisch glänzend vor dem schwärzlichen Himmel. Im Osten künden ein paar rosa Fadenwölkchen vom Sonnenaufgang hinter den schweren Wolken.  Dunkelheit und Licht, gleichzeitig anwesend, berühren Auge und Stimmung tief, vor der Backsteinwand steht die Fichte im schwarzen Schatten. Es ist, als gäben die Farben noch ein letztes Mal alles her, was in ihnen steckt.
Zwanzig Minuten später ist es mit dem Kupferglanz vorbei. Die Backsteine nehmen ihre gewohnte Terrakotta-Farbe an und unterscheiden sich mehr voneinander vom rötlichen Orange bis hin zum leichten Rosa. Nun sehe ich auch, dass einige der Ahornblätter noch Grün tragen. Die Tageswärme hat dem Baum wohl suggeriert, dass der Winter noch nicht hereinbreche. Das Grün wird erfrieren, fürchte ich, weil ich den Raureif erwarte, nicht die Sonne. Doch der Himmel klart auf. Dann zeigt auch die Fichte ihr Waldgewand und ich komme ins Grübeln über das Wesen der Farben, deren Charakter so stark von den Lichtstrahlen abhängt. Täuscht mich mein Auge denn, wenn sie sich innerhalb von zwanzig Minuten so sehr verändern? Das Jahr scheint sich wie ein vitaler älterer Mensch zu gebärden, der dem Alter zu trotzen versucht. Zwar werden die Sonnenstunden weniger, doch der Termin mit der feuchten Novemberkälte wird von Tag zu Tag verschoben.

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