über Leben.

Erzählung

von  Vaga

Du bist 100. Ich bin 156.

Als du neun warst - also vor 91 Jahren - sprachen wir am Telefon über das Alter. Du sagtest, deine Jahrgänge hätten eine Lebenserwartung von 100. Du errechnetest in Nullkommanichts mein Alter, wenn du 100 bist. Ich merkte an, in dem hohen Alter könnten wir schwächer werden, unbeweglicher, woraufhin du erwidertest, dass wir dann auch nicht mehr viel benötigten. Unsere Ansprüche würden geringer werden. Wir bräuchten allenfalls einen Sessel, um darauf zu sitzen, und, sagtest du, ein Bücherregal in unserer Nähe, mit genügend Lesestoff für die Zukunft. Eine Zukunft, sagte ich, in der meine Augen möglicherweise schwächer würden. Du würdest mir dann vorlesen, sagtest du. Und, wendete ich ein, was ist, wenn ich nicht mehr so gut hören könnte? Kein Problem, dann würdest du ein bisschen lauter sprechen, sagtest du.

Jetzt sind wir 100 und 156. Sobald wir aufhörten aufzuwachsen, wuchsen wir wieder runter, glichen uns auch körperlich in der Größe wieder an.
Wir sitzen jetzt gern in unseren Sesseln. Du liest mir vor, weil meine Augen ein wenig nachlassen in der letzten Zeit, und sprichst ein wenig lauter. Wir haben alles, was wir brauchen.

Eine alte Nachbarin - sie ist 91 - kocht für uns, und bringt uns unser Essen in steter Regelmäßigkeit rüber. Sie ist noch gut auf den Beinen. War ja damals, vor 91 Jahren, gerade erst geboren. Was sein wird, wenn sie 100 ist, daran denken wir jetzt nicht. Zurzeit haben wir ja alles, was wir brauchen. Und die Welt da draußen ist auch so geworden, wie wir es vor 91 Jahren vermuteten.
Wir könnten auf einen anderen Planeten fliegen, wenn wir wollten. Vielleicht tun wir das, wenn wir 101 und 157 sind.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (19.12.14)
Das sind ja schöne Aussichten. LG

 Vaga meinte dazu am 19.12.14:
Das meinst du anscheinend ernst .

 AZU20 antwortete darauf am 19.12.14:
Na klar. LG und ein besinnliches Weihnachtsfest und guten Rutsch
janna (66)
(19.12.14)
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 Vaga schrieb daraufhin am 19.12.14:
Danke Janna, fürs - ebenfalls von mir gern gelesene - Kommentieren . LG dir.

 Bergmann (19.12.14)
Auf einen anderen Planeten ...: Mit 1/10 der Erdanziehungskraft. Und mit Internetverbindung, um teilzunehmen an den grandiosen Diskursen bei kv.

Das Gute am derzeitigen Modethema "Alter" ist die Zwangsläufigkeit des Philosophierens über das was man jetzt tut. Die Sinnfrage also.

Die (teils ironischen) Überzeichnungen oder Verfremdungen in deinem Text treiben das Philosophieren an.
LG, Uli

 Vaga äußerte darauf am 19.12.14:
Das 'richtige, derzeitige' Leben lieferte die Inspiration zu dieser 'Erzählung'. Mit einem Neunjährigen über das Alter zu philosophieren macht großen Spaß, denn die 'Weisheit der Gedanken' ist vom Alter unabhängig.
LottaManguetti (59)
(19.12.14)
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Sätzer (77) ergänzte dazu am 19.12.14:
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 Vaga meinte dazu am 19.12.14:
Danke Lotta und Sätzer.
@Lotta: Ja, kann ich mir vorstellen. Aber : Die alte Nachbarin hab' ich absichtlich so adjektiviert, weil hierdurch m. E. unterstrichen wird, dass die Erzählerin dieser Geschichte das eigene, erheblich höhere Alter (als das der Nachbarin) anscheinend gar nicht mehr in Relation setzt, so sehr scheint sie in ihrer derzeitigen Welt angekommen.
LottaManguetti (59) meinte dazu am 19.12.14:
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 Songline (19.12.14)
Das gefällt mir sehr. Ich überlege gerade, wie lange die Menschen arbeiten müssen, wenn sie so alt werden, denn die Rentenkasse hält eine so hohe Lebenserwartung bei der Rente mit 63, 65, 70, 78 ... nicht aus.
Ich selbst lebe gern mit der heutigen Beschränktheit an Jahren, denen einen Sinn zu geben mir klüger erscheint, als weitere hinzufügen zu wollen.
Liebe Grüße
Song

 Vaga meinte dazu am 19.12.14:
Danke dir Songline für deinen Kommentar. Dieser Text ist natürlich eine kleine philosophische Fantasterei, die durch Gedanken an finanzielle Absicherung, sprich Rente, zu sehr 'abgenüchtert' würde. . Im Dialog über das Alter - wie hier zwischen Enkel und Großmutter - schwingt, zumindest für mich, Wehmut mit, die aber, durch die leicht ins Ironische tendierende Spekulation über die Möglichkeit eines gemeinsamen Altwerdens, gemildert wird. Lb. Gruß - Vaga.
(Antwort korrigiert am 19.12.2014)
g.penn (35)
(05.04.15)
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 Vaga meinte dazu am 09.04.15:
Lieber A., ein herzliches Dankeschön für deine Kritik, die ich sehr wohl zu schätzen weiß.
Das viele 'Sagen' zu kürzen, leuchtet mir sofort ein. Ich neige zu unnötigen Wiederholungen, von denen ich denke, sie könnten zur Unterstreichung gewisser Inhalte beitragen. Dabei hätte ein Streichen derselben (wie ich einsehe) vielleicht gerade diesen Effekt. Durch konstruktive Kritik darauf hingewiesen, kann ich das sofort annehmen.
Deine folgenden Ausführungen schätze ich ebenfalls sehr (obwohl du es mir vielleicht nicht glauben wirst ! Ich bin vollkommen ungeübt und unerfahren im Schreiben von Prosa (und meine Gedichte hapern genauso an allen Ecken und Enden, wobei ich mir sehr oft wünschte, ich bekäme hin und wieder mal solch' wertvolle Anmerkungen).
Deine 'Fingerzeige' auf andere wichtige Punkte in diesem Text (der auf einer 'wahren Gesprächs-Begebenheit' beruht - besonders darauf, wie ein Text Emotionales besser vermitteln könnte - verstehe ich und würde ich sehr gern umzusetzen in der Lage sein. Ich glaube, ich werde das niemals können. Ob ich es in der Zukunft versuche, weiß ich nicht. Ich sollte meine Eindrücke wohl eher via Tagebucheintragung archivieren. Nochmals vielen Dank für die Ausführlichkeit, für deine Zeit, die du meinem Textchen widmetest. Liebe, herzliche Grüße - Vaga.
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