Der Läufer

Kurzgeschichte zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  shadowrider1982

Er lief dem Feld der Konkurrenz hinterher. Der Abstand wurde nicht größer und auch nicht kleiner. Er hielt einfach das Tempo derer, die weit vor ihm liefen. Er hätte sie alle einholen können, doch er hielt lediglich seinen Rückstand konstant.  Diese Position, auf der er momentan war, war alles, was es zu halten gab. War er auch der letzte des Feldes, er hätte nichts anderes tun können, als diesen Platz um jeden Preis zu halten.

Beinahe hätte er einen Frühstart riskiert. Außer ihm selbst hatte aber kaum jemand die kleine Zuckung bemerkt. Er war sich sicher, dass ihn niemand belangt hätte, wenn er zu früh los gelaufen wäre. Man hätte sicher beide Augen zugedrückt und ihn als Sieger ins Ziel gehen lassen. Doch das war lange her, längst war das Rennen in vollem Gange. Als der Startschuss schließlich gefallen war, hatte er sich nur ganz langsam in Bewegung gesetzt und alle an sich vorbei gelassen. Erst, als er der letzte Läufer des Feldes war und sich das Rennen selbst sortiert hatte, erreichte er das Tempo der anderen. Von nun an war er da, wo er gebraucht wurde.

Er betrachtete die Konkurrenz vor sich. An der Spitze des Feldes lief der Favorit. Es gab immer einen Favoriten, in jedem Rennen. Es musste einen Favoriten geben, und der Favorit musste an der Spitze laufen, so lauteten die ungeschriebenen Regeln dieser Rennen. Ohne einen Favoriten konnte es überhaupt kein Rennen geben. Der Favorit war ein sehr großer, ziemlich dünner, älterer Mann, dessen lichtes Haar bereits ergraute. Dieser ältere Herr zog seine Bahnen unbeirrt und selbstsicher, denn er war die Schlüsselfigur, der Anführer, der, dem man nachzueifern versuchte, der Gewinner. Zwischen den beiden gab es eine Art Verbindung, eine Gemeinsamkeit. Sie waren das Alpha und das Omega. Diese beiden Männer waren auf ihren Positionen im Feld fest verwurzelt. So wie der eine immer an der Spitze des Feldes laufen würde, so würde der andere immer am Ende des Feldes laufen. Jedes Rennen brauchte einen Sieger und einen Verlierer, so lauteten die Regeln. Im Feld zwischen den beiden wechselten die Positionen hin und wieder, mal schob sich einer nach vorn, mal fiel einer zurück. Aber diese beiden Männer liefen stur an erster und letzter Stelle, so als könne es gar nicht anders sein.

Die meisten anderen Teilnehmer des Rennens kannte er kaum. Von denen, die da vor ihm wie die Berserker um die mittleren Positionen kämpften, hatte er beiläufig gehört. Er war sich ihrer Existenz bewusst, sah sie laufen. Doch er wusste, dass das Rennen für all diese Leute eine andere Bedeutung hatte. Er wusste, dass all diese Leute für das Rennen eine andere Bedeutung hatten. Da war eine Frau, die sich unmerklich auf den zweiten Platz vorgearbeitet hatte. Er hatte kaum Notiz von ihr genommen, doch plötzlich war sie da, ganz weit vorn. Sie störte ihn nicht. Sie lief in einer anderen Klasse. Sie war schon zur Zweiten bestimmt, noch bevor der Startschuss gefallen war. Das war ihm einerlei. Da war ein Läufer, der ihn auf erschreckende Weise an sich selbst erinnerte. Die gleichen Schwächen im Laufstil. Die gleichen taktischen Fehler. Die gleiche, mangelhafte Qualifikation. Er fragte sich, wie oft dieser andere Läufer das Rennen wohl schon gewonnen haben mochte.

Seine Beine brannten wie Feuer und er hatte bereits Blasen an den Füßen. Und doch lief er immer weiter. Er war auf dieses Rennen nicht vorbereitet, hatte nicht erwartet, wie schwierig es sich gestalten würde, diesen letzten Platz zu verteidigen. Einige Male, als die Schmerzen drohten, zu stark zu werden, dachte er daran aufzugeben. Er hatte sich mehrfach überlegt, alles hinzuwerfen. Doch er wusste, dass das nicht in Frage kam. Als er angetreten war, hatte er sich geschworen, bis zur Ziellinie zu laufen. Er wollte so lange laufen, bis das Rennen zu Ende war. Und genau das tat er nun.

Er hatte nicht viele Fans. Es gab nur wenige Zuschauer am Rand, die ihm zujubelten und ihn anfeuerten. Und von denen die da standen, wusste keiner, worum es hier eigentlich ging. Sie alle wollten ihn als ersten durchs Ziel gehen sehen. Sie alle hatten nicht die geringste Ahnung, dass es längst nicht mehr darum ging, zu gewinnen. Als er zu diesem Rennen angetreten war hatte er sich fest vorgenommen, es für sich zu entscheiden, für alle Zeiten als der Sieger festzustehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht gewusst, dass es da den Favoriten gab. Und er hatte auch nichts davon geahnt, welche wichtige Rolle ihm als Schlusslicht des Feldes zukommen würde. Der Preis für den Sieger war mit Geld nicht aufzuwiegen. Es war das wertvollste, was man jemals hätte gewinnen können. Doch das war längst nicht mehr wichtig. Für ihn war nur noch das Rennen selbst entscheidend, das Rennen und sein letzter Platz, den es zu verteidigen galt.

Wie jeder andere Läufer sehnte auch er sich nach dem ersten Platz. Doch er hatte schon vor einigen Runden erkannt, dass er dort nicht hingehörte. Weil er aber das Rennen brauchte, so wie das Rennen ihn brauchte, lief er weiter. Seiner Hoffnungen und Träume beraubt lief er Runde um Runde. Die Schmerzen wurden stärker, doch er gewöhnte sich daran. Er war schon oft unter Schmerzen gelaufen, aber dieses Mal hatte alles einen Sinn. Er wusste, dass er laufen musste. Er wusste, dass dieses Rennen ohne ihn gefährdet war. Vielleicht würde es sogar abgebrochen werden, wenn er einfach stehen blieb. Also lief er. Er lief, weil er laufen musste und vor allem lief er, weil er laufen wollte. Dieses Rennen war wichtiger als die Schmerzen in seinen Beinen. Es war das wohl wichtigste Rennen seines Lebens.


Anmerkung von shadowrider1982:

Geschrieben am 05.-07.03.2016

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (09.03.16)
Allegorie auf's Leben? Grauhaariger Mann = Gott, Frau auf Platz 2 = Mutti?

 shadowrider1982 meinte dazu am 11.03.16:
Ein interessanter Interpretationsansatz, der mir selbst nie in den Sinn gekommen wäre. Aber der Gedanke ist irgendwie nachvollziehbar. Wenn Mutti allerdings erst plötzlich dazu kommt und sich langsam auf Platz zwei vor arbeitet müsste der Autor eine echt miese Kindheit gehabt haben. Immerhin, mit Allegorie liegst du richtig.
Festil (59)
(04.04.16)
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 Dieter_Rotmund (16.06.20)
Handwerklich einwandfrei, inhaltlich ein Katastrophe: Offenbar warst Du nie bei einem solchen Rennen oder hast Dich nicht intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Auch wenn es nur eine Metapher ist: Der Text ist misslungen, sorry.

 Dieter_Rotmund (19.02.23, 15:17)

und der Favorit musste an der Spitze laufen, so lauteten die ungeschriebenen Regeln dieser Rennen.



Nein, da warst Du falsch informiert.
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