Einer gegen Theben

Kurzgeschichte zum Thema Mitmenschen

von  Tatzen

Reglos saßen sie da. Kein Zwinkern schien ihre Blicke zu brechen, kein Laut war von ihnen zu hören. Sie starrten.
Einige starrten ihn an, sahen, wie er da vorne stand. Sahen seine Hände hilflos seine Taschen suchen – Daumen rein, Daumen raus; sahen eine wippende Bewegung nach rechts, ein Zurück nach links.
Er hatte seine Position noch nicht ganz gefunden.
Augenblick für Augenblick verstrich und die Stille klammerte sich an ihn. Sie hielt sich an seinen Schultern fest, kletterte seinen Nacken hinauf, presste seinen Kiefer zusammen. Sie erreichte schließlich eine Haarsträhne und zog sie ihm vor die Augen, als baumelte sie daran wie ein in Not geratener Bergsteiger.
Zügig strich er seine Haare wieder zurück; zu zügig, er versetzte dabei auch seiner Brille einen Stoß, der sie zwar nicht in den Abgrund beförderte, der aber dazu führte, dass er sich nun auch noch um ihre Lage kümmern musste.
Er folgte den Blicken derer, die nicht ihn anstarrten. Die Stille ließ sie in Frieden, kümmerte sich nicht um sie.
Sie schauten hinauf zur winterlichen Sonne, die vogellos den Parkplatz vor dem offenen Fenster beschien.
Sie schauten hinab auf ihre bekritzelten Unterlagen, wahllos markiert, die mühsam das Geheimnis einer nachmittäglichen Verabredung oder eines poetischen Versuchs verschwiegen.
Sie schauten auf ihre Vorderleute, wie sie hinauf- und hinabsahen oder zu ihm, gedankenvoll das Wäre abwägend, die Frage, was sein könnte, andernorts, zu zweit.
Er wartete noch immer, als seine Frage langsam im Surren der anlaufenden Heizung versank.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(01.03.17)
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 Tatzen meinte dazu am 01.03.17:
Ja, wofür steht Theben eigentlich? Für eine Herausforderung? Für das verwehrte oder das erkämpfte Recht (auf Macht)? Für den Zwiespalt dort, wo Eintracht herrschen sollte? Ich denke, alles ein wenig - und noch mehr.
Graeculus (69) antwortete darauf am 01.03.17:
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 Tatzen schrieb daraufhin am 01.03.17:
Die Herausforderung ist sicherlich ein wichtiger Bestandteil - doch worin besteht diese? Die Stille ist die eine Sache, doch was liegt unter der Stille verborgen, was bleibt unausgesprochen?
Ich hatte als Situation eine Unterrichtsstunde im Sinn - da gibt es jede Menge Unausgesprochenes, vor allem was die Gefühlswelt angeht. Sicherlich (hoffentlich?) funktioniert die Geschichte aber auch, wenn man sich andere Situationen und Handelnde vorstellt - das ist bewusst offen gelassen.
Graeculus (69) äußerte darauf am 01.03.17:
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 Tatzen ergänzte dazu am 01.03.17:
Hier ist Unsicherheit im Spiel auf Seiten des Lehrers - ich finde die Gedanken und Gefühle der Schüler aber viel spannender, weil sie tiefer verborgen sind in ihrem Verhalten und der Reflexion des Lehrers über ihr Verhalten.
Die Frage hierzu könnte lauten: Wenn der Lehrer der "eine" aus dem Titel ist - was ist dann mit Theben los?
Bei Aischylos ist Polyneikes (als Angreifer) qua menschlichem Gesetz (als vom Bruder Eteokles Betrogener) im Recht, tragischerweise Eteokles qua göttlichem Gesetz (als Verteidiger der Stadt) aber auch. Beide Brüder kommen bei der Schlacht um und ihr Onkel tritt später die Regentschaft an, also hat niemand etwas gewonnen (wie die Geschichte bei Antigone weitergeht, verheißt ja auch für den Rest der Familie nichts Gutes).
Insofern treffen sich hier die Vertreter unterschiedlicher Rechtsgrundsätze und versuchen, ihren jeweils durchzusetzen.
Graeculus (69) meinte dazu am 01.03.17:
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 Tatzen meinte dazu am 01.03.17:
Das ist tatsächlich ein Problem. Ich habe mich an Vorbildern wie der Kurzgeschichte "Neapel sehen" von Kurt Marti orientiert - ich halte es für kaum lösbar, die notwendigen Informationen in den Text einzubauen, ohne die Textsortenkonventionen zu verlassen. Marti setzt ja auch die Kenntnis des (auf Horaz zurückgehenden) Sprichworts "Neapel sehen und sterben" voraus.
Zudem hoffe ich, dass der Text auch (auf anderen Ebenen) ohne den Aischylosbezug funktioniert. Eigentlich sollte der Titel nur ein Untergeschoss mehr einziehen. Meinst du, es lenkt zu sehr ab?
Graeculus (69) meinte dazu am 01.03.17:
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 Tatzen meinte dazu am 01.03.17:
Da könntest du Recht haben. Ich mache mir nochmal meine Gedanken. Während wir diskutiert haben, ist mir schon eine Idee gekommen. Mal schauen, ob ich sie auch umsetzen kann. Danke für die Kritik!

 Dieter_Rotmund (01.03.17)
Mir ist das zu sophisticated.

 Tatzen meinte dazu am 03.03.17:
Ich arbeite dran

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 17.10.19:
Bitte weniger Metaphern verwenden. Danke.
Festil (59)
(03.03.17)
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 Tatzen meinte dazu am 03.03.17:
Der Architektur-Vergleich ist sehr interessant, das gibt dem ganzen noch einmal eine ganz andere Richtung, auch abseits der Frage nach dem intertextuellen Bezug. Danke dir!
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