Reisen im Elfenbeinballon (3) - Bei den religiösen Spinnern
Lyrischer Prosatext
von autoralexanderschwarz
Unser Elfenbeinballon zieht jedes Gewicht unerbittlich nach oben, deshalb benötigen jene, die in solchen Höhen fliegen, starke Segel, die beständig und sanft den Auftrieb bremsen. Wir müssen vorsichtig sein, denn über uns ist nur noch das Universum. Manch einer ging uns dort oben schon verloren.
*
Alle Stricke reißen. Irgendwann. Selbst die stärksten.
Diesmal ist es ein Riss im Ersatzsegel, der unsere Reisepläne über den Haufen wirft. Wir ändern den Kurs. Richtung Golgatha. Denn den stärksten Faden spinnen von jeher die religiösen Spinner.
*
Bald schon schweben wir über Golgatha.
Günstige Winde haben uns hierher getragen.
Glück haben wir gehabt.
Jetzt weht nur noch ein laues Lüftchen.
Unter uns: Touristenströme auf ausgetretenen Kreuzwegen.
Unter uns: Nachtschattengewächse
Unter uns: kopulierende Schafe.
Über uns: nur noch das Universum.
*
Den Elfenbeinballon verstecken wir hinter dunklen Wolken.
Wir kürzen den Weg, wir nehmen die lange Leiter, um hinabzusteigen,
tiefer,
tiefer nach unten,
bis es nach Schwefel riecht.
Irgendwo brodelt hier noch ein vergessener Vulkan.
„Von Anfang an belügen sie hier schon die Raupen“, flüstert der Steuermann ehrfurchtsvoll, „so wird die religiöse Faser von Anfang an biegsamer als jede andere.“
*
Wir meiden die breiten Straßen, die Christusdarsteller und Dornenkronenhändler.
Wir fürchten uns vor den Kindern, die hier in religiösen Banden entweder Steine sammeln oder nach Ungläubigen suchen.
Wir kriechen lieber durch die Büsche, durch die echten Dornenranken.
*
Friedlich ist es hier – abseits des Weges. Selbst die Selbstmörder haben hier beim Verwesen ein seliges Lächeln im Gesicht, nur die Luft schmeckt zunehmend bitter, je weiter wir vordringen, immer wieder baumelt einer im Weg, manch einer entleerte hier schon seinen Darm, ständig rutscht man aus, alles ist zunehmend ein einziges Taumeln und Schlittern, alles hält einen hier plötzlich zurück, alles schlägt einen hier nieder, doch wir halten durch.
Für das reinste Segeltuch müssen wir durch den tiefsten Schmutz kriechen.
Dann: eine Veränderung: Harfentöne. Wir nähern uns unserem Ziel.
Auf einmal: die Stimme eines singenden Eunuchen:
„Wir spinnen, wir spinnen,
den Faden so fein,
und flechten dabei
uns’ren Glauben hinein,
wir spinnen den Faden,
so fest und so fein,
kein anderer Faden
war jemals so rein.“
*
Vor uns öffnet sich eine Lichtung. Wir wissen wohin wir gehen. Hier wohnt der Älteste der religiösen Spinner. Vor der Haustür sitzt der Eunuch und lockt mit seiner Stimme Kunden.
Von drinnen hört man die Litaneien des religiösen Spinners:
„Du bist mir der schönste Faden, der jüngste, der reinste, der, den Gott mehr liebt als all die anderen Fäden“, flüstert der religiöse Spinner und noch leiser antwortet der Faden:
„Und doch bin ich nichts Besonderes. Nur ein Faden.“
*
„Wir brauchen zwei Kilo von dem besten Faden“, sagen wir zu dem Eunuchen und treten aus dem Schatten. Die Dornen haben uns zahllose Wunden gerissen. Zwischen all dem Blut hoffen wir, dass er uns für Büßer hält, die wir nicht sind, die wir nie sein werden. Hinter all dem Blut verbergen wir doch nur unseren Spott. Mit falschen Silberlingen wollen wir ihn bezahlen.
„Wofür braucht gerade ihr einen so guten Faden?“ fragt der Eunuch misstrauisch und zeitgleich knackt es in den Büschen. Irgendwo kräht ein Hahn. Wir sind überrascht, nicht vorbereitet, vielleicht uns selbst in eine Falle gegangen. Es wird Nacht über Golgatha.
Von überall strömen die Kinder der religiösen Spinner auf die Lichtung.
In ihren Händen halten sie Steine.
*
Alle Stricke reißen. Irgendwann. Selbst die stärksten.
Diesmal ist es ein Riss im Ersatzsegel, der unsere Reisepläne über den Haufen wirft. Wir ändern den Kurs. Richtung Golgatha. Denn den stärksten Faden spinnen von jeher die religiösen Spinner.
*
Bald schon schweben wir über Golgatha.
Günstige Winde haben uns hierher getragen.
Glück haben wir gehabt.
Jetzt weht nur noch ein laues Lüftchen.
Unter uns: Touristenströme auf ausgetretenen Kreuzwegen.
Unter uns: Nachtschattengewächse
Unter uns: kopulierende Schafe.
Über uns: nur noch das Universum.
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Den Elfenbeinballon verstecken wir hinter dunklen Wolken.
Wir kürzen den Weg, wir nehmen die lange Leiter, um hinabzusteigen,
tiefer,
tiefer nach unten,
bis es nach Schwefel riecht.
Irgendwo brodelt hier noch ein vergessener Vulkan.
„Von Anfang an belügen sie hier schon die Raupen“, flüstert der Steuermann ehrfurchtsvoll, „so wird die religiöse Faser von Anfang an biegsamer als jede andere.“
*
Wir meiden die breiten Straßen, die Christusdarsteller und Dornenkronenhändler.
Wir fürchten uns vor den Kindern, die hier in religiösen Banden entweder Steine sammeln oder nach Ungläubigen suchen.
Wir kriechen lieber durch die Büsche, durch die echten Dornenranken.
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Friedlich ist es hier – abseits des Weges. Selbst die Selbstmörder haben hier beim Verwesen ein seliges Lächeln im Gesicht, nur die Luft schmeckt zunehmend bitter, je weiter wir vordringen, immer wieder baumelt einer im Weg, manch einer entleerte hier schon seinen Darm, ständig rutscht man aus, alles ist zunehmend ein einziges Taumeln und Schlittern, alles hält einen hier plötzlich zurück, alles schlägt einen hier nieder, doch wir halten durch.
Für das reinste Segeltuch müssen wir durch den tiefsten Schmutz kriechen.
Dann: eine Veränderung: Harfentöne. Wir nähern uns unserem Ziel.
Auf einmal: die Stimme eines singenden Eunuchen:
„Wir spinnen, wir spinnen,
den Faden so fein,
und flechten dabei
uns’ren Glauben hinein,
wir spinnen den Faden,
so fest und so fein,
kein anderer Faden
war jemals so rein.“
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Vor uns öffnet sich eine Lichtung. Wir wissen wohin wir gehen. Hier wohnt der Älteste der religiösen Spinner. Vor der Haustür sitzt der Eunuch und lockt mit seiner Stimme Kunden.
Von drinnen hört man die Litaneien des religiösen Spinners:
„Du bist mir der schönste Faden, der jüngste, der reinste, der, den Gott mehr liebt als all die anderen Fäden“, flüstert der religiöse Spinner und noch leiser antwortet der Faden:
„Und doch bin ich nichts Besonderes. Nur ein Faden.“
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„Wir brauchen zwei Kilo von dem besten Faden“, sagen wir zu dem Eunuchen und treten aus dem Schatten. Die Dornen haben uns zahllose Wunden gerissen. Zwischen all dem Blut hoffen wir, dass er uns für Büßer hält, die wir nicht sind, die wir nie sein werden. Hinter all dem Blut verbergen wir doch nur unseren Spott. Mit falschen Silberlingen wollen wir ihn bezahlen.
„Wofür braucht gerade ihr einen so guten Faden?“ fragt der Eunuch misstrauisch und zeitgleich knackt es in den Büschen. Irgendwo kräht ein Hahn. Wir sind überrascht, nicht vorbereitet, vielleicht uns selbst in eine Falle gegangen. Es wird Nacht über Golgatha.
Von überall strömen die Kinder der religiösen Spinner auf die Lichtung.
In ihren Händen halten sie Steine.
Anmerkung von autoralexanderschwarz:
Der obenstehende Text ist Teil der Textsammlung „Reisen im Elfenbeinballon“, die im Athena-Verlag erschienen ist. Reisen im Elfenbeinballon