Reisen im Elfenbeinballon (2) - Bei den obsoleten Literaten
Lyrischer Prosatext
von autoralexanderschwarz
Kein Schild wies uns den Weg, seit Stunden atmen wir diesen Nebel. Allein weil wir wissen, dass wir nur den langen Schatten folgen müssen, stoßen wir am Ende des Pfades schließlich auf das Dorf der obsoleten Literaten.
Unser Auftauchen erregt einiges an Aufsehen. Noch sehen sie in uns Schicksalsgenossen, wissen nichts von dem Elfenbeinballon, den wir in sicherer Entfernung an einen Berg gebunden haben.
Arme ziehen uns unter den Schultern nach vorne,
stützen uns, so als wäre es eine lange Reise gewesen,
zerren uns mit nahezu freundschaftlicher Grobheit
auf den Dorfplatz, auf dem gerade eine Lesung stattfindet.
Einträchtig sitzen sie dort beisammen, die Verzweifelnden und die Verzweifelten, allesamt obsolete Literaten, allesamt gut vorbereitet: hinter den Rücken stapeln sich ihre Notizbücher.
„Dieses Tal, in dem wir leben“, rezitiert gerade ein obsoleter Literat,
„ist uns mit der Zeit so wie Blei in die Waden geflossen, wir müssen uns freistrampeln“, liest der obsolete Literat voller Pathos, „wir dürfen das Licht hinter den Bergen nicht vergessen.“
Damit verstummt er und erst nach einer kurzen, bedeutungsvollen Pause beginnen die anderen obsoleten Literaten verhalten zu klatschen. Noch halten wir uns zurück, warten ab, bis der zweite obsolete Literat seine Stimme erhebt:
„Die wahre Revolution wird nicht die Flucht aus dem Tal, das Überwinden der Berge sein“, sagt der obsolete Literat einleitend, „die wahren Berge sind so gut wie nie aus Stein, sie sind in unseren Köpfen. Dazu habe ich ein Gedicht geschrieben, das aus genau 29 Silben besteht“, er räuspert sich, versichert sich der Aufmerksamkeit; erst jetzt scheint er uns zu entdecken und versucht seine Scham hinter Stolz zu verbergen.
„Kleine Freiheit hinter Felsen“, rezitiert der obsolete Literat,
„Fliederwurzeln“, ruft er und erhebt sich,
„Vulkanausbruch“, schreit der obsolete Literat so laut, dass das Echo durch die Berghänge wandert,
„Vulkanausbruch“, schreit er noch einmal und fuchtelt dabei mit den Armen,
„Nussschalensplittersplitter“, flüstert der obsolete Literat,
dann wieder andächtige Stille, schließlich vorsichtiger Applaus.
Wir haben genug gesehen und sind wütend geworden. Die Verzweiflung sprengt sich hier immer tiefer in den Felsen, überall brennen Zündschnüre, „wir sollten gehen“, flüstere ich dem teilnahmslosen Steuermann zu,
„hier ist es schon zu spät“, sage ich zu ihm
und „mich ekelt diese Trivialität“ zu den obsoleten Literaten,
„diese Trivialität, die sich hier wie ein dumpfes Rauschen über alles gelegt hat, die sich in alles hineingesaugt und -gesogen hat, diese Redundanz, dieses Stochern im Nebel ohne jegliches Engagement sich aufzurichten und mit freiem Nacken und festem Blick nach Gefühl zu navigieren, das verlässlicher ist als alles Licht toter Sterne. Stattdessen suhlt ihr euch immer tiefer in euren immer gleichen, schmierigen Metaphern, bis alles, was ihr schreibt, nur noch aphoristisch und dabei doch zugleich eure beste Lüge ist. Ihr habt euch verdient, ihr seid euch selbst das beste Publikum, ihr lauft noch dem kleinsten Stöckchen hinterher, um es zu apportieren. Ihr würdet noch einen Abszess beklatschen, wenn er nur von selber aufbräche", sage ich zu den obsoleten Literaten,
"einst glitt wohl auch euer Kahn noch wie von selbst durch den Nebel, doch jetzt stopft ihr mit euch selbst nur noch Löcher. Für mich seid ihr nicht mehr als Treibholz: ich werde um euch herum schwimmen müssen“,
sage ich und es bleibt erst still, andächtige, ja geradezu sakrale Stille, dann: aufbrandender Applaus, Jubel, die obsoleten Literaten erheben sich, klatschen, liegen sich in den Armen, beglückwünschen einander, weil die Ehrfurcht zu groß ist, um sich uns zu nähern.
Es wird Zeit. Auch wir erheben uns, verlassen das Tal, so wie wir gekommen sind, Richtung Elfenbeinballon. Wenn wir erst einmal wieder schweben, werden wir das Dorf mit Thermit bombardieren.
Unser Auftauchen erregt einiges an Aufsehen. Noch sehen sie in uns Schicksalsgenossen, wissen nichts von dem Elfenbeinballon, den wir in sicherer Entfernung an einen Berg gebunden haben.
Arme ziehen uns unter den Schultern nach vorne,
stützen uns, so als wäre es eine lange Reise gewesen,
zerren uns mit nahezu freundschaftlicher Grobheit
auf den Dorfplatz, auf dem gerade eine Lesung stattfindet.
Einträchtig sitzen sie dort beisammen, die Verzweifelnden und die Verzweifelten, allesamt obsolete Literaten, allesamt gut vorbereitet: hinter den Rücken stapeln sich ihre Notizbücher.
„Dieses Tal, in dem wir leben“, rezitiert gerade ein obsoleter Literat,
„ist uns mit der Zeit so wie Blei in die Waden geflossen, wir müssen uns freistrampeln“, liest der obsolete Literat voller Pathos, „wir dürfen das Licht hinter den Bergen nicht vergessen.“
Damit verstummt er und erst nach einer kurzen, bedeutungsvollen Pause beginnen die anderen obsoleten Literaten verhalten zu klatschen. Noch halten wir uns zurück, warten ab, bis der zweite obsolete Literat seine Stimme erhebt:
„Die wahre Revolution wird nicht die Flucht aus dem Tal, das Überwinden der Berge sein“, sagt der obsolete Literat einleitend, „die wahren Berge sind so gut wie nie aus Stein, sie sind in unseren Köpfen. Dazu habe ich ein Gedicht geschrieben, das aus genau 29 Silben besteht“, er räuspert sich, versichert sich der Aufmerksamkeit; erst jetzt scheint er uns zu entdecken und versucht seine Scham hinter Stolz zu verbergen.
„Kleine Freiheit hinter Felsen“, rezitiert der obsolete Literat,
„Fliederwurzeln“, ruft er und erhebt sich,
„Vulkanausbruch“, schreit der obsolete Literat so laut, dass das Echo durch die Berghänge wandert,
„Vulkanausbruch“, schreit er noch einmal und fuchtelt dabei mit den Armen,
„Nussschalensplittersplitter“, flüstert der obsolete Literat,
dann wieder andächtige Stille, schließlich vorsichtiger Applaus.
Wir haben genug gesehen und sind wütend geworden. Die Verzweiflung sprengt sich hier immer tiefer in den Felsen, überall brennen Zündschnüre, „wir sollten gehen“, flüstere ich dem teilnahmslosen Steuermann zu,
„hier ist es schon zu spät“, sage ich zu ihm
und „mich ekelt diese Trivialität“ zu den obsoleten Literaten,
„diese Trivialität, die sich hier wie ein dumpfes Rauschen über alles gelegt hat, die sich in alles hineingesaugt und -gesogen hat, diese Redundanz, dieses Stochern im Nebel ohne jegliches Engagement sich aufzurichten und mit freiem Nacken und festem Blick nach Gefühl zu navigieren, das verlässlicher ist als alles Licht toter Sterne. Stattdessen suhlt ihr euch immer tiefer in euren immer gleichen, schmierigen Metaphern, bis alles, was ihr schreibt, nur noch aphoristisch und dabei doch zugleich eure beste Lüge ist. Ihr habt euch verdient, ihr seid euch selbst das beste Publikum, ihr lauft noch dem kleinsten Stöckchen hinterher, um es zu apportieren. Ihr würdet noch einen Abszess beklatschen, wenn er nur von selber aufbräche", sage ich zu den obsoleten Literaten,
"einst glitt wohl auch euer Kahn noch wie von selbst durch den Nebel, doch jetzt stopft ihr mit euch selbst nur noch Löcher. Für mich seid ihr nicht mehr als Treibholz: ich werde um euch herum schwimmen müssen“,
sage ich und es bleibt erst still, andächtige, ja geradezu sakrale Stille, dann: aufbrandender Applaus, Jubel, die obsoleten Literaten erheben sich, klatschen, liegen sich in den Armen, beglückwünschen einander, weil die Ehrfurcht zu groß ist, um sich uns zu nähern.
Es wird Zeit. Auch wir erheben uns, verlassen das Tal, so wie wir gekommen sind, Richtung Elfenbeinballon. Wenn wir erst einmal wieder schweben, werden wir das Dorf mit Thermit bombardieren.
Anmerkung von autoralexanderschwarz:
Der obenstehende Text ist Teil der Textsammlung „Reisen im Elfenbeinballon“, die im Athena-Verlag erschienen ist. Reisen im Elfenbeinballon