Weg zum Schafott

Kurzgeschichte

von  autoralexanderschwarz

„Wir haben wohl so manches falsch gemacht“, denkt der greise König, als sie ihn zum Schafott führen. Alles ist verloren: die Königin liegt reglos in ihrem Blut, die Kinder haben sie vor dem Schloss auf Pfähle gespießt und der gesamte Hofstaat ist über Nacht geflohen; wer konnte, hat die Seiten gewechselt. Nur er selbst ist übrig geblieben und sie haben ihm seine Gewänder genommen, die Insignien der Macht in den Staub getreten und ihm ein Büßergewand übergeworfen, ein Leichenhemd für den Weg zu Schafott.

„Wir sind wohl eine ganze Weile zu nachsichtig gewesen“, denkt der greise König, als sie ihn zum Schafott führen, weil er findet, dass er im Vergleich zu anderen Königen seiner Zeit ein milder Herrscher gewesen ist, er hat weniger foltern lassen als seine Vorgänger, keine neuen Kriege begonnen und die alten beendet, die Steuern nicht erhöht und dank seiner weitsichtigen Außenpolitik liegen lange Jahre des Friedens hinter ihnen, er hat Kirchen gebaut und Suppenküchen für die Armen. Er hat dem Volk wohl so manches durchgehen lassen, er wollte geliebt und nicht gefürchtet werden.

Die Burschen, die ihn links und rechts gepackt halten, könnten seine Enkel sein, Bauernsöhne niedrigster Abkunft, doch er hat ihren auf dem Feld gestählten Muskeln nichts entgegenzusetzen. Sie sind kräftiger, als er es jemals war: mühelos umschließen ihre großen Hände seine dürren Oberarme; ihm, der es gewohnt war zu befehlen, fehlt nun der Mut, um sie darauf hinzuweisen; so fest halten sie ihn, dass es wehtut, so fest, dass er Angst hat, dass etwas zerbrechen könnte. Grob zerren sie ihn vorwärts, die Straße entlang, auf dem Weg zum Schafott.

„Was hat sie nur so wütend gemacht“, fragt sich der greise König, als er auf sein Volk blickt, das links und rechts die Straßenränder füllt, das mit zornigen Gesichtern hinter den Absperrungen wogt und mit heftigen Gesten Blut und Tod fordert, niemand ist darunter, den er kennt, niemand senkt mehr den Kopf in Demut, Tagelöhner füllen die ersten Reihen und selbst die Waschweiber schleudern vulgäre Worte in seine Richtung; jene, die sich sonst in den Staub warfen, wenn seine Sänfte auch nur in der Ferne zu sehen war, ballen nun ihre Fäuste zu frechen Gesten.

Als er die Augen schließt und versucht an etwas Schönes zu denken, prächtige Umzüge und ehrerbietige Untertanen, trifft ihn ein Stein, den eine unsichtbare Hand aus dem Verborgenen geschleudert hat, und der Schlag ist so überraschend hart, dass er den Kopf zur Seite und den greisen König von den Beinen reißt. Hilflos stürzt er auf den Boden, blutet, streicht sich das wirre Haar von der Stirn und während sein Volk jubelt, kostet es ihn alle verbliebene Kraft, die Tränen hinter den Augen zu halten: Niemand von diesem Pöbel soll seinen verratenen König weinen sehen. 

Mühsam richtet er sich auf, die Bauernsöhne zerren ihn nach oben, alles ist verschwommen, doch es ist nicht mehr weit, er kann die kleine Bühne sehen, die sie für die Enthauptung ihres Königs errichtet haben, ein kümmerliches Gerüst und doch spürt er den Atem der Geschichte, hier und nirgendwo anders endet sein Geschlecht, hier zerbricht das Reich, das seine Ahnen einten. Stufe um Stufe steigt er nach oben und nickt dem Scharfrichter zu, der noch immer der gleiche ist wie früher.

Er legt den Kopf auf das Holz, neigt ihn zur Seite, damit die Klinge sich nicht verkantet, „so fühlt es sich also an“, denkt er, „so fühlt es sich an mit dem Kopf auf dem Block zu liegen“ und er schielt nach oben, wo der Scharfrichter gedankenverloren die Schärfe der Klinge überprüft, „bald schon ist es vorbei“, denkt er und dann lächelt er ein letztes Mal, so wie nur Könige auf dem Schafott lächeln können.


Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Der obenstehende Text ist Teil der Textsammlung „Reisen im Elfenbeinballon“, die im Athena-Verlag erschienen ist.  Reisen im Elfenbeinballon

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (28.04.18)
Ja, was hat sie nur so wütend gemacht?

Ein interessanter Text, der mehr Fragen offenlässt, als beantwortet.

Ein Monarch wird geköpft - und zwar einer, dessen letzte Gedanken so ruhig, sanft und so reflektierend (Wir haben wohl so manches falsch gemacht.) sind, dass man sich kaum vorstellen kann, dass er so ein abgrundtief grausamer Herrscher war, der so ein Ende verdient hat. Und sein stolzer, beherrschter Abgang zeigt umso deutlicher, dass sich da jemand in sein Schicksal gefügt hat, der keine Krone auf dem Kopf tragen muss, um Würde zu zeigen.

Allerdings stellt sich mir die Frage, warum dem König nicht vor dem Staatsstreich klar war, dass das Volk ihn und seine Familie nicht besonders liebt. Und - ganz klar, stellt sich auch die Frage, was er falsch gemacht hat.

Da der Mensch sich prinzipiell nicht gern beherrschen lässt und jede Revolution blutig endet, könnte es natürlich auch sein, dass ganz einfach eine Ära zu Ende geht. Oder aber die Monarchenfamilie hat dem hungernden Volk die Kuchenfrage gestellt o.ä. - egal, ein Text, der einen Leser dazu bringt sich nach dem Lesen so viele Gedanken über die Vorgeschichte und den dargestellten Charakter zu machen, ist kein schlechter Text. Ich habe mich gern mitreißen lassen.

Lieben Gruß

Sabine

 LotharAtzert meinte dazu am 28.04.18:
Keine Frage, das Schaf Ott beschäftig immer wieder die Gemüter,
L.
Graeculus (69) antwortete darauf am 30.04.18:
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 princess (28.04.18)
Imponierend. Die Geschichte dieses greisen Mannes auf diesem Weg.

Liebe Grüße
p.

 TassoTuwas (28.04.18)
Eine Geschichte, bei der das geschilderte Geschehen in den Hintergrund tritt, vor dem großes erzählerischen Fingerspitzengefühl des Autors.
LG TT
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