gemartert

Kurzgeschichte

von  autoralexanderschwarz

„Soll ich die Schrauben vielleicht noch ein wenig fester anziehen?“, fragt der Wächter den Gemarterten, als er die Fesseln überprüft, „mir scheint es fast so, als würde sich das Metall noch nicht tief genug in den Körper schneiden.“
„Es ist gut so“, antwortet der Gemarterte, „so kann ich es eben noch ertragen ohne zu schreien.“
„Soll ich dir heute noch ein bisschen Gesellschaft leisten?“, fragt der Wärter mit Wärme, „ich kenne da einige Geschichten, die ich immer wieder gerne erzähle. Seit du hier bist, redest du ja von nichts anderem als der Folter, das ist mir schon aufgefallen. Ich verstehe ja, dass das alles schlimm ist, aber wenigstens ab und zu musst du doch einmal an etwas Schönes denken. Bedenke, dass du vielleicht für immer hier bleiben wirst, da muss man doch ab und zu auch einmal auf andere Gedanken kommen. Wenn du möchtest, werde ich heute ein wenig länger bei dir bleiben und ein paar Geschichten aus der Freiheit und der Welt dort draußen erzählen. Bestimmt hast du in der Dunkelheit schon vergessen, wie schön ein Sonnenaufgang aussieht, wie beruhigend das Meeresrauschen klingt oder wie sich die Lippen einer schönen Frau anfühlen, man vergisst so schnell hier drin, allen geht das so.“
„Es ist schon gut“, flüstert der Gemarterte, „ich mag die Ruhe, wenn die Folter aussetzt und nach und nach all die Schreie aus den anderen Zellen verstummen, es ist dann so friedlich und manchmal ...“
„Ich verstehe“, unterbricht ihn der Wächter, „du willst also keine Geschichte hören und ziehst die Einsamkeit auf der Streckbank meiner Gesellschaft vor. Ihr Gefangenen seid alle gleich: begegnet man euch wie einem Menschen, dann stoßt ihr einen zurück. Du verdienst keine meiner Geschichten.“
„Es tut mir leid“, stammelt der Gefangene, „ich habe es falsch verstanden. Die Schmerzen lenken mich dauernd ab. Bitte. Ich möchte so gerne eine deiner Geschichten hören.“
„Heuchler“, schreit ihm der Wächter entgegen, der die Verzweiflung des Gefangenen routiniert durchschaut und sich nicht so einfach täuschen lassen wird. Er kann Ehrlichkeit von einer Lüge unterscheiden und Lügen sind ihm von je her verhasst gewesen.
Er will sich eben voller Abscheu von dem Gemarterten abwenden, doch dann besinnt er sich eines Besseren, tritt hinter den Gefangenen und zieht die Schrauben so fest an, dass sich das Metall tief in das Fleisch schneidet.
Wortlos verlässt der Wächter den Raum.
Der Gefangene beginnt zu schreien.


Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Der obenstehende Text ist Teil der Textsammlung „Reisen im Elfenbeinballon“, die im Athena-Verlag erschienen ist.  Reisen im Elfenbeinballon

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Kommentare zu diesem Text


 princess (15.02.18)
Heftig. Ehrlich gesagt hoffe ich, dass ich die Szene und besonders das, was ich am Ende höre, ganz schnell wieder aus meinem Kopf bekomme.

Die erreichte Intensität spricht für die Qualität der Erzählung.

Liebe Grüße
princess

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 15.02.18:
Sorry. Das tut mir leid.
Lieben Gruß zurück
AlX

 princess antwortete darauf am 15.02.18:
Das tut mir leid ehrt dich menschlich. Aus literarischer Sicht: Siehe Absatz 2 oben. Nicht dass du den gar noch überlesen hast!

 autoralexanderschwarz schrieb daraufhin am 15.02.18:
Doch, das hab ich schon gelesen (bin ein aufmerksamer Leser), wollte nur keine Prinzessinnen verstören.
Sätzer (77)
(15.02.18)
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 autoralexanderschwarz äußerte darauf am 15.02.18:
Dank & Gruß zurück
AlX

 Habakuk (15.02.18)
Eine lesens- und empfehlenswerte Geschichte, die nicht nur eine kurze Geschichte ist, sondern eine Kurzgeschichte. „Prädikat wertvoll“ von mir.

 autoralexanderschwarz ergänzte dazu am 16.02.18:
Vielen Dank. Das Prädikat nehme ich gerne mit.
LG
AlX
matwildast (37)
(16.02.18)
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