Liebe Marlene

Brief zum Thema Begehren

von  Inlines

Du kannst meine Worte nicht vergessen. Denn du hast sie nie gehört. Da waren bloß Geräusche in vermischten Vogellauten. Eine vage, zweifelhafte Melodie. Eine intime Huldigung, die man nicht verstehen kann, außer dass man hören wollte, was man eigentlich nicht hört.

Ich schreibe wieder, Marlene. Siehst du? Ich sammle wieder Trockenblumen meiner großen Liebe wegen. Suche warme Worte, zugesägte Scheite, in den alten, unumsorgten Wäldern, wo die Äste knacken, in mir drin. Ich rieche wieder das Mädchen, das ich nie gerochen habe. Erfreue mich wieder der Brieffreundin, der ich immer schon geschrieben habe, ohne meine Briefe aufzugeben. Die nie gehorchen konnte, nie energisch in die Höhe fahren durfte, wegen jenem groben Liebeswerben, das ich täglich aus den Fingerspitzen treibe. Das ich jeden schwülen Nachmittag verlegen in den Windzug hauche, damit sich Wünsche in dir bilden, wie an einem völlig blauen Himmel die ersten dünnen Wolkenfetzen. Dass schwere Schwaden in dir wachsen, und dich drängen, eingeschweißtes Briefpapier, auf dem ein DM-Zeichen prangt, mit deinen zarten Fingern zu umspielen.

Marlene. Deine Nachbarn sollen klopfen. Ihre Hunde anschlagen. Einmachgläser aus Regalen stürzen. Ich will, dass du aufspringst, weil du innerlich so aufgeladen bist. Dabei ein Glas mit Apfelsaft verschüttest. Und dann eines der Kuverte hektisch aus der Plastik-Packung reisst. Es soll wild geschehen, als fehlte Zeit um Luft zu holen, dass du einen Brief an Unbekannt verfasst. Einen, in dem Blitze sich entladen, und während dem Verfassen deine Magengegend kribbelt, als würdest du das erste Mal erkennen, dass in dir eine Sehnsucht nach Befriedigung besteht. Als ständest du auf dem Schulhof, und ein Junge, den du liebst, gestände dir, dass er sich mit dir balgen möchte. Um herauszufinden, wer von euch beiden sexuell den andern dominiert.

Verstehst du nun mein Schweigen? Die Stille, die ich dir geboten habe, dass ein Ton entstehen kann? Und - kannst du eine Antwort geben?

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (13.06.18)
Brief eines Stalkers, so läßt die Meta-Ebene stark vermuten ...
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