Julia

Kindergeschichte zum Thema Alleinsein

von  Februar

Julia und ihr Schutzengel
                                                                                             

Sie kann wieder mal nicht einschlafen
Es ist Vollmond. Sie steht auf und geht ans Fenster. Leise, dass sie niemand hört, öffnet sie das Fenster.
Die Vorhänge blähen sich im Nachtwind. Sie hört das leise Rascheln der Blätter des Baumes. Sie sind beide acht Jahre alt. Morgen ist ihr Geburtstag. Sie ist schon ganz zappelig, was wird sie bekommen? Wird es das Fahrrad sein, das sie sich schon solange gewünscht hat.
Ihr Vater sagt immer die Straßen sind zu gefährlich, die Autos rasen und wie schnell ist etwas passiert.
Aber Julia weiß dass sie einen großen Schutzengel hat. Manchmal sieht sie ihn unten an ihrem Bett stehen. Und wenn sie wirklich nicht einschlafen kann, dann sitzt er neben ihr und streichelt über ihr Gesicht. Dann spricht er auch mit ihr und summt leise Kinderlieder. Julia wird dann immer ganz ruhig, sie kann sich an das eine Lied erinnern: „Der Mond ist aufgegangen.“
Immer wenn Vollmond ist steht sie am Fenster. Sie wartet, sie wartet auf ihren Schutzengel. Oft summt sie die Melodie des kleinen Liedes. Bisher hat sie noch niemand etwas davon gesagt, auch ihrem Vater nicht. Er hat soviel zu tun, da darf sie ihn nicht dabei stören, wie Rose sagt.
„Er muss schreiben, dass wir etwas zu essen haben.“ Das versteht sie jetzt schon, dass der Papa mit dem Schreiben Geld verdient. Manchmal sitzt sie still an ihrem kleinen Schreibtisch und sie versucht ihre Gedanken einfach in Worte zu fassen. Es sind immer wieder die Gleichen.

" Liebe Mama, wo bist Du? Kannst Du nicht einmal kurz kommen, ich habe solche Sehnsucht nach Dir. Warum bist Du fortgegangen? Mama, ich weiß noch wie du aussiehst ich habe nämlich ein Bild von Dir hier stehen. Mama, ich habe es noch niemand gesagt, nur du und ich wissen es, Mama ich habe eine Schutzengel er sieht genau so aus wie du, und er singt mir Lieder vor die ich kenne. Liebe Mama, du musst bald kommen, dann lernst du ihn auch kennen. Ich war noch ganz klein da warst du nicht mehr da. Wenn ich Papa frage, weint er immer. Mama komm schnell heim, dass das endlich aufhört. Er gibt mir nie eine Antwort und Rose schimpft mich immer, sei nicht so neugierig, aber Mama, gell du hast mich noch lieb, auch wenn du nicht gleich kommen kannst.
Ich will ja gerne noch ein bisschen warten, aber morgen ist doch mein Geburtstag das wäre mein schönstes Geschenk. Vergiss mich bloß nicht hunderttausend Küsschen
                                    Deine Julia

Warum ist sie fortgegangen, wollte sie uns nicht mehr?
Sie zieht ihre rosa Hausschuhe an, die mit dem Silberstern öffnet leise ihre Schlafzimmertür und geht die etwas ausgetretene Holztreppe hinunter.
Leise um niemand zu wecken geht sie in ihres Vaters Zimmer. Sie will eine Briefmarke holen, als sie den Lichtschein unter der Tür sieht. Schon möchte sie wieder hoch gehen, als ihr einfiel, weswegen sie da war. Beherzt drückte sie die Klinke nieder und trat ein.
Still stand sie nun an der Tür und getraute sich nicht zu rühren. Ihr Vater saß hinter seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt und schluchzte. Ganz zart rief in Julia an,
„Papa“, verstört hob er den Kopf und wischte sich hastig über das Gesicht. Aber Julia hatte genug gesehen.
Er hatte geweint. Müde fragte er,
„was willst Du, warum bist Du nicht in Deinem Bett?“ Schüchtern sagte sie:
„Ich brauche einen Umschlag und eine Briefmarke“. -
"Wozu“? –
„ Ich habe meiner Mama einen Brief geschrieben und da ich doch morgen Geburtstag habe, will ich, dass sie kommt.“ „ Zeig mal her.“ Zögernd ging sie ein paar Schritte auf ihn zu. „Na komm schon her.“ Sie sah ihn gespannt an, als er den Brief las. Dann zog er Julia auf seinen Schoß. Lange Zeit war es still zwischen ihnen.“-
„ Mäuschen“, oh, wie lange hatte er es nicht mehr zu ihr gesagt,
„Mäuschen, Deine Mama kann nicht kommen, sie ist beim lieben Gott.“-
„Dann ist sie also mein Engel, der jede Nacht kommt?“-
„Ja Liebling.“ Er verbarg sein Gesicht in den Haaren seines Kindes und seine Tränen liefen über ihr Gesicht. Nun weinte Julia auch, doch weniger aus Trauer sondern weil es ihr Papa tat.
„Warum ist sie fortgegangen, konnte sie uns nicht mitnehmen. Wollte sie uns nicht mehr?“ Qualvolles Stöhnen zeigte ihr, dass sie ihm mit ihrer Fragerei wehtat.
Konnte er ihr alles sagen,
konnte er sagen, dass er sich die Schuld gab an dem Autounfall, obwohl alle sagten dass er es nicht war, dass der LKW die Schuld trug und auch deswegen bestraft wurde?
Konnte er ihr sagen, dass sie drei Monate in einem Gipsbett lag, dass er auch einen Schädelbasisbruch hatte?
Konnte er ihr sagen, dass ihre Mutter so schwer verletzt war, dass sie, wäre sie davon gekommen ewig ein Pflegefall gewesen wäre und ihr Kind nicht mehr erkannt hätte?
Er war froh, dass sie keine Erinnerung zurück behalten hatte. Sie war damals drei Jahre alt. Vor lauter eigenem Schmerz lebte er nur für sich und gewahrte gar nicht, dass noch jemand da war, um den er sich kümmern musste.
Hätte er den Brief nicht gelesen, hätte er ihren Geburtstag vergessen.
„Komm wir gehen schlafen. Wird Dein Schutzengel heute Nacht noch einmal kommen?“ –
„Ganz bestimmt, er hat es mir versprochen, immer wenn es Vollmond ist schaut er bei mir vorbei. Im Stillen dachte er sich,
„diesen Glauben muss man haben." Und er nahm sich vor mit ihr morgen zum Grab ihrer Mutter zu gehen und anschließend ein Fahrrad zu kaufen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (22.07.19)
Verstehe nicht, welche Bedeutung das Alter des Baumes vor ihren Fenster haben soll.

 Februar meinte dazu am 22.07.19:
Er wurde zu ihrer Geburt gepflanzt , bei und daheim ist das so Brauch. Danke für Deinen Kommentar.

 August (30.07.19)
Eine sehr bewegende Geschichte.
Der Tod ist für ein Kind nicht zu begreifen.
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