Eisblumen

Kurzgeschichte

von  AvaLiam

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Illustration zum Text
(von AvaLiam)
'Ja, Schau nur blöd. Ich sitz hier zum Spaß und weiß mit meiner Zeit nichts anzufangen.' ...und mit mir.
Das Fragezeichen in deinen Augen kann ich ganz deutlich sehen....und wie du nach Schubladen suchst.  Es ist kalt!

Minus 4 Grad zeigt das Thermometer. Langsam wird es ungemütlich.
Es ist keine schöne Jahreszeit, um auf dem Boden zu sitzen.  Die Ohren zwicken.
Gott-sei-Dank pfeift hier im Durchgang der Einkaufspassage der Wind nicht durch.
Wobei - er könnte dann all die kritischen und wertenden Blicke mit fortnehmen.
Sie haften mir an wie Fliegen einer Leimfalle. Widerlich. Egal wie herum man es betrachtet. Keiner sollte hier sitzen müssen. Keiner sollte so dämlich schauen.
Ohne zu fragen...jedenfalls. Ich wurde nicht gefragt...nie. 
Ein gut erzogener Rebell war ich, im Sterntalerkostüm und blühte nur an Mauern auf.
In dieser Saukälte hier blühen nur Eisblumen.
Wundervolle Kunstwerke. Sehr klar und strukturiert. Beneidenswert.
Langsam wird es ruhig.  Nur vereinzelt ziehen Menschen vorrüber.
Hastig verschwimmen sie im hereingebrochenen Dunkel.
Das geschäftige Licht der Straße ist der winterlichen Stille gewichen.
Nur der Schein der alten Laternen gewährt einzelnen Schneeflocken einen zarten Schimmer.
Minus 10 Grad. Stunden sitze ich hier, zusammengekauert, verzweifelt auf Wunder gehofft.
Es fühlt sich seltsam an.
Die Ohren taub, Gefühl nur noch bis handbreit überm Knöchel.
Darunter ist nur stumpfer Schmerz und Füße die versagen.
Die Finger steif, verweigern jeden Griff.
Die Kopfhaut brennt...so auch Nacken, Schultern, Arme, Hände.

Ich muss aufstehen. Mal wieder. Wenn ich leben will.
Von dieser sinnsuchenden Frage getrieben, aufs Neue, rappel ich mich irgendwie auf
und ich schaffe sogar ein paar Meter, bis zur Bushaltestelle, auf die Bank.
Irgendwann rüttelt jemand an mir. Meine Augenlider sind tränenverfroren.
Ich frage nicht. Ich bin müde...


Anmerkung von AvaLiam:

Auszug Niederschriften Erlebnisse / gesellschaftskritisch

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (06.08.19)
Hallo Ava,
ein bemerkenswerter Text.
Kritisch sehe ich seine Länge. Aus meiner Sicht könnte der Abschnitt
Das geschäftige Licht der Straße ist der winterlichen Stille gewichen.
Nur der Schein der alten Laternen gewährt einzelnen Schneeflocken einen zarten Schimmer.
Minus 10 Grad. Stunden sitze ich hier, zusammengekauert, verzweifelt auf Wunder gehofft.
Es fühlt sich seltsam an.
Die Ohren taub, Gefühl nur noch bis handbreit überm Knöchel.
Darunter ist nur stumpfer Schmerz und Füße die versagen.
Die Finger steif, verweigern jeden Griff.
Die Kopfhaut brennt...so auch Nacken, Schultern, Arme, Hände.

- nach einem Absatz - problemlos entfallen. "Ausgewalztes" Leid ist halbes Leid.
Du hast eine sehr schöne klare Stimme und auch das Foto gefällt. :) Ich bin schon auf Weiteres gespannt.

Herzliche Grüße
der8.

 AvaLiam meinte dazu am 06.08.19:
Vielen lieben Dank. Fürs Lesen, fürs Hören, fürs Bewerten und Empfehlen, für Lob und Rat.
Ich bin selbst nicht zufrieden. Jedoch waren alle anderen meiner (bitte melden wenn welche aufkeimen) Ideen dazu noch weniger zufriedenstellend.
Der Passus sollte im Zusammenhang des übrigen Textes beschreiben wie ich langsam erfriere (Tatsachen berichtend)...Stück für Stück...ich in einer ganz speziellen Weise auch eine Eisblume (Sinnbild für Gesellschaft/bzw.bestimmte Menschen der Gesellschaft) werde (übertragen)... die Schmerzen deutlich machen, die ein Mensch dabei hat (auch als Mahnung, an Obdachlose kein Geld für Alkohol zu geben der den Kältetod beschleunigt), wie der Moment sich anfühlt wenn du weder einfach weglaufen kannst noch nach irgendwas greifen weil Füße/Beine und Arme/Hände einfach taub geworden sind und den Dienst versagen... dies alles basierend auf dem Dilemma in dem ich steckte - ohne Ausweg, ohne die Chance, von allein dort wieder herauszukommen und die Bereitschaft von außen, mir zu helfen.
Wie der Geist auch langsam nicht mehr rebellisch und eigen arbeitet, zuletzt das Denken aufgibt mit dem Verbleib der basalen Wahrnehmung seines Körpers und dem trotzdem immer wieder aufflackernden Lebenswillen... die fehlende Kraft und Möglichkeit, die nötigen Schritte selbständig gehen zu können - nicht zuletzt und vor allen Dingen scheiternd an Gesellschaftsformularen in denen für Um-und Abwege einfach kein Platz ist.
Niemand fragt eben warum. Man passt nicht ins Bild, ins Konzept. Und deshalb gibt es weder Hilfe noch ein Zugehörigkeit. Das ganze eingebettet in eine wunderschöne winterliche Atmosphäre (ich liebe Winter - ich komme aus dem sächsischen Erzgebirge - traumhafte Gegend) und dies auch gelten lassen können neben all dem Irrsinn in dem man gefangen ist.
Ja - und und und. Da fehlt natürlich das Vorwissen - nachher im zusammenhängenden Wasauchimmereswerdenwird - erschließen sich sicher viele Dinge und machen dann auch einige Textstellen unnötig.

Ich würde es gern entsprechend anpassen - da es mir persönlich eine wichtige Erfahrung ist/war die ich nicht ganz herausnehmen möchte, da sie ja dazugehört.

Sorry die vielen Zeilen - ich habe den Eindruck, sie sind bei dir gut investiert.

lG - Ava

 AchterZwerg antwortete darauf am 06.08.19:
Liebe Ava,
schön, dass du dich mit meiner Kritik beschäftigt hast.
Die Eisblumen sind demnach durchaus erhaltenswert.
Vielleicht könntest du den Text insgesamt etwas straffen?
Oder (!) von der Ich-Form in die sie-Form "fallen."
Nach einigem Nachdenken bin ich nämlich darauf gekommen, dass dieses "Ich" bei mir zu viel Betroffenheit auslöst. Und das immer wieder.
Nähmst du das allgemeinere "sie", gäbe es so etwas wie professionelle Distanz, die in der Regel dramatischer wirkt als die "eigene" Betroffenheit. Du überlässt es dann gleichsam den Lesern, was sie sich textlich anziehen wollen und was nicht.
Kannst ja mal überlegen ...

Herzliche Grüße
der8.

Herzliche Grüße
der8.

 AvaLiam schrieb daraufhin am 06.08.19:
Ich freue mich sehr, dass die Ausführungen zum Text von dir gelesen und angenommen wurde.

Die Idee mit dem "sie" klingt sehr interessant und absolut vorstellbar. Vielen Dank dafür.

Ich schau mir das später mal an wie ich das ohne "Stolpersteine" umsetzen kann.

liebe Grüße - Ava
Kreuzberch† (66)
(06.08.19)
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 AvaLiam äußerte darauf am 06.08.19:
Moin... wie ich es liebe

Moin Stefan,

danke dir sehr. Kernaussage - ja gewiss.. Zwischen vielen Atomkernen :-D

Und manchmal reicht sich eben keine Hand. Da fällt es besonders schwer, zu vertrauen, zu glauben, zu kämpfen.
Und manchmal ist man unter dem Unten.

Um zu Leben - egal in welchem Sinne - ob die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gemeint ist, das gesundheitliche/körperliche Leben, das eigene Wesen/den Charakter betreffend...und die vielen kleinen Leben dazwischen...muss man immer in Bewegung bleiben... nie zu lange Ruhen...gerade wenn man friert... sonst wird man wird sie... die Eisblumen... eine Kunstfigur...

das wollt ich noch einwerfen :-D

schön - dein Lob

lG - Ava
Stelzie (55)
(06.08.19)
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 AvaLiam ergänzte dazu am 06.08.19:
Lieben Dank Kerstin...

freut mich wenn ich das mit hineinbringen konnte...
es war der erste Versuch, etwas Erlebtes aufzuschreiben und nicht einfach nur aufzuschreiben, sondern ihm auch auch Sinn und Inhalt zu verleihen...

schön, dann so ermutigende Zeilen zu lesen...

lG - Ava

Antwort geändert am 06.08.2019 um 23:23 Uhr

 franky (08.08.19)
Hi liebe Ava!

Du hast das, einen eigenen Text zu lesen überzeugend gelöst.
Dir hilft dabei die schöne Klangfarbe der Stimme, sie lässt einem die Traurigkeit und Melancholie deutlich spüren.

War gerne Bei dir zu Gast.
Liebe Grüße

Von
Franky
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