Schlussakkord

Kurzprosa zum Thema Vergessen

von  AvaLiam

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Zu Gast in Omas Ungedanken
darf ich am selben Tische sitzen.
Groß ist der Raum zum Speisen
und gemütlich wirklich nicht.
Sie blickt erdrückt der vielen Stimmen
ganz mutlos in die graue Leere.
Ist ihr  doch eins noch klar: es bleibt
ihr fremd was fremd geworden ist.
Mein Name ist ihr unbekannt,
und wer ich bin und wer ich war.
Meinen Klang scheint sie zu mögen,
sie wendet sich mir offen zu.
Gleich meine Hand die ihre hält.
So zerbrechlich, knöchern, alt.
Dunkle Skizzen, tintenblutig,
ädern dünnes Pergament.
Leben zeichnend ihre Narben,
klagen still, vergessen nie.
Meine Finger streichen sanft
über ihre tiefen Falten
als in ihren müden Augen
zartes Leuchten Nebel lichtet.
'Dich hab ich auf dem Arm gehalten' ,
ihr erster Satz seit vielen Tagen.
Und wenn es auch ihr letzter ist,
kann ich ihn froh im Herzen tragen.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (06.08.19)
Dunkle Skizzen, tintenblutig,
ädern dünnes Pergament.
Leben zeichnend ihre Narben,
klagen still, vergessen nie.

Das ist eine sehr gelungene Passage. :)
Das ganze Gedicht spricht mich an. Im Ton eher verhalten, gleichwohl berührend.

Liebe Grüße
der8.

 AvaLiam meinte dazu am 06.08.19:
Ich wollte ein wenig Gleichklang und möglichst wenig Aufregung für Oma erreichen... sie ist doch in diesem Stadium so schrecklich leicht aus der Ruhe zu bringen und zu verunsichern...

Deine wohlwollende Meinung freut mich sehr.

lG - Ava
Kreuzberch† (66)
(07.08.19)
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 AvaLiam antwortete darauf am 07.08.19:
Moin Stefan

Danke - ja - es war auch ein sehr ergreifender Moment. Nachdem sie sich ja an so gar nichts mehr wirklich erinnern konnte und dann flammte das auf... das hat hat schon ganz schön aufgeweicht....

Das langjährige Erinnerungen sich zuletzt verlieren ist ganz typisch für die Demenz... es erstaunt natürlich wenn einfachste Dinge wie Essen und oder Anziehen aufgrund der Abfolge der Motorik nicht mehr funktionieren weil das Hirn es einfach nicht mehr schafft - aber wie sie im Krieg geflüchtet sind - das wissen sie noch sehr genau... oder wie sie den Soldaten Essen aus den Vorräten geklaut haben und sich lustig über sie gemacht haben... :-D

Es ist auf jeden Fall eine schwere Zeit - für alle Beteiligten - und jeder kleine, lichte Moment bedeutet viel - vor allem wenn man selbst Teil des Momentes ist der die eigene Bedeutung beschreibt.

ich wünsche dir einen wundervollen Tag - Ava

 franky (08.08.19)
Hi liebe Ava!

Bin ganz still geworden und habe deiner Stimme gelauscht.
Mir war, als hättest du es für mich gelesen.
Deine Stimme hat einen herrlichen Wohlklang.

Liebe Grüße fliegen zu dir nach Norden

von
Franky:-)

 AvaLiam schrieb daraufhin am 08.08.19:
Geschätzter Franky,

so ganz falsch liegst du mit dem Eindruck nicht.
Gedacht habe ich tatsächlich auch und besonders an dich.
Ja - und an meine Oma natürlich. :D

Erstaunlich, dass es so hörbar war.
Vielleicht liegt das an den herausgebildeten Fähigkeiten die du voraus hast.

Es freut mich sehr, dass es so gut bei dir angekommen ist.

Herzlichste Grüße - Ava

 princess (10.08.19)
Hallo Ava,

verblüffend für mich: Während die geschriebene Variante mich beim ersten Lesen nicht wirklich erreicht, fesselt mich die Hörversion bereits bei den ersten Klängen. Vielleicht bin ich doch mehr so eine Art akustische Leserin. Oder du so eine Art akustische Schreiberin.

Rein formal - du hast den Text als Kurzprosa eingestellt - ist Hauptmerkmal von Prosa der Textfluss, d.h. bis auf Absätze wird der Text formal nicht unterbrochen. Das kann ich hier nicht finden. Beim Zuhören sehe ich es allerdings auch nicht.

LG p.

 AvaLiam äußerte darauf am 27.08.19:
Auch hier kann ich dir endlich antworten. :)

Nicht jeder Autor, nicht jeder Stil, nicht jeder Text toucht uns.
So ist das auch mit Musik oder Filmen, Speisen oder Kleidung.
Geschmäcker sind verschieden.
Es ist auch die Stimmung in der wir uns selbst befinden die uns empfänglich macht oder nicht.
Ob uns etwas gefällt oder nicht wird durch viele verschiedene Faktoren bestimmt. Ich frage mich oft warum mir etwas gefallen hat langweilt es mich doch - oder etwas was ich heute total super finde habe ich lange ignoriert. Ich würde da keine große Wertigkeit hineinlegen.

Zum Formalen. Im Grunde ist es ja ein Textfluss. Der ist ja nur durch eine ruhige, bedächtige Erzählweise "unterbrochen" - im Grunde bleibt er aber im Fluss. - daher hab ich Kurzprosa gewählt. Also aus meiner Sicht war es nicht falsch. Aber ich hab das auch nie gelernt. :D Bin auf dem Gebiet Volllaie.

liebe Grüße - Ava
Dieter Wal (58)
(08.09.19)
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 AvaLiam ergänzte dazu am 08.09.19:
Danke :)

Ich gebe zu - in der DDR hat man sich gern meiner Person bedient, Dinge vorzutragen - das rezitieren hat mir immer sehr viel Spaß gemacht, Worte zu beleben und mit Wärme zu füllen, Sätze tanzen zu lassen...bla bla... und da ich zu den wenigen Menschen gehöre, die den heimatlichen Dialekt recht gut kontrollieren können, hat man mich überall vorgeschickt und vorgestellt, teilweise ganze Reden zu präsentieren...
Da einige Vorträge ernste Themen anschlugen wäre ein typisch sächsischer Slang dem sicher nicht gerecht geworden und mit mir hatte man ja eine Alternative :D .

 HerrSonnenschein (12.09.19)
Sehr berührend. Die Hörversion ist sehr schön. Du hast eine Stimme, der man gerne zuhört.
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