Bezieher von Sozialleistungen haben teilweise noch Anspruch auf eine Nachzahlung für 2018 – Für die Übernahme der Mietkosten fehlt(e) mancherorts ein schlüssiges Konzept

Aufruf zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  ReinhardGroßmann

Bezieher*innen von Arbeitslosengeld 2, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter, die 2018 einen Teil der Miete von ihren Geldleistungen für den allgemeinen Lebensunterhalt bezahlt haben, können unter Umständen noch bis Ende 2019 einen Überprüfungsantrag stellen und eine Nachzahlung erhalten.

Für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld 2 (ALG II), Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter werden neben dem für den allgemeinen Lebensunterhalt bestimmten Geld (Regelsatz) auch Wohnkosten übernommen. Die Kommunen legen in Richtlinien fest, welche Unterkunftskosten sie für „angemessen“ halten. Diese Richtlinien entsprachen (oder entsprechen) des öfteren nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes. Danach muss die Ermittlung der regional angemessenen Kosten der Unterkunft auf der Grundlage eines überprüfbaren, schlüssigen Konzepts unter Einhaltung anerkannter mathematischer und statistischer Grundsätze erfolgen. Bundesweit wurden viele Sozialleistungsberechtigte unberechtigterweise aufgefordert, sich eine neue Wohnung zu suchen oder einen Teil der Miete aus ihrem verfassungsrechtlich garantierten Regelsatz zu bezahlen.

Wenn ein „schlüssiges Konzept“ fehlt …
Wenn es für die zulässigen Mietkosten keine nachvollziehbare Berechnung nach einem „schlüssigen Konzept“ gibt (und auch keine nachträgliche Abhilfe), sieht das Bundessozialgericht (BSG) die Höchstbeträge der letzten Wohngeldtabelle (bezogen auf die Einstufung der Kommune) plus einem Sicherheitszuschlag¹ von 10 Prozent für angemessen an. Hierzu gibt es einige Urteile, beispielsweise vom 22.9.2009 (BSG, B 4 AS 18/09 R) ( ) oder vom 22.3.2012 (BSG, B 4 AS 16/11 R) ( ). (In dem letzten Link findet sich auch eine Wohngeldtabelle.)

Was kann man tun?
Sich die örtlichen Richtlinien² anschauen: Gibt (oder gab) es für deine Kommune ein „schlüssiges Konzept“? Vielleicht können ja dazu Sozialberatungsstellen eine erste Einschätzung geben? Vielleicht wurde die örtliche Richtlinie schon viele Jahre lang nicht an die steigenden Mieten angepasst? Wenn du zu dem Schluss kommst, das es in deiner Kommune 2018 kein schlüssiges Konzept gab, dann gilt:
Leistungsberechtigte, die 2018 einen Teil der Miete selbst bezahlt haben, können bei ihrer Behörde noch bis Ende 2019 einen Überprüfungsantrag nach Paragraph 44 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) stellen und eine Nachzahlung fordern. Dabei sollten sie sich auf die Urteile des Bundessozialgerichtes berufen. Im Überprüfungsantrag sollte angegeben werden, welche Bescheide überprüft werden sollen und weshalb sie falsch waren. Es  ist wichtig, für den Fall der Ablehnung Widerspruch und Klage anzukündigen, damit man auch ernst genommen wird. Unter Umständen kann man sich bei örtlichen Beratungsstellen bei der Formulierung helfen lassen.

Weitere Hinweise
Laut  Paragraph 44 SGB X könnte man sich eigentlich noch für fehlerhafte Bescheide der letzten vier Jahre Geld nachzahlen lassen. Dieser Zeitraum wurde vom Gesetzgeber hier aber für die Sozialhilfe³ und das Arbeitslosengeld 24 auf ein Jahr verkürzt. Laut dem Sozialgesetzbuch 15  soll es für die nachzuzahlenden Beträge auch eine Verzinsung geben.
Es wird, damit nichts schief geht, allgemein empfohlen, den Antrag persönlich beim örtlichen Jobcenter oder dem Sozialamt abzugeben und sich den Eingang auf einer Kopie bestätigen zu lassen.

Trotz genauer Recherche wird  keine Gewähr für die Richtigkeit aller Angaben gegeben.
Für die Inhalte aller angegebenen Links sind die jeweiligen Webseiten-Betreiber verantwortlich.


Anmerkungen:
1 Einen Sicherheitszuschlag soll es geben, weil die Wohngeldtabelle nicht regelmäßig angepasst wurde. Ab dem 1.1.2020 gibt es eine neue Wohngeldtabelle mit teilweise neuen Einstufungen für manche Orte, die dann alle zwei Jahre fortgeschrieben wird.
2 Örtlichen Richtlinien finden sich häufig auf der Webseite des zuständigen Sozialamtes/Jobcenters oder auch unter folgendem Link:  
3 Durch Paragraph 116a Sozialgesetzbuch 12
4 Durch Paragraph 40 Sozialgesetzbuch 2
5 Laut Paragraph 44 Sozialgesetzbuch 1

Kommentar
Das Grundgesetz wird nur zum Teil erfüllt. Nur wer seine Grundrechte kennt und sich darauf beruft, kann sie auch wahrnehmen. Für viele andere bleibt die Realität leider hinter den Urteilen der Bundesgerichte zurück. Die Bürger werden nicht informiert. Manche haben auch nicht den Mut, die entsprechenden Anträge zu stellen. Ich halte es nicht für fair, wenn Anspruchsberechtigten von Arbeitslosengeld 2 und Sozialhilfe nur eine kurze Frist eingeräumt wird, die alten Bescheide überprüfen zu lassen. Die Behörden sind dagegen an diese Fristen nicht gebunden.

Es kostet natürlich Geld, die sozialstaatlichen Prinzipien des Grundgesetzes umzusetzen. Große Wohnungskonzerne treiben unter dem Einfluss internationaler Hedgefonds (und anderer Finanzspekulanten) die Mieten in die Höhe. Es war ein großer Fehler, diesen den Marktzugang zu ermöglichen und dazu noch Steuergeschenke zu machen. Die Städte könnten viel Geld sparen, wenn sie selbst neue Sozialwohnungen bauen würden. Die Konzerne interessieren sich weniger für ein „Recht auf Wohnen“, sondern dafür, wie sie mit den Wohnungen hohe Profite erzielen können. Schon der Vater von Donald Trump baute im Auftrag des Staates Sozialwohnungen – und wurde reich damit.

Die Mietrechtsreform 2019 erlaubt leider den Konzernen, Modernisierungen bis zehntausend Euro pro Wohnung nach einem vereinfachten Verfahren durchzuführen. Diese können dann die Miete um ca. 46 Euro pro Monat erhöhen, ohne dabei  wirtschaftliche Härteeinwände zu beachten. Das stellt besonders für Sozialleistungsberechtigte, die schon von ihrem Geld für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Miete dazu zahlen, ein hohes Risiko da.

In Bayern gibt es ein breites Bündnis, das in einem Volksbegehren einen  Mietenstopp fordert. Sollte das Volksbegehren erfolgreich sein, würde es dort indirekt auch dazu führen, dass die sozialen Prinzipien des Grundgesetzes häufiger eingehalten werden. So etwas wäre überall sinnvoll. Die steigenden Mieten bewirken, dass immer mehr Menschen auf Sozialleistungen angewiesen sind. Leider gibt es auch in dem Text des bayrischen Volksbegehrens noch Lücken, die Konzerne ausnützen können.

Link mit Beiträgen zum Thema „ Schlüssiges Konzept

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Kommentare zu diesem Text

Aha (53)
(30.11.19)
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 30.11.19:
Ich habe schon immer vermutet, dass 99% aller kVler Hartz IV beziehen (bzw. ALG 2 wie es, glaube ich, korrekt heisst).

Ich persönlich habe die Befürchtung, dass uns eher die Krankenkassenbeiträge dahin treiben, nicht die Mieten.

Antwort geändert am 30.11.2019 um 10:49 Uhr

 AchterZwerg antwortete darauf am 30.11.19:
Das wahre Elend beginnt in der Zeit der Verrentung. Insbesondere durch die verfassungswidrige Doppelbesteuerung.
Da in unserem Staat Beamte einen Sonderstatus genießen, gelten für jene bessere Bedingungen
Das Ungerechteste aber ist, dass auch andere Bevölkerungsgruppen von der Einzahlung in die gesetzliche Rentenkasse ausgenommen sind.
In dieser Hinsicht ist das hiesige System durch und durch marode.

 Augustus schrieb daraufhin am 30.11.19:
Man darf nicht die gewaschenen Gelder Krimineller vergessen, die in Millarden in das regulären Finanzsystem durch beispielsweise lettische Banken in die EU geschleust werden.. Mit diesem Geld werden dann vorzuüglich in Immobilien investiert. Dazwischen werden fünf Firmen mit Strohmännern geschaltet, damit man nicht weiß, dass am Ende der Kette der Großkriminelle aus Uspekistan Grigovorovac (Name erdacht) steckt.
Übrigens ist Deutschland eines der wenigen Länder, die dagegen sind, dass der letzte Genussberechtigte in der Kette offengelegt werden soll. Warum bloss, hmm?
Alle sollen in die gesetzliche Rente einzahlen, so wäre m.E. das Problem der Ungleichbehandlung gelöst.
Man darf nicht vergessen, dass der Euro die DM abgelöst hat. Die Verbraucherpreise sind gestiegen und dass der Wert der Einkünfte in der Regel im Vergleich zur Leistungsfähigkeit der DM gesunken sind.
Ebenso hat sich 8 Jahre nach der Einführung des Euros die erste Wirtschafts- und Finanzkrise in Deutschland und EU ereignet, darüber hinaus frisst der 0-Zins die Ersparnisse der Bürger auf.

Dei Frage, die automatsich sich hierbei stellt; ob die EU lieber Raub als Kreig bevorzugt? Raub, den trotz Armut ist man am wenigstens Leben.

Antwort geändert am 30.11.2019 um 21:23 Uhr

 ReinhardGroßmann äußerte darauf am 01.12.19:
Vielen Dank, Aha, für deinen positiven Kommentar und deine Empfehlung! Leider kommen die Infos häufig nicht bei denen an, für die sie relevant sind. Deshalb bitte ich dich, das mal an jemanden weiterzugeben. Ich bedanke mich auch für die weiteren Empfehlungen.

Es gibt meistens verschiedene Gründe für ein Dilemma. Für die steigende Altersarmut gibt es deshalb mehrere Ursachen. Das Sozialgesetzbuch 6 (das die Rente betrifft) gehört zu den am meisten geänderten Gesetzen (seit 1992.) Die Philosophie dahinter ist wohl eine Salami-Taktik: Wenn man in vielen kleinen Schritten kürzt, fällt es den Leuten nicht so auf.

Auf der anderen Seite werden, zulasten des Staates, Reiche noch reicher. Der Staat hat sich zudem in der Vergangenheit teuer verschuldet. Das hängt mit bestimmten Regeln zusammen, die es hierbei gibt. Privatbanken dürfen sich über die Zentralbanken günstig finanzieren – Staaten mussten dafür teuer zahlen. (Und sie tun das auch heute.)

Antwort geändert am 01.12.2019 um 11:44 Uhr

 Augustus ergänzte dazu am 01.12.19:
Der Staat hat sich zudem in der Vergangenheit teuer verschuldet.

Ich hab Schäuble von der schwarzen Null die letzten Jahre predigen hören. Der Staat habe sich eben nicht verschuldet. In vielen (mittlerweile in fast allen, ausser wohl Berlin) Bundesländern ist in den Landesgesetzen die Schuldenbremse eingeführt, die noch minimale Schulden machen gewährt, ansonsten stehen den Bundesländern bloß die Umverteilungsgelder aus dem Bundestopf zur Verfügung.
Wie also hat sich der Staat in der Vergangenheit verschuldet?

 ReinhardGroßmann meinte dazu am 02.12.19:
Ich zitiere sonst ja nicht Wikipedia, aber: "Der Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland betrug am 31. Dezember 2017 insgesamt 1.967 Milliarden Euro, davon entfallen 1.243 Milliarden Euro auf den Bund, 586 Milliarden Euro auf die Länder und 138 Milliarden Euro auf die Kommunen sowie 0,4 Milliarden Euro auf die Sozialversicherung."
 

Die „Schwarze Null“ bezieht sich ja immer auf die Neuverschuldung. Der Schuldenstand hatte sich bis 2012 stark aufgebaut.

Woanders kann du auch nachlesen, das allein der Bund in 2019 19 Milliarden Euro für Zinsen bezahlt. Dieses Geld fehlt dann für sinnvolle Dinge im Haushalt.
Damit meine ich allerdings nicht die Militärausgaben. Dafür wird zu viel Geld ausgegeben. Deutschland zahlt jetzt ab 2021 soviel an die Nato, wie die USA.

 Graeculus meinte dazu am 27.12.20:
Deutschland zahlt jetzt ab 2021 soviel an die Nato, wie die USA.
Wirklich?

 ReinhardGroßmann meinte dazu am 27.12.20:
Graeculus, damit waren die Beiträge in die gemeinsame Kasse der Nato gemeint. Damit werden zum Beispiel die Hauptquartiere sowie die Infrastruktur finanziert, die von allen Ländern genutzt werden. Natürlich sind die Militärausgaben der USA mit Abstand die höchsten der Welt. Da kommt Deutschland natürlich nicht heran, auch wenn die deutschen Militärausgaben sehr hoch sind.
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