Welche Zahl bleibt stehen ?

Kurzprosa zum Thema Abhängigkeit

von  Unhaltbar87

Wir lebten so dahin, wobei die Betonung auf „hin“ liegt, weniger auf „da“.
Wo hin es ging, redete ich mir ein, wussten wir so ungefähr, denn ich verbrachte eine nicht unerhebliche Zeit damit Leute zu bestatten. Wenn es doch wenigstens Menschen gewesen wären, die ich umgeben von einer unübersichtlichen bürokratischen Überfülle, ausgehöhlter Liturgie, schlechter Musik und kitschigen Blumenbuketts vergrub. Doch die trifft man selten, weder lebendig, noch tot. Leute sterben auch als solche. Die Toten wussten mehr über die Wahrheit als die Lebenden, dachte ich manchmal. Es ging also dahin, innerhalb eines gleichmütigen, banalen Gefilzes aus Kräften in denen wir irgendwie stattfinden sollten, ohne dabei wirklich etwas darüber zu wissen, was das seien sollte: „eine Kraft“ geschweige denn viele davon, und was sich aus ihrem Zusammentreffen ergibt, und ohne wirklich etwas darüber zu wissen ob es „sein sollte“, und wo es herkam. Im Grunde wussten wir gar nichts. Das war der Boden auf dem Wir dahin gingen. Gar nichts. Die Erde. Das Chaos. Die Geschichte(n).
Wir fallen auf und werden angesehen. Und wir denken, dass „Sie“ denken, dass wir bestimmt denken, dass Sie,... Naja.. Es gab diese gesellschaftliche Vereinbarung und Verabredung nach der „man“ sich irgendwie zu verhalten hatte, aber keiner von den Leuten die diese Verabredung wahr nehmen wollten, wussten, oder wollten wissen was genau sie zu tun hatten um an diesen fantastischen Ort zu gelangen, den alle miteinander so sehnsüchtig erhofften. Es gab höchstens so eine Ahnung und die fuhr Richtung gar Nichts, womöglich sogar verschiedene „Garnichtse“ am Ende vieler Schienen, die Jeder für sich, Planke für Planke, Enttäuschung für Enttäuschung vor sich her arbeitete. Man orientierte sich aneinander. Man fiel in ein Loch aus Erde und hielt sich an seinen Lieben fest, die auch nichts anderes taten. Wer bereit war in diesen fallenden Zug zu steigen und sitzen zu bleiben, den nannte man „Normal“. Sie waren an dieses „ich weiss nicht was“ gebunden, schnallten sich daran fest und fühlten sich fast sicher, und ich fürchte wir waren es auch. Sicher
Irgendwann wird man jeden einzelnen von uns, und alles was wir gegeben und genommen haben, vergessen haben. Sollte es irgendwann noch Erinnerungen geben, werden wir sicher kein Teil davon sein. Dieser Gedanke war beruhigend wenn auch unwahrscheinlich. Irgendwie war es aus diesem Blickwinkel heraus egal wer oder was „man“ ist, und auch wie „man“ ist, und was „man“ wem antut, oder wen „man“ ignoriert. Die meiste Zeit waren wir doch damit ausgefüllt werte von unwerten Informationen und Erscheinungen zu trennen, damit wir bei uns bleiben, damit wir irgendeine Form von Konsistenz behalten konnten, denn wer sind Wir, wenn nicht „wogegen wir uns abgrenzen“ oder „wofür wir uns abgrenzen“? Wirklich konkret ist sonst nur noch Schmerz. Hier ziehe ich eine Linie. Meine Haut juckt irgendwo. Ich kratze mich. Bestimmt gibt es dagegen auch irgendetwas, mit irgendwelchen Nebenwirkungen gegen die es sicher auch irgendetwas gibt, und dann legen wir uns hin und träumen.
Durch Traumketten gefesselte Herzen verlieren sich wie Wolken, über den Rand ihrer Welt. Dann regnet es. Dann ist es dunkel. Dann weiss wieder irgendwer irgendwas. Die Motten verbrennen sich ihre Beinchen an den Lampen. Es stinkt ein wenig nach Erinnerungen. Hinter unserem Rücken flattern die Kinder in unsere Räume. Im Mittelpunkt, ein Mittelpunkt. Allein. Wunden werden geschlagen. Horizonte werden gegraben, mit entzündeter Haut, mit aufgerissenem Sprachfleisch. Wir bemühen die längst abgenutzten, die verbrauchten, die müden, die erloschenen Worte, um sie vielleicht doch noch einmal zum schreien zu bringen, aber sie stöhnen nur und sterben vor meinen Augen. Hätten wir ein eigenes Wort und jemand könnte es hören, wären wir frei ? Begriffsschmerzen. Körper fallen in ihre Hoffnung. Die Gräber liegen offen, und die Namen, die mit weichen Zweigen in die Flüsse geschrieben werden ziehen mit den Fischen umher. Schwärme. Sie fühlen nichts. Wir werden sie essen. Unendlichkeit ist keine Medizin. Getröstet mit den Blumengedanken einer Ewigkeit, eines lebendigen Stillstandes, ziehen wir an den Haken fremder Herzen um etwas Nahrung zu finden.
Wie ein braunes Blatt liegt „man“ am Fluss und wird ernst, und hört genau hin: „Du bedeutest nichts“.
Ich will das rauschen der Bäume sein, aber,..
Jetzt noch nicht:
Wir steigen ins Auto und fahren zum Supermarkt. Wir brauchen wieder irgendetwas, dass wir gar nicht brauchen, aber wir sind unbefriedigt und geil auf irgendetwas, dass wir ganz sicher nicht finden werden, aber wir tun es trotzdem. „Trotzdem“ das war das Lebensgefühl mit dem man zu leben hatte, wenn man die Straße zu Gott verlassen hatte. Wir fuhren quer Feld ein, aber standen letztlich an der selben Kasse wie unsere Nachbarn.
Welche Zahl am Schluss wohl stehen bleibt ?

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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (14.06.20)
Puhh, ganz schön starker Tobak. Ich habe mich auf den ersten Absatz beschränkt, der ist schon tiefschürfend genug. Totengräbermäßig. Jetzt sinniere ich über den Unterschied zwischen Leuten und Menschen.
Sehr packend jedenfalls!
Eiskimo

 unangepasste (14.06.20)
Ich find es auch stellenweise ziemlich stark.

 Graeculus (14.06.20)
Starke Literatur!

Ich versteh nur nicht, was an dem Gedanken in Abschnitt 3 unwahrscheinlich sein soll. Es ist so, und es ist nichtmal ein neuer Gedanke. Davon berichtet uns die 2500 Jahre altre Anekdote von den Tränen des Xerxes:
45. Als er den ganzen Hellespont unter seinen Schiffen verschwinden und alle Küsten und die Ebene der Abydener voll von Menschen sah, pries Xerxes sich glücklich; dann aber weinte er [μετὰ δὲ τοῦτο ἐδάκρυσε].
46. Als sein Oheim Artabanos dies bemerkte, – er hatte ja zuerst freimütig seine Meinung dargelegt, als er Xerxes den Feldzug gegen Griechenland ausreden wollte – als dieser also Xerxes weinen sah, fragte er ihn: „König [Ὦ βασιλεῦ], wie verschieden ist doch dein Verhalten jetzt und kurz vorher! Du hast dich erst glücklich gepriesen, und jetzt weinst du.“ Der König erwiderte: „Ja, mich erfaßte der Jammer, als ich bedachte, wie kurz das Menschenleben ist; denn von allen diesen vielen Leuten wird in 100 Jahren keiner mehr am Leben sein [εἰ τούτων γε ἐόντων τοσούτων οὐδεὶς ἐς ἑκατοστὸν ἔτος περιέσται].“ Da antwortete ihm Artabanos: „Es gibt noch viel Jammervolleres in unserem Leben. Denn in diesem kurzen Dasein ist keiner unter den Menschen glücklich geboren [ἐν γὰρ οὕτω βραχέϊ βίῳ οὐδεὶς οὕτως ἄνθρωπος ἐὼν εὐδαίμων πέφυκε] – und nicht nur unter diesen, sondern unter allen –, dem oftmals, nicht bloß einmal, der Gedanke gekommen wäre, lieber tot als am Leben zu sein [καὶ οὐκὶ ἅπαξ τεθνάναι βούλεσθαι μᾶλλον ἢ ζώειν]. Denn es kommen Unglücksfälle, Krankheiten beunruhigen uns und bewirken, daß dieses so kurze Leben den-noch so lang erscheint. So ist der Tod für den Menschen in seinem mühevollen Dasein eine sehr erwünschte Zuflucht [οὕτως ὁ μὲν θάνατος μοχθηρῆς ἐούσης τῆς ζόης καταφυγὴ αἱρετωτάτη τῷ ἀνθρώπῳ γέγονε]. Diese Gottheit, die uns die Süßigkeit des Lebens kosten ließ, zeigt sich darin als neidisch [ὁ δὲ θεὸς γλυκὺν γεύσας τὸν αἰῶνα φθονερὸς ἐν αὐτῷ εὑρίσκεται ἐών].“
(Herodot VII 45 f.)

Kommentar geändert am 14.06.2020 um 18:11 Uhr

 Unhaltbar87 meinte dazu am 14.06.20:
Danke. Ich freue mich sehr darüber, dass der ein oder andere Gedanke durch den text rüber kommt, und es scheinbar tatsächlich so intensiv wirkt wie es auch gemeint ist. Danke auch für den Text von Herodot. Ich liebe die griechische Mythologie, kenne mich aber noch nicht besonders gut aus. unwahrscheinlich habe ich geschrieben weil ich zwar der Ansicht bin das Bedeutungen irreversibel verloren gehen, aber Informationen nicht. Man bleibt vielleicht doch irgendwie in den Verlauf eingeschrieben. Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Letztlich bleibt es aber dabei, dass ich erinnern sehr viel beunruhigender finde als vergessen. Vielleicht wirkt es auch ein wenig konstruiert an dieser Stelle "unwahrscheinlich" zu schreiben weil ich es nur deshalb geschrieben habe um diesen hoffnungsvollen Gedanken daran, dass alles vergessen sein wird sofort wieder kaputt zu machen. Es ist interessant das dir dieses Wort aufgestoßen ist. Mir ist es auch aufgestoßen als ich den Text ein zweites mal gelesen habe. Ich finde es aber Falsch einen Text a posteriori zu verändern deshalb blieb das Wort stehen. Danke für deinen Kommentar.

 Dieter_Rotmund (14.06.20)
Die doch recht vielen RS- und Grammatik-Fehler stören doch sehr, also so sehr, dass das Lesen schwerfällt.
U87, willst Du den Text vielleicht mal durchgehen? Der Leser dankt.

 Unhaltbar87 antwortete darauf am 14.06.20:
Ich würde mich mega freuen wenn du mir dabei helfen könntest. Meine stärke ist das Denken, weniger das schreiben. Grammatik fällt mir schwer, auch weil ich am liebsten gar keinen Punkt setzen würde, da meine Gedanken, oder besser mein Gedanke so funktioniert. Oft schreibe ich Worte groß, einfach weil sie mir groß erscheinen, oder ich schreibe Worte zusammen weil sie für mich zusammen mehr Sinn ergeben als getrennt usw. Abgesehen davon bin ich schlicht nicht gut darin . Ich würde mich freuen wenn du dich dieser Aufgabe annimmst. Alleine werde ich nur noch mehr herum murksen.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 15.06.20:
Willst Du mittel- und langfristig die handwerkliche Qualität Deiner Texte verbessern oder suchst Du nur einen Lektor?

Antwort geändert am 15.06.2020 um 09:37 Uhr

 Unhaltbar87 äußerte darauf am 15.06.20:
beides.

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 15.06.20:
Für eine(n) Lektor(in) würde ich die Aushänge in der nächstbesten Universität in Augenschein nehmen. So 2-5 Euro pro DINA4-Seite sind Standart. Wobei 2 Euro wahrscheinlich schlampige Arbeit liefert.
Langfristig hebt es die eigene handwerkliche Qualität, wenn man selbst viel liest. Aber keine Whatsapp-Nachrichten oder BOD-Bücher, sondern Werke aus etablierten Verlagen und eine seriöse Tageszeitung. Hast Du einen Bibliotheksausweis?

 Unhaltbar87 meinte dazu am 15.06.20:
Ich wohne am Po der Welt. Die nächste Uni ist mehr als eine Stunde, die nächste Bibo eine dreiviertel Stunde ( mit dem Auto) entfernt. Hier gibt es nur Felder, Kühe und Nazis.

Antwort geändert am 15.06.2020 um 14:48 Uhr

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 15.06.20:
Oha, das sog. Dunkeldeutschland.

Nun ja, ans schwarze Brett einer Uni müsstest du nur ein Mal.
Gibt es wenigstens einen Bücher-/Medienbus?

Wie viele Bücher ließt du denn im Monat?

 Unhaltbar87 meinte dazu am 15.06.20:
Romane lese ich gar nicht. Ich lese Fachliteratur. Philosophie. Geisteswissenschaften. Politikwissenschaften. Die letzten 2 Bücher die ich gelesen habe warenUlrike Guerot - Warum Europa eine Republik werden muss und Dominik Finkelde - Exzessive Subjektivität/ Eine Theorie tathafter Neubegründung des Ethischen nach Kant, Hegel, und Lacan . Den letzten Roman habe ich vor 8 jahren oder so gelesen ( Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil)

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 16.06.20:
Nun, das ist ja keine so schlechte Basis.

Robert Musil ist allerdings auch hartes Brot!
Aber die Fiktions-Schriftsteller setzen sich viel intensiver mit der Sprache auseinander als Sachbuchautoren.
Ich ziehe meine Romane, die ich lese, aus diesen Offene-Bücherregal-Telefonhäuschen. Oder gibt es die bei dir ebenfalls nicht?

 Unhaltbar87 meinte dazu am 16.06.20:
Es gibt manchmal einen Stapel Telefonbücher im Nachbarort für umsonst, ansonsten ist nur noch die AfD-Werbung kostenlos die bei jedem im Briefkasten landet.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 17.06.20:

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