Farbe A

Text

von  Holzpferd

Farbe der Zukunft ist Farbe A. Nicht nur die Farbe dieses Jahres. Nein, Farbe A ist für immer. Ich hielt das für etwas übertrieben, was dazu in Zeitung und Fernsehen kam. Der letzte Schrei der Mode eben. Ich mache mir nichts aus Mode. Gestaunt habe ich dann im Baumarkt. Die Farbregale leer. Die Mischstation mit Silberfolie verhängt. Selbst Sprayflaschen, nur noch eine Sorte: Farbe A. Und die völlig überteuert. Na gut, dachte ich, streiche ich meine Kellerdecke eben nicht Weiß, sondern mit Farbe A. Reflektiert gut. Begeistert bin ich vom Ergebnis nicht, der Keller sieht wie Blechbüchse aus. Aber meine Enkel wird es freuen, wenn ich so mit der Mode mitgehe. Die wollen seit einiger Zeit nur noch Bekleidung in Farbe A tragen. Von ihnen habe ich auch die Geschichte, dass ein Kind aus ihrer Privatschule eine Wespe in den Hals bekam, dann aber an einer Brotbüchse lutschte, die Farbe A hatte,  - und nichts ist passiert. Das stand dann auch in der Zeitung.

Zuerst waren es die zivilgesellschaftlichen Bewegungen, die erklärten, sie würden nun nicht mehr unter der Regenbogenfahne ihre Forderungen vertreten. Farbe A habe die Fähigkeit, einen breitestmöglichen sozialen Konsens zu stiften. Dem schlossen sich die Parteien an, und ließen die Wahlergebnisse nicht mehr in Blau Gelb Rot und Schwarz darstellen. Es funktionierte auf Anhieb. Niemand wurde mit Farbe A verwechselt. Die Schuldenbremse wurde vom Parlament aufgehoben, um der Farbe A zu schneller Verbreitung zu verhelfen. Alles Ja-Stimmen, wenige Enthaltungen. Man stand zur Sache, die Farbe A heißt.
Die Wirtschaft wurde angekurbelt mit dem Anstrich öffentlicher Gebäude. Erst außen, dann innen. Die Autoindustrie zog nach, produzierte in Farbe A und spritzte auch die Lagerbestände um.
Der Wirtschaftsteil der Zeitung begleitete den Strukturwandel kritisch. Zunächst war die Förderung der Rohstoffe problematisch. Österreich beanspruchte sein Bauxit für sich und verhielt sich alles andere als europäisch. Das neu entdecke Lager mit seltenen Erden für Farbe A lag ausgerechnet in Syrien unter einem Gebiet, das Assad derzeit beherrscht. Und der will den Bodenschatz gemeinsam mit Putin selbst an der internationalen Gemeinschaft vorbei ausbeuten. Aber Bolzonaro vergibt Schürfrechte am Amazonas. Auch war Farbe A kein beliebiges aluminiumfarbiges Metallic. Es war Farbe A. Und mit seinen spezifischen Nanometern Lichtwelle war es ein Patent. Ein Patent meines Internetanbieters. Und der verdiente jetzt richtig mit. Egal, ob er was tat oder nicht. Und er tat.

Alle taten. Kinder erhielten Farbkästen in die A-farbene Zuckertüte gesteckt, in dem nur die Alltagsfarbe A vorkam. Für ärmere Familien gab das Sozialamt diese (ansonsten überteuerten) Farbkästen aus, um die soziale Benachteiligung zu mildern. Zur Umstellung auf A bekamen die Familien einen Bonus, und auch die bildenden Künstler bekamen Soforthilfe. Gezeigt wurden von nun an Werke in A. Die Akademien und Hochschulen erklärten, man hätte den Weg hin zur Farbe A schon eher beschreiten sollen. Nun gingen sie besonders forsch ans Werk. Z.B. durch Abhängen obszön bunter Kunstwerke. Die UNESCO erklärte, dass sie sich nicht in die Kunstfreiheit einmischt. Vergab aber nur noch Gelder für A-Farbiges. Die Palästinenser machten davon als erste Gebrauch. Per 1. Advent tünchten sie die Geburtskapelle in Bethlehem von der kleinen Eingangspforte bis zur Grotte in A. Unsere Kultusminister beriefen sich auch auf die internationale Rechtsgrundlage und wurden flächendeckend aktiv.
Freilich führte die Farbgebung auch zu negativen Erscheinungen. Immer wieder wurden den Behörden Autos gemeldet, die nicht vorschriftsgemäß in A umgespritzt waren. Ja. Es gab sogar Formen der Gegenwehr. Vorsätzlich hatte ein Störer eine Sprayflasche mit Nicht-A-Farbe genutzt, und an eine A-sanierte Hauswand geschrieben: A wie Apokalypse. Das war für die Presse gefundenes Fressen, die positive Sicht aller Bürger auf die Farbe A zu beweisen. Dass der Staatsschutz ermittelt, stand auch im Bericht über die Untat des Sprayers.

Dann kam Weihnachten. A-farbiger Sack. A-farbiges Geschenkpapier, A-farbige Geschenke. Und ich hatte mich als Weihnachtsmann in der Privatschule meiner Enkel gemeldet. Ich wollte den lieben Kleinen eine besondere Freude machen. Ich dachte, mein altes rotes Weihnachtsmann-Kostüm könne den Kindern zeigen, dass es mal eine Zeit vor A gab. Ein Späßchen in Retro sozusagen. Freilich ahnte ich, dass mein Auftritt auch schief gehen könnte. Deshalb schlich ich mich lieber vorsichtig an die A-gestrichene Aula heran, als dass ich weihnachtsmann-mäßig hereinstampfte. Also ohne Bumm Bumm Bumm und Ho Ho Ho an der Tür. Man sah mich sofort in meinem roten Mantel. Wie vom Donner getroffen fuhren Kinder und Personal zusammen. Die Kleinen kreischten. Die Größeren brüllten mich hinaus. Aber wie ich aus der Schule gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich war man schnell bei mir und zog mir zuerst den Mantel und den weißen Bart runter.
Nun sitze ich schon einige Wochen hier in dem Raum. Er ist in A gestrichen, hat aber keine Gitterstäbe vor dem Fenster. Raus darf ich noch nicht. Aber unten im Hof laufen Leute in Einheitskleidung. Von jener Farbe, die im Teint der Freigänger irgendwie silbrig widerscheint. Täglich bekomme ich von der netten Schwester eine A-farbene Spritze. Der bruchsichere Spiegel in der Farbe A ist zwar nicht wirklich spiegelnd, aber so viel sehe ich schon noch: Meine Pupillenfarbe, ehemals Graugrün, bekam erst einen hell-metallischen Glanz. Nun wandelt sie sich stetig hin zu Farbe A. Verschwinde ich? Werde ich eins mit meiner Umgebung? Vielleicht ist das ja Ziel der Behandlung. Ich weiß es nicht.

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Kommentare zu diesem Text

Nimmer (45)
(19.09.20)
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 Holzpferd meinte dazu am 20.09.20:
Es gibt halt nichts Neues unter der Sonne. Und Sonne ist ja dieses Jahr tüchtig.
Wiehernd das Holzpferd

 FrankReich antwortete darauf am 13.10.20:
Sonne A, quasimodo!!! 🥳

 AvaLiam (06.10.20)
Hey 😊

Ich hatte ein wenig Angst beim Lesen, dass es auf mich abfärbt.
Bin ich doch schon auf rosa Wolken geflogen, hab Rot und Schwarz gesehen.
Als ich noch grün hinter den Ohren war, stellte ich mir unter den Braunen Menschen aus Afrika vor. Welch Ironie.
Asiaten, so lernten wir in der Schule, sie zu zeichnen, hatten immer gelbe Gesichter.

Die Welt und das Leben sind bunt.
Wir müssen nur den Pinsel in die Hand nehmen und die Augen aufmachen.
So wie du mit deiner Geschichte.
Wir haben es in der Hand.

Liebe Grüße - Ava

Kommentar geändert am 06.10.2020 um 09:40 Uhr

 Holzpferd schrieb daraufhin am 06.10.20:
Hallo Ava, danke sehr für Deine Lesart zur "Farbe A". Sehr freundlich, sehr aufmerksam. So kann man sich in keinverlag aufgehoben fühlen. Dein Schluss: Pinsel in die Hand, Augen auf,, die Welt ist schön, - da würde ich gerne hinfinden.
"Farbe A" ist von mir nur so dahin gesagt, Ich wollte etwas Harmloseres zur Geschichte machen, als das, was mich derzeit beschleicht: Dass ich es in der Lage heuer eben nicht in der Hand habe, und nicht bekomme, sondern andere. Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer, um es mal mit Goethe (Faust I) zu sagen.
Da hommt Dein Kommentar gut.

grüßend und mit dem Huf schabend
Holzpferd
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