Halt kurze Kurzgeschichten eben

Pastiche zum Thema Ironie

von  Terminator

Un petit Zwischenfall

"Was hast du gethan!?" war sein Sopran. Er war dreifach volljährig, BMI 28, Vollbart. "Was hast du gethan!?" wiederholte er und tänzelte wie eine Schwuchtel um die Leiche. "Fühl Püls", so der schlanke kleine Austauschschüler aus Lens, noch keine 16. "Oh mein Gott!" phemte der vollbärtige Onkel blas, "er ist tot!" "Hoff isch doch", so der Junge. Der Neffe kam in die Küche, tat so, als wäre Leiche nicht. "Man wird immer wieder überrascht", sagte er zu seinem Freund. "Nischt gewusst?" wunderte sich der kleine Franzose. Der Sohn der Leiche begann daraufhin hysterisch durch die Küche zu cruisen, murmelte etwas laut und undeutlich, als wollte er die letzten Jahre zurückspulen. Ging nicht. Seine kleine Schwester weinte auf dem Balkon.



Wenn kein Glasspiegel vorhanden ist

Die Blutlache lachte sie an, und so spiegelte sie ihr Gesicht in ihr und kämte ihr Haar. Make-up, Lippenstift. Wenn alle Spiegel zerbrochen sind, sieht man sich im Blut wieder, dachte Zurfalschenzeit Amfalschenort, ein zungenbrechender Name für einen gebürtigen Einheimischen. Um sich zu vergewissern, dass Blut auch ihr nicht schmeckte, leckte sie an der Lache. In diesem Moment wurde sie schlagartig 24, obwohl sie vor einer Sekunde noch 19 war. Das Licht stoppte kurz, so dass sie mit Lichtgeschwindigkeit reiste, ohne sich zu bewegen. Das war aber genau anders rum, relativ gesehen, es war die Welt um sie, die auf einmal schnellstmöglich verschwand, während sie Rückgrat irgendwas. Sie Hand in die Hosentasche: Diplom. BWL. Wie in dem Film, wo Klick. Sie machte ein Geschäft auf. Geschäftsidee: Bodenblutentferner.



Pffinsternis

Er wollte immer eigene Kinder. Er hatte sie. Das war wie in "Eraserhead", nur das Drumherum nicht so surreal. Die Nachbarinnen backten Kuchen, in den Höfen mit niedrigen Zäunen spielten Mädchen mit Zöpfen, kleine Jungs holten immer wieder den zu weit gekickten Ball von seinem Grundstück. Seine Frau erkrankte an etwas, was nicht so Weh tat wie Krebs, aber hässlicher aussah. Krebs wäre besser gewesen, er wäre ihr pallativ zur Hand gegangen, aber so? Von pflegebedürftigen Monstern umgeben, fühlte er sich von den Nachbarmädchen ausgelacht und wünschte, er hätte jedes Einzelne vor den Augen der kuchenbackenden Mutter, und dann die Mutter vor den Augen ihrer Tochter. Ein pflichtbewusster Mann, der da rechtzeitig durchdrehte, und seine geliebten Monster und sich selbst tötete. Noch 30-60 Tage, und er hätte auch gesunde Menschen umgebracht, kleine Kinder mit großer Zukunft. Über sein Haus erzählten die Kinder Legenden, während sie von hausfrauenden Müttern gebackene Kuchen vertilgten. Die Mütter nahmen - taten demonstrativ so als ob heimlich - Benzodiazepine, sie machte das Glück der Kinder depressiv. Sie wollten lieber Karriere.



Und dann war weiter Party

Dunkler Vorraum, drinnen Party. Er, ungefähr 35, Jeans, Sweatshirt, Dreitagebart. Zwei etwas Jüngere, jemand flüsterte was von "Maus". Einer, ungefähr 20: "Welche Maus?" Überhört. Langes blondes Haar eine kurze Kopfumdrehung lang, dann wieder aus dem Licht. Er fummelt mit der Hand irgendwo in seiner Hosentasche. "Was für eine Maus?" klingt der Junge, der fast am Ausgang steht, nun etwas aggressiv. Schweigen, unterdrücktes Gelächter. "Ich kenne diese Maus", grinst er ihn an. Das Licht im Raum zwischen Vorraum und Partyraum geht aus, ein gedämpfter Schuss, ein kurzer Schrei, das Licht geht wieder an. Er fummelt an der Wunde am Bauch und murmelt unverständliches Zeug. Um ihn sammelt sich eine Menge, noch ein gedämpfter Schuss löst sich. Langes blondes Haar sinkt sanft auf die Blutlache am Boden.



Hochzeitstag

Da. Nur da. Sie, er. Beide schweigen. Sie sehen einander nicht an, aber auch nicht aus dem Fenster. Sie sitzen am Tisch, doch nicht ganz am Tisch. Zeitung, Fernseher negativ. Licht brennt. "Du, ist heute nicht unser Hochzeitstag?" fragt er. Sie schweigt. Bewegungslos. Er schaut sich seine Zehen an, zählt sie ganz ganz leise und sagt: "Du, ist nicht heute...", doch merkt, dass sie nicht zuhört. Sie bewegt sich nicht, auch nicht ihren Kopf. Er schaut auf den Teppich, zählt die Staubkörner nach, etwas lauter als flüsternd. "Du, ist nicht..?" Er verschluckt sich beim Einatmen, schweigt wieder. Beginnt zu zittern. Hebt seinen Kopf nicht, er ist so schwer. Senkt ihn noch weiter: "I-i-i-ist nicht heute unser Te-te-tag, ich mein ich mein unser Ho-ho-ho-hochzeitstag?" Sie hustet, während er spricht. Gähnt sie? Sie hustet, bestimmt. Sie gähnt doch nicht. Nein, sie musste nur husten. Er schaut runter auf sein Hemd, sucht mit den Augen den Knopf, der ungefähr über seinem Bauchnabel liegt, hält sich am Stuhl fest, um nicht zu zittern, und sagt: "I-i-i-ha-ha-ho-o-o-o-te-te-te-te-te-te", und fällt vom Stuhl auf den staubigen Teppich. Sie hustet, steht auf, sagt: "Musst du morgen nicht früh aufstehen?" und geht ins Bett.



heute werde ich sterben

Aufgestanden nicht. Was für ein Kitsch - aufgestanden; aufgestanden und gedacht - heute werde ich sterben. Viel spontaner kam der Gedanke. Einfach im Bus, oder beim Warten auf den Bus. Bei der Tasse Tee. Der Gedanke: heute werde ich sterben. Der Hautwiderstand verändert sich in die einspekulierte Richtung. Es wird tief im Bauch angenehm warm, fast kuschelig. Kein Hustenbonbon wirkt so halsberuhigend wie der Gedanke: heute werde ich sterben. Ich weiß ungefähr, wie. Durch Gewalt. Durch Kraft, durch Arbeit - rein physikalisch. Der Gedanke an den baldigen Tod ist keine Nahtoderfahrung. Ich sehe kein Leben vor mir. Einen Selbstmord schließe ich aus wie einen Amoklauf, einen Todeslauf aus letzter Kraft - ich habe mehr Kraft als Zeit zum Leben. Ich selbst werde mein Leben nicht beenden, also muss es ein Anderer sein, und schon fühle ich mich wie beim Arzt im Wartezimmer. Mit dem Sterben ist es so, wie Bismarck meinte, dass es mit dem Leben sei. So einfach, aber nicht einfacher als so, hätte Einstein ihm beigepflochten.



Panorama

Sitzen zwei im Regen, es ist blau drinnen. Wo das Finden entkommt, da können diese Vieh zähmen. Es schickt sich, beige zu streichen. Um Unnichtigkeiten zu vermeiden, entkommen nicht gerade manche dem fröhlichen Zwischendurch. Passabel interessant, was sich hinter der Lust an Last ankurbelt. Es könnte die Flasche sein, die man, sobald man getrunken hat, wieder ausspuckt, aber der Cidre ist nicht nur in Frankreich, wo die Flasche neulich stand, nicht alle. Findige Eichhörnchen lassen trockenes Papier stapelweise auf sich warten - es könnte regnen. Und wenn es regen würde, würden bestimmt zwei dort im Regen sitzen.



Notruf

Er rief an. Es klang, als hätte er starke Schmerzen. Er meinte, es würde ihm gut gehen, weshalb denn auch schlecht - er hatte eben ein Treffen mit einer mit ihm ihren Mann betrügenden Frau, mit der er seine Frau betrog, gemütlich, sexvoll, im elften Stock einer gar nicht so sozial aussehenden Sozialwohnung. Ob er noch bei ihr wäre. Er versichterte - ja. Und der Mann? Müsste er nicht inzwischen wieder zu Hause sein? Auch darauf ein vor Schmerzen gekrümmtes Ja. Was war denn los mit ihm - hatte er vielleicht Bauchschmerzen und saß, kopflastiger Juratiger, vor dem stämmigen Metallbauer versteckt auf dem Balkon? Fast, heulte er ins Telefon. Was fast? Hatte er fast Schmerzen? War der Mann der Frau, mit der er seine Frau betrog, fast zu Hause? Nein, mit fast meinte er, sagte er, fast auf dem Balkon, denn er hing unter dem Balkon, 30 Meter über der Straße. In einer Hand hielt er das Handy, mit der anderen Hand griff er immer wieder nach etwas, was er offenbar nicht erreichen konnte, aber hielt er sich etwa mit seinen Beinen fest - nein, unmöglich, von so einem Balkon wie dem da sich mit den Beinen festhaltend runterzuhängen. In der Blutlache fand man hinterher keine Eier.



Commitment

Meeting. Wir commatten uns. Anzug, Krawatte, Schuhe, bei keinem etwas auszusetzen, so konnte auch keiner punkten. Sie holten ihre Visitenkarten heraus. Ich musse gleich passen. Einer kam sich schon wie der Winner vor, doch so ein schwedischer Kahlstrom starm nicht lange brain, er holte einfach seinen witzigen Schlüsselanhänger, so in, dass noch nicht angesagt, erst in einer Woche oder zwei. Zwei Friends, die immer wieder darauf zurückkamen, british but not english zu sein, überraschten durchaus mit inneren Werten: wasserdichtes Lebensmotto, dicht wie ein richtiges Arschloch. Und was ist dein Lebensmotto, wurde ich gefragt. Meins? Die Titelmusik von "Der Pate". Da won ich das Commitment und went nach Home.



Sie flog um ihr Leben

Um Leben und Tod geht es, als sie um die Kurve fliegt, dann ein Looping, dann das Ungeheuer umkurvt und auf einer senkrechten Platte zum Ausruhen kurz Platz nimmt. Das Ungeheuer schwingt erneut seine perfekte Waffe - ein langer dünner Griff und ein extrem abgeflachtes ebenes großflächiges Ende. Zum Glück ist sie schneller und kann entkommen, aber ihr Leben ist immer noch in Gefahr, ihr Leben, das sehr kurz ist, und das sie nur ein einziges Mal leben darf, bevor sie im ewigen Tod versinkt. Das Ungeheuer gießt Wasser aus einer riesigen surreal anmutenden Maschine in einen Behälter, in dem sie schwimmen und tauchen könnte, und auf dem Boden des monströsen Behälters war eben noch ein Hügel aus süßem Sand. Das Ungeheuer ist jetzt abgelenkt, sie fliegt zum Behälter, um an diesem Meer zu nippen, aber das geizige Monster greift wieder nach seiner grausamen Waffe, treibt sie vor einen endlosen weißen Berghang, erschlägt sie und begräbt sie in einem Wasserstrudel mit den Worten: "Scheiße! Die Tapete versaut!"



Öko

Ein furchtbares Geschrei. Ein Fussgänger mit perfekter CO2-Bilanz ging die Landstraße entlang und sah sie da liegen: zwei Autos waren aneinandergeprallt, einer tot, vier steckten fest. Der Fussgänger kam näher und drehte gemütlich am Verschluss seiner Mineralwasserflasche aus der Region, bis sie auf war. "Hilfe!" hörte er sie durcheinander schreien. "So ist es, Freunde, wenn man Auto fährt. Das ist das Risiko dabei". Einer der beiden nicht so schwer Verletzten forderte ihn auf, Hilfe zu holen. "Einen Krankenwagen? Nein, - ich ernähre mich so gesund, dass ich diese Nummer leider vergessen habe. Oder willst du einen Leichenwagen, du armes Hundchen? Aber eins nach dem Anderen, erst sterben, dann unter die Erde kommen. Die Nummer kenne ich übrigens auch nicht - meine Lebenserwartung beträgt 95 Jahre, und ich bin erst 35. Schönen Tag noch". Er spazierte genüßlich weiter, es war ein angenehm warmer Sonntag, und die ersten Fliegen legten auf dem ersten Toten ihre Eier ab.



Unentschlossenheit

Ein Schwein rennt auf einen weißen Palast zu; um die Wände des Palastes nicht zu beschmutzen, wird auf das Schwein nicht geschossen; schon ist es drinnen, und man traut sich noch weniger, dieses anzugreifen, da das Schweineblut die prachtvollen Teppiche entweihen würde; das Schwein ist nun im Festsaal, und alle erstarren, ach der gedeckte Tisch, ach das Porzellan, ach die schönen Weingläser; das Schwein marschiert ungehindert ins Schlafzimmer und vergewaltigt die Prinzessin.



Noch nie

"Wie oft hattest du schon Sex?" "Noch nie", sagte er, und sie lächelte unnatürlich, als würde sie eine ganz anders geartete Reaktion zurückzuhalten versuchen. Das, was von der Menschheit übrigblieb, lebte seit Jahrhunderten in einer kargen Wüste. Venerische Krankheiten grassierten neben den gewöhnlichen Seuchen. Nirgendwo gab es reines Wasser, nirgendwo ein sauberes Bett. An Körperpflege war nicht zu denken, aber angesichts der Hässlichkeit dieser Restmenschen hatte auch niemand Heimweh nach Hygiene. Geil waren die Menschen immer noch, so wie sie immer noch Durst und Hunger hatten. "Noch nie", sagte er, und sie verbarg ihren Neid und ihre Bewunderung hinter einem unnatürlichen Lächeln.



Um 11:55

Café. Kaffee. Kellner. Frisur gefällt. Zeitung. Am Fenster bequeme Sitze. Verkehr. Kaffee schmeckt gut. Uhr. Bald los. Gast rein. Kommt zu. Drehe mich weg. Bleibt. Spricht: "Für Aktivismus aktiv?" Verneine. Sagt: "Bin Aktivist. Aktivismus schützt vor Apokalypse". Trinke auf. Sage: "Aktivismus wofür?" Offener Mund. "Wissen Sie nicht wofür?" Mund noch offener. "Einfach Aktivist?" Nickt. Lache. Gehe. Hinterher. "Für Rettung der Rettung vor Nichtrettung!" Bemitleide. Frage: "Spendenkonto?" Nennt. Gehe. Geht. 



Die saubere Gesellschaft

Es wurde einfach mal das Kacken verboten. Das menschliche Verdauungssystem wurde dadurch natürlich nicht verändert, und es wurde nach wie vor reichlich gegessen. Alle öffentlichen und privaten Toiletten wurden abgeschafft, und wer beim Kacken erwischt wurde, wurde sofort denunziert, angezeigt und eingebuchtet. Da offenbar niemand mehr kackte, stellten sich einige die berechtigte Frage: wo ging bloß all die Kacke hin? Denen wurde von höchster Stelle empfohlen,  diese Störung des öffentlichen Friedens in Zukunft zu unterlassen. Da machten Verschwörungstheorien die Runde, als den Neugierigen verboten wurde, ihre Fragen zu stellen. Darauf gaben die Wissenschaftler eine Erklärung ab, laut welcher die Kacke sich vor ihrer Ausscheidung dematerialisieren konnte. Die Kirchen sprachen von fortwährenden millionenfachen Wundern. Das Unmögliche war per Gesetz real geworden - das menschliche Verdauungssystem arbeitete nun abfallfrei.



Kleiner Hitler

Als die Erzieherin die Fünfjährigen fragte, was ihr Traumberuf sei, sagte ein Junge, er wolle Hitler sein. Sofort wurden alle großen Brüder und Schwestern verständigt, die Stasiakten der Eltern aufgeklappt und die Federn gespitzt, die frauenfeindlichkeits-feindliche Gesinnungspolizei und die liberalstalinistische Inquisition waren vor Ort. Man einigte sich schließlich, den Fünfjährigen in ein Kinderguantanamo einzusperren. Da wollte der Richter zur Sicherheit noch mit dem Kleinen reden und fragte ihn, warum dieser Hitler werden wollte. "Im Radio laufen doch diese Hits", sagte der Junge, "und wer sie singt, wird berühmt. Ich will auch solche Hits machen, darum will ich von Beruf Hitler werden".



California

Ein kalifornisches Lokalblatt titelte eines Morgens: "Zwei bestialische Verbrecher flohen letzte Nacht aus dem Gefängnis, vergewaltigten Beverly und fickten Kimberly". Die Bürger waren außer sich, wobei sie nicht das Ereignis selbst, sondern die Berichterstattung auf die Palme brachte. Die Ortschaft war keineswegs so überschaubar, so dass es nur eine Beverly und eine Kimberly gegeben hätte, aber das war nicht der Punkt. "Was für Perverse", schüttelte der Reverend den Kopf über die frechen Reporter. In den Abendausgabe korrigierten diese ihren verhängnisvollen Fehler, und nun stand auf der Titelseite: "Zwei bestialische Verbrecher flohen letzte Nacht aus dem Gefängnis, vergewaltigten Kimberly und fickten Beverly".



Eine kluge Nacht

Der Schnee legte sich still auf den Asphalt. Ein Linienbus überfuhr ihn mit 60, zerquetschte ihn förmlich. Die Ärzte konnten nur noch Schmelzwasser feststellen. Die Bäume sangen ein Lied von den Vögeln, die sie mit dem Süden betrogen. Zum Glück war der starke Westwind ein ausgezeichneter Scheidungsanwalt. Eine Flasche Nichts trank sich selbst und verdurstete. Revolver flogen durch die Lüfte und entluden sich, ohne zu schießen. Fliegende Unterhosen hängten sich an Strommasten auf, und die hohen Riesen gewöhnten sich schnell an Kleidung. Als die Unterhosen eingesammelt wurden, schämten sich die Strommasten zu Tode und begingen zusätzlich Selbstmord. Er ließ sich ein, zwei, dreimal begehen, schimpfte dann entnervt, und sperrte sich in einem Bunker ein. Nur noch Atombomben konnten ihn holen, aber sie genossen und schwiegen.



Linke Medien und ein möglicher Tippfehler

Ein Kolumnist einer großen linken Zeitung kommt von einer Anti-Islamophobie-Demo spät und müde nach Hause, schreibt noch schnell seine Kolumne, in der er unter anderem den Ausdruck "islamistischer Terrorismus" mit "islamist. Terror" abkürzt; am nächsen Tag wird die betreffende Stelle fehlerhaft als "Islam ist Terror" abgetippt. Bevor aufmerksame Leser auf diese Peinlichkeit (die der eigentlichen Aussage der Kolumne diametral entgegengesetzt ist) hinweisen können, greift ein bekanntes linkes Morgenblatt die Passage auf und tönt auf der Titelseite: "Linke Zeitung sagt: Islam ist Terror!" - ein Skandälchen aus kommerziellen Gründen, aus dem am nächsten Morgen eine Bekehrungsorgie wird: während konservative Medien verschämt schweigen, überbieten sich linke Zeitungen, Zeitschriften und Internetportale mit Schlagzeilen wie: "Endlich sagt es jemand!", "Paradigmenwechsel!", "Alice Schwarzer wusste es schon immer!", "Der neue Hitler ist schwarzhaarig und dunkelhäutig - die perfide Tarnung des Faschismus!" Gegen Mittag aber klärt der nun ausgeschlafene und über das Angerichtete schockierte Kolumnist den Vorfall auf, und schon meldet das erste linke Abendblatt: "Rechte Verschwörer manipulieren Zeitungskolumne!"



Die Bleiche

Als die um eine halbe Stunde überzogene Vorlesung in seinem Hauptfach Gender Studies endlich zu Ende war, lief er noch in die Mensa im 20. Stock, um sich einen Kaffee für 40 ct. zu holen, aber die Kaffeemaschine war bereits aus und außer einer dürren bleichen Gestalt am Fenster befand sich keiner mehr im Raum. Er sah sich um und entschloss sich nach langem Zögern, sie zu fragen, ob sie ihm für zehn Euro einen blasen würde. Das Mädchen - das war beileibe keine junge Frau, 21, zu zart für ihr Alter - offenbarte ihm ganz direkt, dass es erhebliche Geldnot litt. Sie sagte: "In einer WG kann ich nicht wohnen, werde immer spätestens in der zweiten Nacht belästigt". Ihre Eltern habe sie vor langer Zeit wegen eines gemeinsamen Versuchs, sie zu missbrauchen, getötet, und es wie einen Doppelselbstmord aussehen lasen. Sie habe gar versucht, sich zu prostituieren, doch musste stets beim ersten Hautkontakt brechen und kollabierte. Er bemerkte, dass die Haut an ihren Unterarmen nur noch aus Narben bestand. "Da ist kein Platz mehr", seufzte sie, "ich habe fünf Riesen mit den beiden Armen verdient". Sie ritze sich nicht selbst - sie ließ sich für Geld schneiden. Er hörte ihr zu, und sie erleichterte sich ihrer Kleidung und zeigte ihm ihren volltätowierten Körper. "Nur noch Gesicht und Hände. Das ist mein ganzes Kapital. Die Handinnenflächen sind der empfindlichste Teil des Körpers, ich lüge nicht. Für zehn Euro darfst du mir in die Hand schneiden, aber nicht tief". Sie hatte schöne Hände und ein kindliches Gesicht. "Ich nehme das Gesamtpaket für zwei Riesen". Sie bedankte sich leise für seine Großzügigkeit und ging mit ihm in seine Wohnung. "Keine bleibenden Narben am Gesicht", erinnerte sie ihn an die Abmachung. Er bereitete alles vor - Kerzen, Nadeln, Messer und Stichwerkzeuge. Als er begann, vor der Prozedur ihre dürren bleichen Hände zu küssen, kotzte sie ihn voll. "Ich hatte dich gewarnt", sagte sie. "Du Freak!" schrie er und warf sie hinaus. Er öffnete nach einer Minute wieder die Tür und warf ihr ein paar zerknitterte Scheine ins Gesicht: "Für die Berührung!"



Der Habicht

Rolf war ein Habicht, ein Mann, der alles hatte: Koks, schöne Frauen, schnelle Autos. Leider überfuhr er eines Tages nach drei Linien Koks mit seinem schönsten Auto zwei Frauen, was Schaulustige auf Handys aufnahmen und ins Internet stellten, weshalb es auch nicht mehr zu leugnen war, bei aller Bestechlichkeit der Staatsanwälte und Richter. Der Wagen und der Rolf waren zu deutlich auf dem Video zu sehen, das im Flash-Format in solider Auflösung ins Netz gestellt wurde, und wo es bald eine Million Leute sahen.

Rolf kam in eine Zelle mit einem Drogendealer, einem Brotflüchtling aus Mauretanien. Rolfs Video erlangte eine immer weniger traurig zu werden drohende Berühmtheit, wurde bald Kult, und Rolf entsprechend zum Popstar. Vom Gefängnis aus ließ man Rolf einen Song zum Video aufnehmen, es wurde ein Hit. Die Schließer standen Schlange vor Rolf im Speisesaal, um an die begehrten Autogramme zu kommen, und bald hatte Rolf Koks und Frauen in den Knast geliefert bekommen.

Rolf schlief, als der Brotflüchtling aus Mauretanien seinen Laptop anmachte, und das Video ansah. Der nicht geduldete afrikanische Mitbürger war fassungslos: zwei schöne junge Frauen mir nichts dir nichts überfahren, getötet, man hätte damit doch so vieles anstellen können! Er versuchte, Rolf zu erwürgen, doch ein Schließer kam vorbei und schlug ihn brutal zusammen: Rolf hatte wieder Glück. Da konnte er sein Glück noch fassen, aber zwei Wochen später nicht mehr, als vor Gericht sein Doppelgänger erschien und die Schuld glaubwürdig auf sich nahm. Als Rolf das Gefängnis nach 111 Tagen verließ, hatte er ein Alibi, eine Libido, Koks für zwei Linien, und eine junge Frau, die auf ihn vor den Mauern wartete: ein Groupie. Und das ist schon die ganze Moral.



Klasse Treffen

Es barte. Hochbetrieb. Mittendrin ein Klassentreffen, und es war Lukas so peinlich. Er sagte: "Bei der Abiturprüfung habe ich übrigens geschummelt", und fühlte sich sofort besser. Er saß allein in einem großen niedrigen Sessel, während seine Klassenkameraden um ihn herum pärchenweise vorkamen. Alex küsste eine Vietnamesin, die kein Wort von dem verstand, was geredet wurde, und deutete auf einen BJ hin, wonach er den Daumen hochhielt. Lukas sagte nichts, drehte sich zu Erik um, der eine hübsche Barbraut auf dem Schoß hatte. "Seit zwei Wochen zusammen", sagte Erik, "und schon 30 mal gemacht, ich habe genau nachgezählt". "War es denn so gut, dass du dich an jedes Mal erinnern kannst?" versuchte Lukas die Rhetorkutsche. Erik nickte nur, während Sandra von ihren drei misslungenen Ehen erzählte - drei Fehler, die vier Bälger zur Folge hatten. "Du hast aber deine Fehler eingesehen, und verdienst nun einen guten Kerl", war Lara mitfühlend. Sie war immer mitfühlend, denn besonders schön war sie nie. Doch selbst diese emanzengesichtige Fleisch gewordene Verhütungsmethode war mit ihrem Freund auf dem Klassentreffen, Lukas aber ganz allein an diesem Abend. So wurde er natürlich danach gefragt, und versicherte, in den letzten zehn Jahren unzählige Bettgefährtinnen gehabt zu haben: "Gleich nach dem Abi - ich erinnere mich nur noch dunkel daran - war ich mit dieser Bailey zusammen, sie war Tschechin oder Russin, sehr devot und laut im Bett, danach hatte ich was mit Alexa, einer lokalen Schönheit aus dem Vorort, in dem ich wohnte, als ich den Bachelor studierte". "Soso", sprach Alex misstrauisch, und veranlasste Lukas, seinen Monolog fortzusetzen: "Dann zog ich nach Berlin und war zwei Jahre mit Alissa zusammen, eine sehr hübsche Blondine, die aber nach ihrem Studium nach Kiew zurückkehrte. Die Fernbeziehung hat nicht funktioniert, und man will ja figge, ihr wisst ja, wie dat is. Zurück in Hamburg, habe ich Veronika kennengelernt, lange Beine, wasserstoffblond, aber dann doch etwas zu langweilig für meine Ansprüche..." "Und jetzt?" wollte Erik auf den Punkt kommen. Lukas schoss wie aus der Pistole: "Eve!" "Eve?" "Ja... Eve Angel". "Ach was? So heißt sie?" Lukas lachte gekünstelt: "Ja, die heißt so, Komischer Name, was?" "Und, seid ihr...?" "Ja, wir sind sogar verlobt", nickte Lukas, und bekam auf einmal furchtbares Kopfweh, als Erik auf sein Flachofon schaute, und schmunzelte, eine Internetseite runterscrollend.



Tapferkeit

Es war im Frühjahr 1945. Um Punkt 5:00 erschien Andriy in der Baracke, und bekam den Befehl, die Zellen der Erschossenen aufzuräumen. Seine Arbeit erledigte er schnell und ordentlich, nahm sich vor dem Mittagessen etwas Zeit für Hygiene, und gab nur einen Drittel seines Tageslohns für Brot und Suppe aus, obwohl er noch mehr Hunger hatte. Andriy wollte immer etwas Geld auf der hohen Kante haben, doch flog hochkant aus seinem 1942 erworbenen Haus, als die Russen sein Dorf nach Kollaborateuren absuchten. Obwohl sie sein Haus niederbrannten, schäumte er nicht vor Wut, sondern mäßigte sich, und wartete auf den richtigen Augenblick. Als es so weit war, stürmte er allein auf die zu Abend speisenden Soldaten mit einem Maschinengewehr, und traf die meisten von ihnen tödlich. Es erschien ihm gerecht, jedem noch einen Gnadenschuss zu verpassen, bevor er, ohne den Toten etwas zu stehlen, ihre Leichen in einen Graben schleppte und dort zuschüttete. In einem Geheimbunker versteckte Andriy seit Wochen den verwundeten SS-Mann Heinrich. Auch an diesem Abend kam er mit Medikamenten und Mahlzeit zurück. "Du bist ein guter Mensch, ja die Tugend schlechthin: klug, gerecht, besonnen, tapfer", lobte ihn Heinrich, "und dazu noch so fleißig, ordentlich und pünktlich", war der Nazi entzückt. Andriy lächelte nicht einmal, sondern sprach mit Entschlossenheit und Akzent: "Auf uns wartet Arbeit. Wir haben noch nicht alle umgebracht. Werde schnell gesund, solange die hier im Dorf noch festsitzen".



Der Alkoholiker

Er sitzt jeden Freitagabend in dieser Bar, am Fenster, trinkt. Niemand kennt ihn, obwohl er seit Jahren dort trinkt. Er gibt immer zu viel Trinkgeld und bedankt sich besonders höflich, er kommt mit hängendem Kopf in die Bar und geht genauso nach Hause. Eines Tages stellte der Barkeeper bei näherem Hinsehen fest, dass er eigentlich gar nicht trinkt, er tut nur so, aber kippt seinen Alkohol immer weg. Dieser Alkoholiker, meinten die Kellner, trinke nicht - das soll doch ein Scherz sein - , aber der Barkeeper zeigte ihnen bei Gelegenheit, dass er den Alkohol, den er bestellt, wirklich wegkippt. Er tut zwar besoffen, redet wie ein Alkoholiker, trinkt aber nicht. Wenn er - und die Leute sollen denken, er sei betrunken - nach Hause geht, dann nicht zu Frau und Kindern, er lebt allein. Wenn er zurückkehrt, wird kein Kind weinen, sich fürchten oder schämen, sollen die Leute denken, - aber er trinkt nicht. Er gibt sein ganzes Geld für Alkohol aus, in jedem Alkoholfachgeschäft ist er Stammkunde, redet lange mit den Verkäufern über die Schnäpse und reißt oft selbstironische Alkoholikerwitze. Er ist ein fünfzigjähriger Mann, allein, wie er als Kind so sehr sein wollte, aber nie gelassen wurde. Er hätte von dem weggeworfenen Geld längst ein Haus abbezahlen können. Eines Tages schrie der Barkeeper ihn an, er solle sich schämen, dass er sich ständig betrinkt, anstatt seinen Kinder etwas zu kaufen, oder mit seiner Frau auszugehen, da hatte der Mann auf einmal - nur für dieses Gespräch - eine Frau, zwei Kinder, und ließ sich vom Barkeeper zur Sau machen. Als er an jenem Abend aus der Bar ging, sah man ihn lächeln.



Das Fenster

Es könnten die letzten Minuten sein. Das Zimmer in dem du sitzt ist 3 Quadratmeter groß, die ganze Außenwand ist ein schwarzes Fenster. Eine Tür gibt es nicht. Wie du hineingekommen bist, weißt du nicht. Du kannst aufstehen, dich hinsetzen, essen, trinken, aufs Klo gehen, spülen, Klobürste nehmen, damit spielen - es gibt im Zimmer nichts, was dich wirklich interessieren könnte. Du zählst die Haare der Bürste, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf,  legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf,  legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, und fragst dich, was hinter dem Fenster wohl sein mag. Du kannst es nicht öffnen, nur zerbrechen. Vielleicht kommt ein eisiger Wind und du erfrierst, oder du kletterst durch das zerbrochene Fenster in einen schönen Garten. Einmal zerbrochen, ist das Fenster kaputt. Wenn du dich im 211. Stock eines Hochhauses befindest, dein Problem. Niemand versprach dir irgendwas, niemand hinterließ dir eine Botschaft, eine Nachricht, einen Hinweis. Langweilst du dich zu Tode, springst du in den Tod, - oder ins wahre Leben, das hinter dem schwarzen Fenster auf dich wartet. Ob es dich ermutigt oder demoralisiert, hier eine Statistik für dich: 98,22% aller Menschen, die sich in derselben Lage befanden, steckten ihren Kopf ins Klo und verharrten so bis sie des Todes starben. Mitgezählt sind die, die es vorzogen, sich im Klo zu ertränken, anstatt das schwarze Fenster zu zerbrechen und in die Freiheit zu springen. Der sichere Tod war für sie weniger furchterregend als das Risiko, das auch eine Wahrscheinlichkeit für das Leben übrig ließ. Und für dich?




Metoo

Was sexülle Belästigung ist, ist klar: eino Kollega (wird im Folgenden für beide Geschlechter als Neutralform verwendet) als sexülles Wesen behandeln, und zwar als bestimmtes, einem bestimmten Geschlecht zugeordnetes. Unklar ist, wo sexülle Belästigung endet und sexülle Belastung anfängt. Wenn eino Kollega im sexüll relevanten Sinne deutlich besser aussieht als der Rest der Neutronenschaft, werden die anderen Kollega dadurch schon sexüll belästigt oder noch sexüll belastet? Eine sexülle Belastung ist zumutbar, eine Belästigung strafbar. Darum wichtige Frage. Wenn andersrum eino Kollega deutlich schlechter aussieht als andere, und dadurch sexüll neutraler behandelt wird, lastet oder lästigt es es im juristischen Sinne be?

Wenn eino Kollega mit andero Kollega flirtet, ohne dieses sexüll zu belästigen, werden die anderen dadurch sexüll belastet oder belästigt? Beim Flirt wird eino Kollega, wie bei sexüller Belästigung, als bestimmtes, einem bestimmten Geschlecht zugeordnetes sexülles Wesen behandelt. Also werden die anderen durch flirtende Kollega belästigt. Wenn keino Kollega am Arbeitsplatz flirtet, ist es für die anderen Kollega eine sexülle Belastung, da sie, obwohl nicht wie sexülle Wesen behandelt, es immer noch sind. Auf der Arbeit scheint sexülle Belastung dann aufzutreten, wenn Belästigung nicht auftritt, also ist das beste Mittel gegen sexülle Belästigung sexülle Belastung. Was macht mano mit eino Kollega, das sich selbst sexüll belästigt, indem es auf der Arbeit Pornos guckt oder an Sex denkt, und sich zugleich sexüll belastet, indem es Pornos nur heimlich guckt und an Sex nur denkt?



Flummi

Die nächste Generation geht mich nichts an. Ich werde nicht für Freuden aufkommen, die ich nicht genossen habe. Kein Sex, keine Kinder – keine Nachhaltigkeit. Aber ein Geländewagen. Und jede Woche um die Welt fliegen. Walfleisch soll angeblich lecker sein...

Allein hier. Im Zimmer so hell wie in meinem Kopf. Ich werfe einen purpurnen Flummi gegen die Wand und er fliegt zu mir zurück. Andere ziehen Kinder gross. Weil es sie offenbar glücklich macht. Nein, das ist natürlich die Hölle. Sie tun was für die Menschheit, opfern ihr Leben für undankbare Bälger auf, damit das Menschengeschlecht weiter existiert. Und fühlen sich gut dabei. Also macht es sie glücklich. Und ich bin ganz glücklich hier mit meinem Flummi. Und es ist weder etwas Sexuelles noch ein Machtverhältnis – sprich ich bin weder Sünder noch Heuchler.

Eigentlich steht der Friedensnobelpreis denjenigen zu, die sich auf dem sexuellen Markt zurückhalten und damit mehr zum Frieden beitragen als jeder Slumheilige, Klimaprophet oder fundamentalistischer Terrorist. Ich werfe einen Flummi gegen die Wand, und mein Kollege muss sich ein kleines Stück weniger anstrengen, um die Frau, die er will, zu bekommen. Ich steh ihm ja nicht im Weg.Aber wozu Nobelpreis? Den würde ich ablehnen, selbst wenns der Eitelkeitsnobelpreis wäre. Soll ich dem Flummi einen Namen geben? Vielleicht „Narziss“. Hallo Narziss! - Hallo Nihiler! - Lust auf Action? - Ja, gerne! - Dann zeig mir was du kannst! Los! - Die Vase. Sie tut mir ja so leid. Noch mehr als die Malediven. Bald hab ich den Job. Und den Wagen. Und steigt der Meeresspiegel, wo werden aus manchen Innenregionen Strandparadiese.

Ich könnte es nicht verantworten, eine Katze zu haben. Ein lebendes Wesen, allein für mich. Von mir abhängig. Und ich, der gütige Gott, der mächtige Geiselnehmer, kann es bestrafen, belohnen, erziehen... Ich bin kein Sadist. Die Katze ist doch kein Mensch, der Katze kann man sowas nicht antun. Aber ich hätte so gern ein kleines Kätzchen. Das kleine Kätzchen wird in meinen Tagträumen seinen sicheren Platz haben. Der Flummi aber, der Flummi ist meine ganze Wirklichkeit. Seit fünf Stunden knallt er schon gegen die Wand und kehrt treu zu mir zurück. Und das Beste – ich habe keine Zeit und keine Lust mehr an Sex zu denken. Ich gehe in meiner Arbeit auf. Und bin dabei so locker wie mein Flummi. Ich will nicht hoch hinaus, ich will in den Tag hinein. Frieden statt Sex. Benzin statt Blut. Flummi statt Zukunft.
(Amen)
(Werde mir bloss noch zynisch, Narziss!)




Weihnachten

Heiligabend. Am spießig gedeckten Tisch berichtet der Sohn, der Ältere, von seinem Studium, seinen Berufsaussichten. Wie ein Reporter tut er das, es kommt kein Anschein eines persönlichen Gesprächs auf. Nach zwei Minuten ist er auch schon fertig, dabei hatte er sich nicht allzuknapp gefasst, keine Blitzreportage. Die Tochter, die Jüngere, kam gerade aus einer fernen Stadt, man sieht ihr an, dass sie auch gleich wieder zurück will. Es folgt das obligatorische Schenken, gezwungenes Lächeln, herausgekotze Freude. Dann sitzt man am Tisch, die Großeltern sind noch dabei, und das Familienoberhaupt spricht die obligatorische Plattitüde aus. Wie gut es allen gehe, wie glücklich alle seien, und dass es in Zukunft so weiter gehen solle. Der Sohn bemerkt, so gut gehe es ihm gar nicht, feindselige Blicke, er fügt hinzu, erst das Studium abschließen, dann geht das Leben vielleicht los. Keiner hat sich viel zu sagen. Sieben Minuten nach dem Beginn der Zeremonie, läuft der Fernseher wieder, es wird um die Wette geseufzt, die Oma und der Junge nicht müde, nichtsbedeutende monotone Sprüche in die nun schon etwas dickere Luft loszulassen. "So ist das Leben" "Ja, so ist das Leben". "Ach ja, so ist das Leben" "So ist das Leben, ach ja nun ja".

Die nächste Runde Tee. Die Mutter geht im Einschenken des Getränks völlig auf. Mehr hätte man von ihr niemals erwarten sollen, insbesondere was das Emotionale angeht. Die Tochter hakt nach, fragt ihren Bruder, warum es ihm derzeit nicht gut gehe. Er konstatiert zunächst nur, dass es ihm nicht gut geht, die Oma ist sichtlich überrascht: "Aber was fehlt dir denn? Du hast zu essen und zu trinken, alles was deine Seele begehrt". "Ja, recht hat die Oma" sagt der Vater. "Man sollte nicht rumjammern, sich selbst nicht bemitleiden". "Interessant, es ausgerechnet von dir zu hören" weist der Sohn den Alkoholiker zurecht. Der Vater, mit dem Blick eines kampfbereiten Schimpansen: "Was hast du gesagt? Ich hab nicht verstanden". "Zu dumm oder was?" hackt der Sohn nach. Der Vater ist ausser sich, der Sohn lässt sich nicht einschüchtern, dabei wünscht er sich insgeheim einen Vater, der ihn vielleicht einschüchtern könnte, vor dem er Respekt hätte, so etwas wie Achtung, ach, sich nicht für seinen Vater zu schämen, wäre das schön. Gekränkt, geht er. Er wird eine bis zwei Wochen lang beleidigt sein, mit dem Sohn kein Wort wechseln. Die Tochter ist dann längst wieder weg.

Der Opa erzählt. Er war im Kreml ein Ehrengast, er war mit Roosevelt befreundet, Adenauer hatte ihn stets um Rat gefragt. Die Oma hasst er wie die Pest. Sie sei an allem schuld, betont er immer wieder. Verzweifelt wendet sich die Tochter noch einmal an die Mutter: "Warum musste unsere Kindheit so sein?" "Wie denn?" fragt die Mutter. "Sie war doch schön. Wisst ihr noch, wie ihr gespielt habt, wie ihr rumgerannt seid?" Die Mutter geht in die Küche, amüsiert sich sichtlich beim Geschirrspülen. Die Tochter bleibt eine Weile allein am Tisch, weint leise, aber deutlich hörbar, wird ignoriert.

Ich bringe meine Schwester zum Bahnhof und sehe, wie ein junger Kerl etwa so alt wie ich mit einem völlig apathischen Gesichtsausdruck sich von seiner Schwester verabschiedet, ohne Emotionen, ohne warme Gesten. Meine Schwester hatte mich kurz besucht, für zwei Stunden, wir haben herzlich gelacht, ich habe sie gefangen und ausgekitzelt, wie früher. Und sie brachte mir endlich das mit der elfdimensionalen Raumzeit bei, nun bin ich meines Lebens froh. Der Zug fährt ab, meine Schwester fährt zu ihrer Freundin, Freundin, nicht bester Freundin, ich schlendere gedankenverloren einem jungen Mann hinterher. Was muss da passiert sein, denke ich mir, dass er so tot lebt. Und gerade Dankbarkeit empfinde ich nicht, ich empfinde es als normal, nach Glück streben zu dürfen, selbst im Erfolgsfall.



Über Überüberfremdung

"Passt auf, wir spielen jetzt Laurasien gegen Gondwana", sagte der Sportlehrer.



Es hat nicht wollen sein

"Hurensöhne werden weiterleben", dachte Peter, als er sich hinten anstellte. Er kaufte eine Flasche Mineralwasser, nein, nicht irgendeine, Staatl. Fachingen. Es hat schon feierlich sein sollen. Alkohol trank Peter nicht, er rauchte auch nicht, aß nichts Süßes, befriedigte seine Wollust stets widerwillig und selbst. Er bezahlte die Flasche und dachte noch: "Reiche Säcke, die überleben immer, egal was passiert". Er setzte sich auf sein Fahrrad und fuhr durch den Regen bis zu einer hohen Eisenbahnbrücke. "Mörder und Vergewaltiger werden weiterleben", dachte er unterwegs, "Nazis, Drogendealer, Betrüger, Kriegstreiber, sie werden weiter leben". Peter lehnte sein Fahhrad an das Brückengeländer. "All die Parasiten, Vampire, Blutsauger, - sie alle werden einfach weiterleben", dachte er, und sprang in die Tiefe.



Malcorco

Ein physisches Logo, das aus dem Namen des Unternehmens besteht? Ja, sagten sie, das ist ein Malcorco. Auf dem Papier, im Netz, - kein Malcorco. Ein aufgemaltes Logo, wie auf dem Monitor hier, das ist auch kein Malcorco. Aber das hier, guck, diese Plastikbuchstaben am Rand der Kiste. Oben an den Häusern stehen manchmal die Firmennamen in großen physischen Buchstaben. Es war mir ja klar, was sie meinten, ich wusste nur nicht, ob es das Wort auch wirklich gibt. Malcorco? Nie gehört. Und nun sagten sie, es gäbe ein neues Gesetz, wonach das Malcorco ab sofort verboten wäre. Ob ich eine Petition unterschreiben wolle? Moment. Ich wachte erstmal auf, schaltete den Computer ein. Hab´s gegoogelt: das Wort gibt es nicht! Da erinnerte ich mich, was sie zu mir gesagt hatten. Aha, es ist wirklich verboten und wurde bereits aus dem elektronischen Gedächtnis gelöscht.



Der Kindergartenhitler

Als die Erzieherin die Fünfjährigen fragte, was ihr Traumberuf sei, sagte ein Junge, er wolle Hitler sein. Sofort wurden alle großen Brüder und Schwestern verständigt, die Stasiakten der Eltern aufgeklappt und die Federn gespitzt, die frauenfeindlichkeitsfeindliche Gesinnungspolizei und die liberalstalinistische Inquisition waren vor Ort. Man einigte sich schließlich, den Fünfjährigen in ein Kinderguantanamo einzusperren. Da wollte der Richter zur Sicherheit noch mit dem Kleinen reden und fragte ihn, warum dieser Hitler werden wollte. "Im Radio laufen doch diese Hits", sagte der Junge, "und wer sie singt, wird berühmt. Ich will auch solche Hits machen, darum will ich von Beruf Hitler werden".



Die saubere Gesellschaft

Es wurde einfach mal das Kacken verboten. Das menschliche Verdauungssystem wurde dadurch natürlich nicht verändert, und es wurde nach wie vor reichlich gegessen. Alle öffentlichen und privaten Toiletten wurden abgeschafft, und wer beim Kacken erwischt wurde, wurde sofort denunziert, angezeigt und eingebuchtet. Da offenbar niemand mehr kackte, stellten sich einige die berechtigte Frage: wo ging bloß all die Kacke hin? Denen wurde von höchster Stelle empfohlen,  diese Störung des öffentlichen Friedens in Zukunft zu unterlassen. Da machten Verschwörungstheorien die Runde, als den Neugierigen verboten wurde, ihre Fragen zu stellen. Darauf gaben die Wissenschaftler eine Erklärung ab, laut welcher die Kacke sich vor ihrer Ausscheidung dematerialisieren konnte. Die Kirchen sprachen von fortwährenden millionenfachen Wundern. Das Unmögliche war per Gesetz real geworden - das menschliche Verdauungssystem arbeitete nun abfallfrei.



Nihinichts

Ein Nichts und noch weniger, aber seine Anwesenheit ist da. Nicht zu verwechseln mit dem großen Nichts, das allem zugrunde liegt. Nicht das Nichts, aber auch nicht nichts: ein Nichts. Ein Nichts von vielen Nichtsen, es regnet diese Nichtse regelrecht. Es gibt kaum noch Platz. Und Platz ist äußerst schade für diese Nichtse - es soll ja mit nichts gefüllt sein, so dass etweder nichts oder das Nichts darin ist, aber nicht das nichtigste Nichts. Schweinerei, sowas. Wer wischt es auf? Man hört, die tun ja nichts. Ja, schön, aber sie sind, und da wo sie sind, könnte ebensogut nichts sein. Die Dinger sind wie Staub. Es geht nicht ein für alle mal, es muss jede Woche neu gereinigt werden. Was man ohnehin tut, also, wo ist das Problem? Da: keine Rede Wert, aber schleichen sich in die Rede ein, wollen, dass von ihnen die Rede ist, wollen, dass ihnen Interesse entgegengebracht wird. Kennt man ein Nichts, kennt man sie alle. Aber ich kenne nichts, und das Nichts werde ich bald kennenlernen.

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