Familiengeheimnis, bei der Ahnenforschung entdeckt

Bericht

von  Redux


 

 

Mein Hobby ist seit beinahe 30 Jahren, neben dem Schreiben von Gedichten und Kurzprosa, die Ahnenforschung. Ich habe die Stammbäume meiner Mutter und meines Vaters, auch dank der Hilfe anderer Genealogen, mit denen ich gemeinsame Vorfahren habe, bis zu den ältesten online einsehbaren Kirchenbüchern erforscht. Selbst darüber hinaus habe ich dank Steuerlisten, Berufslisten und Viehzählungslisten einige wenige Stränge des Stammbaums über mehrere Generationen erforschen können.

 

Meine Mutter, die in diesem Jahr 86 Jahre alt wird, stammt aus einem kleinen Ort im äußersten Norden des heutigen Nordrhein-Westfalens, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu Niedersachsen. Diese Gegend ist streng katholisch geprägt und so wie die tiefste Provinz hier wie anderswo ihre Eigenarten, ihre Tradition, ihr Heimatgefühl in besonderem Maße entwickelt und pflegt, so auch dort, hier aber alles geprägt durch große Ergebenheit gegenüber der katholischen Kirche und ihren Lehren und Werten.

 

Meine Mutter war das 8. und jüngste Kind ihrer Eltern; ihr Vater war Gärtner. Ihr Großvater und ihr Urgroßvater waren Polizeidiener des Dorfes und waren vermutlich angesehene und geachtete Persönlichkeiten, die in dem kleinen Ort sicherlich eine nicht unbedeutende Stellung besaßen.

Als Kind ist mir noch der imposante Säbel in Erinnerung, den meine Vorfahren in Ausübung ihres Amtes trugen, und der oft gezeigt wurde, ein Relikt aus vergangener Zeit.

 

Bei der Suche nach Vorfahren bleibt es dem Genealogen nicht erspart, Seite um Seite der Kirchenbücher zu durchforsten nach Einträgen, die zu den Vorfahren führen. Da ich schon sehr vollständig meine Vorfahren erforscht habe, kann es mittlerweile durchaus sein, dass ich an einem Abend auch ohne ein Ergebnis meine Forschung zur Seite lege.

 

Bei einem derartigen Durchforsten stieß ich auf einen Eintrag, der mich im ersten Moment nur kurz stutzig machte:


Der Großvater meiner Mutter, den sie nie kennenlernen durfte ( sie wurde 1937 geboren, er starb 1930) hatte mit seiner Ehefrau 7 Kinder, geboren in dem Zeitraum zwischen 1877 und 1894.

Bei der Suche nach einem Sterbedatum einer anderen Person stieß ich bei den Todeseinträgen im Jahre 1886 auf einen Eintrag, von dem ich im ersten Moment glaubte, dass er mir durch Unachtsamkeit entgangen sei:

Hier wurde ein „ Georg Heinrich, Sohn des Polzeid. Heinrich W. verzeichnet, 5 Tage alt, verstorben am 10. März 1886.“

 

Gut, dachte ich bei mir, kurz mit bereits Erforschten vergleichend, da ist dir der kleine Georg Heinrich, der im Säuglingsalter verstorbene, wohl „ durch die Lappen gegangen“, du hast ihn einfach übersehen, aus welchen Gründen auch immer.

 

Da ich Namen, Sterbedatum und das Sterbealter von nur 5 Tagen als Informationen besaß, würde es leicht sein, auch seinen Geburts- , bzw. Taufeintrag in dem entsprechenden Kirchenbuch zu finden.

Folglich musste der im Alter von 5 Tagen am 10.3.1886 verstorbene Georg Heinrich am 5.3.1886 geboren sein.

 

Als ich aber zu dem Kirchenbuch mit den Taufeinträgen wechselte, fand ich diesen Taufeintrag am 5.3.1886 nicht. Diese Unstimmigkeit der Angaben ließ mich nicht lange stutzig werden, denn ich fand dann recht bald folgenden Eintrag:

 

Heinrich Georg, geboren am 24.2.1886, unehelich, in der Spalte des leiblichen Vaters war kein Eintrag, Mutter Agnes H.

Verwirrend war auch ein handschriftlicher Eintrag des Pfarrers am Rande. Viele Pfarrer ergänzten die Einträge über Geburten oder Todesfälle mit zusätzlichen Angaben, die die Person betrafen. So verzeichnete der Pfarrer beim kleinen Georg Heinrich „ getraut am 12.6.1819“.

Eine Trauung eines Georg Heinrich W. oder Heinrich Georg W. hatte es an diesem Tag nie gegeben.

137 Jahre danach reichten dem neugierigen Nachfahren ein paar Klicks, um eine Bestätigung zu bekommen.

 

Mittlerweile dämmerte mir der ganze Sachverhalt um den kleinen Georg Heinrich. Um diese Vermutung, die eigentlich schon Fakt war, bestätigt zu wissen, suchte ich noch einmal ausgiebig nach Einträgen, die meinen Verdacht widerlegt hätten. Aber nichts dergleichen war zu finden.

 

Mein Fazit:

Der Polzeidiener W. , seit 1876 verheiratet, Vater von 4 Kindern, hatte irgendwann im Jahre 1885 eine Affäre mit der Dienstmagd Agnes H.. Ergebnis dieser Affäre war die Geburt eines Sohnes im Februar 1886. Dieser Sohn starb nicht nach 5 Tagen, wie der Pfarrer es fälschlicherweise notierte, sondern nach 14 Tagen. Eine Trauung des Säuglings im Jahre 1819 hatte es nie gegeben.

Nach 1886 hatte mein Urgroßvater noch 3 weitere Kinder mit seiner Ehefrau.

Vermutlich sollte dieser Seitensprung bei den Kirchenbucheinträgen ein klein wenig verwischt werden, damit spätere Nutzer nicht allzu offensichtlich ihre Schlüsse daraus hätten ziehen können.

Vermutlich war diese Geschichte innerhalb des kleinen Dorfes allen bekannt, aber vermutlich wurde sie allseits hinter vorgehaltener Hand und mit fragwürdigen Mäntelchen der Verschwiegenheit, die keine waren, behandelt.

 

Als ich meine Mutter mit dem Sachverhalt konfrontierte, war sie sehr überrascht und versicherte mir, dass sie niemals davon hörte, bzw. dass niemals diese Angelegenheit erwähnt wurde.

Auch ihre einzige noch lebende Schwester wusste von dieser Geschichte nichts.

 

Vielleicht war diese Affäre schon nach einer oder zwei Generationen vergessen worden, möglicherweise aber auch, weil sie vergessen werden sollte und man nie darüber sprach.
Es kann aber auch sein, dass diese Geschichte unter einer imaginären Oberfläche stets im Familiengedächtnis vorhanden war und immer wieder ein kleines Mäntelchen Verschwiegenheit darüber ausgebreitet wurde.

Aber vielleicht weiß meine Mama ja auch mehr, als sie mir sagte.

Wenn sie aus der Morgenmesse zurück ist, müsste ich sie vielleicht noch einmal befragen.



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Kommentare zu diesem Text

Agnete (66)
(07.05.23, 18:42)
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 Redux meinte dazu am 07.05.23 um 18:45:
Weißt du, die gleiche Frage stellte ich mir auch, immer und immer wieder, ohne mich zu trauen, sie in diesem Text zu stellen.

 Oops (08.05.23, 13:01)
Sherlok Redux, eine ganz neue Seite, liest sich sehr angenehm diese Geschichte aus der Ahnenforschung:).

LG Oops

 Redux antwortete darauf am 08.05.23 um 14:15:
O das freut mich sehr,  dass es dir gefällt.  Nicht wenige Bekannte können mit Ahnenforschung nicht viel anfangen und empfinden es als sehr langweilig. Danke
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