Rechte Narrative III: Selbstverantwortung

Vorschrift zum Thema Wirtschaft

von  Terminator

Jeder ist seines Schicksals Schmied. Jeder ist durch seine Entscheidungen für die Ergebnisse in seinem Leben verantwortlich. Es ist allein deine Schuld, wenn du als Loser oder Penner endest. Wer die Gesellschaft, die Politik oder das Schicksal für sein Scheitern im Leben verantwortlich macht, sucht nur nach Ausreden!


Hier handelt es sich um eine Aussage, die, für sich genommen, wahr ist, aber als politisches Narrativ falsch. Aus religiöser und spiritueller Perspektive bist du nicht nur für die Konsequenzen deiner Handlungen verantwortlich, sondern auch für die Lebensumstände, in die du hineingeboren wurdest: theistisch betrachtet, hat dir Gott genau das Leben gegeben, das er in seiner unendlichen Weisheit für dich ausgesucht hat; dharmisch gesehen, wurden die Umstände deiner Geburt, einschließlich Erbkrankheiten und Behinderungen, von deinem Karma bestimmt.


Wendet man diese Aussage auf die sozioökonomischen Verhältnisse an, dann sagt man im Grunde, dass jeder, der halbwegs lesen und schreiben kann, Jura, BWL und Informatik studieren soll, und sich nicht später über Altersarmut beschweren, wenn er eine Geisteswissenschaft studiert oder eine brotlose Kunst erlernt hat. Noch konsequenter gedacht, bedeutet das wirtschaftlich rechte (neoliberale) Narrativ der Eigenverantwortung, dass die Gesellschaft eine Kampfarena konkurrierender Individualisten ist, und weiter nichts. Familie, Bildung, Religion, Kunst: all das ist nur dann relevant, wenn es dem egoistischen Homo oeconomicus nützt, ansonsten ist eine Entscheidung für die Familie zulasten der Karriere eine falsche Entscheidung und die Altersarmut infolge einer Scheidung die gerechte Konsequenz.


Eine neoliberale Robinsonade funktioniert nur, wenn das Leben als ein ökonomisches Ego-Shooter-Spiel verstanden wird, und die Mitspieler als NPCs (non-player characters). Allein schon die Existenz anderer als Personen, nicht bloße Objekte, sprengt den Solipsismus und somit den Primat des individuellen ökonomischen Erfolgs. Es gibt menschliche Beziehungen, es gibt Liebe, Leidenschaft, Talent, Berufung, Idealismus: vieles davon kann im echten Leben (Vorsicht: das "echte Leben" ist ein oft verwendetes rechtes Narrativ, und zwar im Kontext des Antiintellektualismus) Vorrang vor dem ökonomischen Erfolg haben, und zwar nicht, weil jemand ein Dummkopf, ein Wahnsinniger oder ein Loser ist, sondern weil er ein Mensch ist.


Ökonomische Formationen wie der Kapitalismus sind real und haben mehr Macht über die menschlichen Lebensverhältnisse als individuelle Entscheidungen. Eine Gesellschaft mit dem Primat der Wirtschaft zerstört oft die Möglichkeit, ein sinnvolles Leben zu führen. Das Narrativ der Selbstverantwortung ist selbst eine Ausrede, und zwar um über Privilegien, Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten hinwegzusehen.


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Kommentare zu diesem Text

Taina (39)
(03.08.23, 08:58)
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 Terminator meinte dazu am 03.08.23 um 09:46:
Individuell-subjektiv gilt für einen Menschen, umso edler er ist, umso mehr der erste Absatz nach der Narrativ-Vorstellung. Diese religiös-spirituelle Haltung für sich selbst darf man aber nicht unmittelbar auf andere oder die ganze Gesellschaft übertragen.
Taina (39) antwortete darauf am 03.08.23 um 09:51:
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 Terminator schrieb daraufhin am 03.08.23 um 09:54:
Es ist auch irgendwie menschlich, den Erfolg sich selbst zugute zu halten, die Niederlage dem Umfeld.
Das ist wahr. Edel ist aber die Haltung: Ich bin in meinem Leben für alles selbst verantwortlich. Ich weiß aber, dass es objektive Umstände gibt, für die andere Menschen nichts können  (hart zu sich selbst und mild zu anderen, wie der vortreffliche Charakter nach Schiller).
Taina (39) äußerte darauf am 03.08.23 um 09:59:
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Mirjana (50)
(03.08.23, 16:52)
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 Terminator ergänzte dazu am 03.08.23 um 21:23:
Begründung?
Mirjana (50)
(04.08.23, 20:55)
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 Terminator meinte dazu am 04.08.23 um 22:01:
Hast du diesem Schicksal, daselbst herrufen? 
Ja, für dich persönlich (das ist dein Karma).
Oder war das, was darum in Welt passiert ist?
Ja, objektiv betrachtet.

 harzgebirgler (07.08.23, 16:33)
des menschen schicksal, allgemein,
dürfte noch immer fraglich sein
weil sein wesen, ungeklärt,
bloß das rumirren vermehrt.

 Terminator meinte dazu am 07.08.23 um 16:57:
Sein eignes Schicksal anzunehmen,
so ziemt sich, Lebensmüh zu stemmen.
Die meisten klagen Eignes: "Schlecht!"
Des Anderen: "Geschieht dir recht!"
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