Als mich ein Freund fragte

Lebensweisheit

von  Rosalinde

O Freund, der Welt willst du die Wahrheit sagen.
Ja, warum nicht? Dafür wird’s endlich Zeit.
Verlogen ist die Welt, gib ihr Bescheid!
Das Lügenmeer ist kaum noch zu ertragen.

Wer offen Wahrheit sagt, hat arg zu leiden.
Dem wär zu raten, dass er hielt sein Maul,
sonst hagelt es für ihn bloß Foul auf Foul.
Der sollte besser sich als Clown verkleiden.

Denn so kann er die Wahrheit offen sagen,
ein jeder macht sich drauf den eignen Vers,
und notfalls hält man ihn nur für pervers,
drum geht ihm keiner tückisch an den Kragen.

Wenn Wahrheit lachen muss, um nicht zu weinen,
dann stimmt in dieser Welt was nicht, wie wahr.
Maskier dich, Freund, dann bist du unschlagbar.
Sei Clown, hab es im Kopf. Und in den Beinen!


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Kommentare zu diesem Text


 niemand (17.09.23, 19:29)
Ich denke, dass ich mich jetzt bestimmt in ein Fettnäpfchen setze, wenn ich
mal nachfrage, welche Wahrheit im Gedicht gemeint ist? Die allgemeine, die große, die verbindliche etc. die wage ich mal zu bezweifeln und dass es die gibt. Wenn allerdings das Gedicht  dieses "die Welt ist verlogen" als Wahrheit
bezeichnet, dann stimme ich gerne zu.

LG Irene

 Rosalinde meinte dazu am 18.09.23 um 05:57:
Liebe Irene,

in diesem Gedicht geht es nicht darum, was die Wahrheit ist, sondern darum, wie die Unwahrheit erfolgreich bekämpft werden kann. Dass ich die Figur des Clowns erwähne, geht zurück auf den Narren an den Fürstenhöfen. Er hatte die Freiheit, dem großen Herrn Wahrheiten zu sagen, ohne dass ihm ans Leben gegangen wäre, wenn die Wahrheit sogar allzu deutlich war. Er hatte Narrenfreiheit, war aber von der Realität abhängig, der Existenz des Fürsten, also als Mensch nicht frei, und geändert hat der Fürst in seinem Land auch nichts. 

Nun ist die Figur des Narren, genannt Clown, heute nur noch im Zirkus gegenwärtig. Er ist der Spaßmacher, meist sogar sehr aufdringlich. Kinder können über ihn lachen, die Erwachsenen sind da zurückhaltender.

Wir Schreiber sind auch Clowns. Eine größere Rolle haben wir in den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht. Wir haben aber die Möglichkeit der Satire, also bittere Wahrheiten mit Augenzwinkern und (Aus)lachen zu sagen. Das erfordert natürlich Köpfchen und schnelle Beine. Die bekanntesten Satiriker waren Kurt Tucholsky und Erich Weinert vor hundert Jahren, auch Goethe hat dieses Mittel benutzt. Sie karikierten mit diesem Mittel ihre Zeit, ohne auf böseste Wahrheiten zu verzichten. Heute, wenn auch nicht mehr ganz heute, würde ich zum Beispiel Degenhardt nennen. Soviel ich sehe, hatte er keine Nachfolger.

Satire ist einfach nur die "andere, die dritte Seite", die niemand bisher wahrgenommen hat. Die Satire ist die schärfste Waffe der Unterdrückten gegen die Herrschenden. Auch sie ändert nichts an bedrückenden Verhältnissen, aber in den Köpfen. Nicht von allen, aber von einigen, wie es ja immer die Wenigen sind, die nein sagen. 

Das Gedicht ist für mich reine erste Überlegung, nicht mehr. Wir müssen die Verbotspraxis umschiffen sozusagen. Die Herrschenden wissen, dass Satire ein Angreifspotential hat, und sie werden entsprechend reagieren. Aber den Versuch ist es wert - im Namen der Wahrheit. Die es übrigens gibt, es ist einfach die Realität, das Wirkliche, egal, wer sie verbiegen will. In dieser Hoch-Zeit der Lügen können ein paar Wahrheiten die Augen öffnen, auch wenn die meisten lieber weiterschlafen.

Dieses Gedicht musste ich erklären. Das ist der Stand der Dinge. Schlimm.

Lieben Gruß, Rosalinde
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