Buchmesseimpressionen 2024

Text

von  FRP

Wir wissen nicht, was der kleine Junge, sitzend auf den Schultern seines Vaters, von der Buchmesse wirklich versteht. Aber so viel wissen wir: Wie Maschinengewehrsalven repetiert er ununterbrochen das Wort: "Verlag! Verlag! Verlag! Verlag! ..." Es ist also doch noch nicht alles verloren bei der jungen Generation. Dank beschieden sei der Verwaltung der Buchmesse, die mich mit Jahr für Jahr und immer noch, - obgleich ich schon lange kein Antiquar mehr bin, - als Fachbesucher führt, und mich mit einer kostenlosen Dauerkarte bedenkt. Müsste ich gar noch dafür bezahlen, wäre ich nicht hier. Denn was habe ich hier wohl zu suchen? Nichts mehr, schon lange nicht mehr. Nichts zu suchen habe ich bei den Verlagen, die uns vorspiegeln, sie würden nach Autoren suchen, und uns dann für unsere eigene Literatur bezahlen lassen. Wollen. Oder bei denen, welche mir sagen, sie suchen nach jungen Autoren, aber ich wäre ja nicht mehr jung. Als ob ich das nicht selber wüsste. Und was habe ich hier also verloren? Nichts, und alles.


Eine jede Illusion habe ich hier, und genau hier, endgültig abgetan, in diesem Leben noch irgendetwas erreichen oder bewirken zu können. Unbeschwert und ziellos lasse ich mich an den Ständen vorbei - und durch die Hallen treiben. Das wäre ein guter Buchtitel, übrigens, und analog zu Led Zeppelins "Over the hills and far away". Kommen sie zur Signierstunde mit FRP, wenn er sein neues Buch "An den Ständen vorbei und durch die Hallen" vorstellt". Nein, ich wollte doch nicht mehr träumen! Böser FRP, Platz! Mach "Sitz" in der Ecke der Unverlegten. Und knabbere an dem Knochen, du hast ihn dir verdient. Ich laufe weiter und schwebe surreal durch meinen eigenen, erloschenen Traum, und das ist erschreckender Weise ein ziemlich komfortables Gefühl. Das ist fast wie ver-gehender Zen. Interesselos treibe ich an den Ständen vorbei. Wie habe ich mich früher geärgert, wenn ich in einen Stau geriet, nur noch tapsend voran kam, ständig ausweichen musste. Was mich mit Freude erfüllt, ist die Präsenz des guten, alten „Mosaik“. Freilich ist es nicht mehr das Heft von Hannes Hegen; schon seit 1976 regieren die „Abrafaxe“. Nunmehr ist mir das alles ganz gleich, denn ich habe weder Ziele, noch Absicht. Staus und Gedränge sind hier eher doch Erinnerungen an das "früher einmal" als eine aktuelle Erscheinung, so leer und weiträumig ist es hier nun. Nur dort, wo man großzügig en masse Bücher verschenkt, kommt es hier und da noch zu Aufläufen. Ab und zu stehle ich mir ein Foto, wenn mir etwas des Festhaltens für würdig erscheint.


Ausgedünnt an Ständen und Menschen ist diese Leipziger Buchmesse geworden. Eigentlich ist es beinah fast nur noch eine Comic-, Manga- und Anime-Messe. Dafür ist sie nun wieder voll; an den entsprechenden Ständen. Hier und da gibt es Hinweise darauf, dass wir gerade noch so in einer Demokratie leben. Und das die AfD eine Partei für den Arsch ist. Was früher war, scheint auch hier unrettbar vorbei, trotz alledem. Nehmen wir nun etwa meine einst so geliebte, niveauvolle Messehalle 3. Was aber muss ich nunmehr realisieren? Das sie okkupiert wurde von den Japanern, Koreanern und Chinesen. Im Inneren der Antiquariats-Messe in der Halle 5 gibt es kein Café mehr, wie ärgerlich. Daneben lag früher gleich die Buchhändler-Lounge; nun finde ich auch von ihr keine Spur mehr. 



Aus Gewohnheit verweile ich eine halbe Stunde im Inneren Bereich dieser Verkaufsmesse. Der einzige Händler, der mich noch erkennt, ist der Graphik-Händler aus den Arkaden vom Alten Rathaus. Blöd, wie ich heute bin, lasse ich mich von ihm in die Defensive drängen. Alles hätte ich ihm auf seine unsagbar plumpe und stereotype Frage entgegnen können: Ich schreibe Reiseberichte, Prosa und Lyrik, ich fotografiere, ich komponiere kleine Stücke für Akustikgitarre, ich meditiere, ich dringe tief ein in die Welt der Antike, ich bereite mich auf meine nächste Reise nach Konstantinopel vor, aber nein, ich antworte mit einer Dummheit. Aber weißt du, nein; ich! was? Es ist mir piep egal, was der Typ von mir denkt. Sein Angebot zur outgesourcten Heimarbeit für ihn (und Steuern nebst dem händlerischen Risiko für mich) habe ich damals, - und eben noch einmal, - stolz und erhaben abgelehnt.


Die Messe ist derart entschleunigt und verkehrsberuhigt, dass man die Stände der Rundfunk- und Fernsehsender unten in der Halle positionieren kann. Dadurch läuft es sich oben plötzlich ganz unbeschwert. Nahezu der einzige Ort, an dem ich mich länger aufhalte, ist das Autorengespräch in der Leseinsel Junger Verlage mit der, - okay, ich gestehe es ein: für mich sehr attraktiven Katrin Schumacher, -  in der Halle Fünf. Katrin beantwortet Fragen zu ihrem Roman "Liste der gebliebenen Dinge". "Ich bin uralt", will sie uns erzählen. Was soll ich da sagen? Und sagt sie das nur, weil sie meinen starrenden Blick erspäht, mich mit einem Blick durchschaut, meine Frustration erkennt und mich trösten will darüber, dass sie, - im Unterschied zu mir, - als älterer Mensch doch noch verlegt wurde?


Ich weiß nicht, wie alt sie genau wohl ist, aber im Vergleich zu mir ist sie bestimmt noch sehr jung. Hinterher verschenkt und signiert sie so um die 15 Bücher. Ich hätte eines derselben abbekommen können, aber ich verzichte, obgleich ich mich gern mit ihr unterhalten hätte. Aber wer bin ich, und von was könnte ich ihr erzählen? Das letzte, was ich hier noch gebrauchen könnte, wäre die Euphorie einer schönen Autorin, die „es“ gerade noch geschafft hat.

 
Die Stände der Halle Zwei sind zusammengeschrumpft, dass Gutenberg erbarm. Unter solchen Bedingungen gebe ich jeden Anspruch auf, und ich mache mir die Sicht von Anna Freud und Marie Bonaparte zu Eigen, als ich in der Messehalle 1 angekommen bin. Nein, wirklich, ich werde voraussichtlich nie nach Japan kommen. Es wäre denn, ein Wunder geschähe mir. Noch. Also identifiziere ich mich mit dieser Shinjuku-Lebensintensität und sauge die positive Energie ein. Ich bin ausnahmsweise einmal "nicht mehr dagegen". Gegen irgendwas, ganz gleich, was. Sonst bin ich ja immer gegen das, was mir widerfährt, ganz gleich, was mir widerfährt. Ich vermisse das große, grüne Zelt mit der Möglichkeit, an einer Teezeremonie teilnehmen zu können. Doch endlich einmal treffe ich beinah ausnahmslos auf Menschen, die sich gern fotografieren lassen, geradezu danach lechzen, statt mich mit "den Blick" zu bedenken. Also fotografiere ich, was der Schuss aus der Hand hergibt. Leider habe ich nur die kleine Kamera dabei, aber das macht nichts, denn seit gestern habe ich auch "Lightroom". Irgendwann bemerke ich, dass ich müde und unkonzentriert geworden bin, und ab und an dazu tendiere, an andere anzustoßen, wenn ich nicht aufpasse. Also entscheide ich mich für die Heimfahrt. Und hoffe inständig, dass ich im nächsten Jahr aus dem Freikartenverteiler geflogen bin.



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