Kant oder wie weit reicht die Vernunft

Text zum Thema Philosophie

von  Hans

Kant (22.4. 1724 – 12.2. 1804 in Königsberg) -

oder wie weit reicht die Vernunft?


Vor 300 Jahren wurde Immanuel Kant geboren. Ist er noch aktuell als Influencer? Wie viele follower hätte er, von den likes ganz zu schweigen?

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten

Unmündigkeit.

Mit dieser berühmten Definition sind die Fragen beantwortet. Fast scheint es, als hätte er den Satz als Kommentar über fakenews, shitstorms, Verschwörungstheorien, Bedrohungen und Beleidigungen im Netz geschrieben. Wie hätte dieses darauf reagiert? Wäre ein gewaltiger shitstorm „ausgebrochen“ oder hätten sich nur wenige angesprochen gefühlt? Schließlich leben viele ZeitgenossInnen abgeschottet in Parallelwelten mit ihren eigenen „Wahrheiten:“

Eine zentrale Frage Kants: Was können wir wissen?

Damit beschäftigt sich sein Buch Kritik der reinen Vernunft. Die Stärke der Arbeiten dieses Philosophen besteht darin, dass er seine Gedanken begründet. Das macht sie nachvollziehbar und kritikfähig. Eigentlich sollte das üblich sein, damit Diskussionen sachlich geführt werden können.

Tatsächlich bleibt es die Ausnahme.

Ich beschränke mich auf die Wiedergabe der Ergebnisse seiner Untersuchungen.

Kant unterscheidet Aussagen, die unserer Anschauung zugänglich und damit überprüfbar sind. Metaphysische Aussagen dagegen übersteigen den Erfahrungsbereich und bleiben daher unentscheidbar, selbst wenn sie gut begründet erscheinen. Er zeigt das daran, dass das Gegenteil einer metaphysischen Behauptung genauso plausibel behauptet werden kann wie die Ausgangsthese. Die zentralen Begriffe der Metaphysik sind Gott, Unsterblichkeit und Freiheit. Alle Begründungen dafür, dass ein Mensch frei ist, lassen sich genauso gut für seine Determiniertheit anführen.

Eine logische Lösung dafür gibt es nicht.

Die Wissenschaft – Kant war Anhänger Newtons – unterscheidet sich also grundlegend von der Religion. Die religiösen Aussagen entziehen sich dem Wissbaren und sind Angelegenheiten des Glaubens.

Diese Erkenntnis erschüttert die Zeitgenossen. Kant gilt als der „Alleszermalmer“, der die Grundlagen der religiösen Gewissheiten zerstört.

Nicht nur: auch die Philosophen (nicht alle, versteht sich) nehmen Anstoß an seiner Erkenntnistheorie. Schließlich behauptet er, dass wir Menschen die Wirklichkeit der Welt nicht so wahrnehmen, wie sie ist, sondern wie sie unsere Wahrnehmung uns zeigt. Über das Ding an sich gibt es keine Erkenntnis. Auch Zeit und Raum seien keine objektiven Tatsachen der Natur, sondern lediglich Formen der sinnlichen Anschauung.

Eine echte Provokation!

Vor allem Hegel verwirft das und entwickelt in der Auseinandersetzung mit Kant seine eigenen Ideen.

Den nächsten Schritt geht der Königsberger mit der Ausarbeitung einer Theorie der Moral. Titel: Kritik der praktischen Vernunft.

Der Kategorische Imperativ, also ein Befehl, der immer gilt, bestimmt demnach das Handeln, zumindest, wenn es ethisch korrekt ist.

Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.

Für diesen Grundsatz bestreitet Kant jeglichen Zweifel und Relativismus. Das richtige Verhalten sollte die Grundlage der allgemeinen Gesetzgebung sein können.

Man kann leicht spotten über diese formale Definition, zumal der Meister selbst missglückte Beispiele für deren Anwendung findet und sich mitunter sogar in groteskem Fundamentalismus verirrt. Das Lügenverbot gilt demnach grundsätzlich, auch dann, wenn jemand einen unschuldig Verfolgten versteckt und von dessen Peinigern nach ihm befragt wird.

Hier führt sich die Prinzipientreue selbst ad absurdum, und man fragt sich erstaunt, wie Kant zu einer solchen Schlussfolgerung gelangt.

Hinter jeder menschlichen Handlung steckt eine Gesinnung, die sie motiviert. Diese allein ist ausschlaggebend für deren Beurteilung. Es kann durchaus sein, dass eine gut gemeinte Handlung zu ihrem gegenteiligen Ergebnis führt. Geschieht das unabsichtlich, ist sie dennoch als gut zu bewerten.

Problematisch. Einige Kantianer sehen in der Rigorosität seiner Ethik einen Rückfall in überwunden geglaubten Dogmatismus. Sie sprächen lieber vom hypothetischen Imperativ. Kant selbst lehnt das ab.

Der letzte große Entwurf Kritik der Urteilskraft betrifft die Ästhetik.

Im Mittelpunkt steht der Begriff des interesselosen Wohlgefallens, das die Schönheit hervorruft. Friedrich Schiller fühlt sich davon inspiriert und setzt sich intensiv mit Kants Überlegungen auseinander.

Ich bezweifle, dass es etwas gibt, das interesselos betrachtet werden kann.

In seiner Schrift Zum ewigen Frieden denkt er weit voraus und entwickelt die Idee eines Völkerbunds. Zwar können seiner Ansicht nach nur Monarchien und aristokratisch geführte Staaten die nötigen Schritte zur Bewahrung des Friedens gehen, ein Zugeständnis an seine Epoche.

Aber: stehende Heere verhindern dieses Anliegen. Eine bemerkenswerte Einsicht für einen Philosophen im militaristischen Preußen!

Die Ehe definiert Kant als Vertrag zum ausschließlichen gegenseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane.

Er selbst bleibt Zeit seines Lebens Junggeselle.

Nach anfänglichen Verständnisschwierigkeiten werden seine Ideen intensiv diskutiert. Viele Nachgeborene - Anhänger wie Gegner - „überwinden“ die vermeintlichen und tatsächlichen Schwächen seines Systems. Zu ersteren gehört Arthur Schopenhauer, der in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ die kantschen Ideen in seinem Sinne weiter entwickelt. Von überragender Bedeutung erweist sich der Entwurf des ihm verhassten Hegel, der alle Aspekte der Wirklichkeit als vernünftig denkt.

Während der Verstand beim Denken der Widersprüche stehen bleibt, gelingt es der Vernunft diese zu überwinden und als zusammengehörige Einheit zu denken. Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig. Diese These bringt es auf den Punkt.

Sein Werk ist und bleibt umstritten, zumal er mitunter zur Rechthaberei neigt. Der Brite Karl Popper betrachtet Hegels Philosophie sogar als Vorläufer totalitären Denkens und lehnt sie scharf ab. Das ist übertrieben, hängt aber damit zusammen, dass Hegel keine Grenzen des vernünftigen Erkennens anerkennt. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von Kant. Unstrittig bleibt, dass ohne Kants Gedanken Hegels Philosophie nicht möglich wäre.

Was bleibt?

Was die Vernunft leistet, wird von Kant systematisch erforscht. Er bestimmt ihre Grenzen dort, wo sie den Bereich des Erfahrbaren verlässt. Eine epochale Leistung, die bis heute nachwirkt!

Ob Hegels Dialektik Kants Ideen überzeugend „überwindet“, ist eine der grundlegenden Fragen der Philosophie.

Bertolt Brecht meinte einst, man solle auf seinen eigenen Grabstein schreiben Er hat Vorschläge gemacht.

Für Immanuel Kant trifft das zu.






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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (20.04.24, 10:50)
Es ist gut, daß Du an diesen bedeutenden Menschen, dem die Menschheit viel zu verdanken hat (oder zu verdanken haben könnte, wenn sie ihn zur Kenntnis nähme), erinnerst!

In einem Punkt möchte ich Deine Darstellung ergänzen bzw. ihr einen etwas anderen Akzent geben. Was Kant vorschwebte, war eine Metaphysik als Wissenschaft, d.h. er wollte sie nicht dem Glauben und Meinen überlassen.
Deshalb gibt er sich in der KrV solch große Mühe mit den synthetischen Urteilen a priori: Er sucht Aussagen, die nicht so unsicher sind wie die Erfahrungsurteile (synthetisch, a posteriori), und dennoch nicht so leer/tautologisch wie die analytischen Aussagen (a priori). Gibt es gehaltvolle Aussagen, die vollkommen sicher sind?

Dieses Programm steht in den "Prolegomena ...", und es führt zu Titeln wie "Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft" und "Metaphysik der Sitten".
Man ist es heute gewohnt, die drei Kritiken als Zentrum von Kants Werk anzusehen, aber sie waren nicht das, worauf es ihm letztlich ankam, sondern sollten einen Grund dafür legen.

 Hans meinte dazu am 20.04.24 um 19:16:
Du äußerst bedenkenswerte Ideen. Ich bezweifle, ob es synthetische Urteile a priori gibt. Kant findet sie in der Mathematik, aber das überzeugt mich nicht.

 S4SCH4 antwortete darauf am 20.04.24 um 23:31:
Graeculus Kommentar ist m.E. elementar wichtig.


Außerdem ist mir eingefallen:

Die Sinneseindrücke, nicht nur die "Anschauung" im engeren Sinn, sind a priori. Das sie bis zur "endgültigen" Wahrnehmung, Schlaufen durchlaufen ist auch wahr.

Ich bezweifle das er behauptet "...die Wirklichkeit der Welt nicht so wahzunehmen, wie sie ist..." jedenfalls nicht im Sinne einer etwaigen Illusion. Er hat nicht mit einer Korrepondenztheorie philosophiert (Realismus bpsw.), daher kann das mit der Wirklichkeit etwas "unglücklich" rüber kommen; vielleicht. Mich würde der Kontext interessieren, auf welche Quelle du dich beziehst.

Ich bezog mich auf diesen Teil deines Textes (Zitat):


Schließlich behauptet er, dass wir Menschen die Wirklichkeit der Welt nicht so wahrnehmen, wie sie ist, sondern wie sie unsere Wahrnehmung uns zeigt. Über das Ding an sich gibt es keine Erkenntnis. Auch Zeit und Raum seien keine objektiven Tatsachen der Natur, sondern lediglich Formen der sinnlichen Anschauung.

Eine echte Provokation!

Antwort geändert am 20.04.2024 um 23:31 Uhr

 AchterZwerg (20.04.24, 12:22)
Hallo Hans,
du hast eine große Begabung, nämlich die, etwas so Schwieriges wie die Kantsche Philosophie mundgerecht zu servieren, ohne dass sie an Gehalt verliert.
Erlaubst du mir, den  Text herauszukopieren und für mich zu bewahren?

Grüße voller Applaus <3

 Hans schrieb daraufhin am 20.04.24 um 19:17:
Danke für die Blumen. Natürlich kannst Du den Text kopieren.

 Augustus (20.04.24, 12:26)
Eine kurze und lesbare Einführung in die kantische Philosophie. Wir wissen, wie umständlich Kant seine Gedanken ausdrücken konnte. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn der Autor uns nach und nach mit Kant mehr vertraut machen könnte.

Kommentar geändert am 20.04.2024 um 12:27 Uhr

 Hans äußerte darauf am 20.04.24 um 19:19:
Danke. Die Gedanken entstanden anläßlich Kants Geburtstag,
als etwas vefrühtes Geschenk.
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