Unser kleiner Grenzverkehr

Text zum Thema Reisen

von  Citronella

Wir hatten es zur Tradition werden lassen, am ersten Urlaubstag in Ahlbeck am Strand entlang Richtung Swinemünde zu wandern. Mehrere Jahre lang entstand dann das erste Foto neben dem Schild „Achtung Grenze“. Ein paar Meter weiter hielt uns ein Zaun auf, und man bog ab durch den Wald Richtung Grenzübergang, wo vor zwanzig Jahren noch Grenzkontrollen durchgeführt wurden. Den Personalausweis musste man also immer dabei haben.

Gleich hinter dem Grenzübergang begann der Polenmarkt mit allerhand kuriosem, aber manchmal sogar lohnenswertem Kaufangebot. Durch die niedrigen Dächer aus billigsten Materialien heizte sich das Terrain an heißen Tagen ziemlich ungemütlich auf, sodass wir uns bald zur Promenade durchkämpften, um in einem der Cafés einzukehren. In den ersten Jahren war hier alles noch ziemlich preiswert, Euro wurden überall gern genommen, und für diesen einen Besuch tauschten wir nie in Zloty. Im Laufe der Zeit passte sich das Preisniveau an das deutsche an.

Zurück ging es dann ab Grenze meistens mit dem Bus oder ab 2008 mit der Usedomer Bäderbahn (UBB), die nun bis ins Zentrum von Swinoujscie (Swinemünde) durchfuhr.

Abgesehen von allen anderen Ausflugszielen, die Usedom bietet und die wir im Laufe der Jahre überwiegend zu Fuß oder in selteneren Fällen mit einem Leihfahrrad erkundeten, zog es uns auch immer wieder über die Grenze. Ein Tagesausflug mit dem Bus über die Insel Wollin fiel leider buchstäblich ins Wasser, weil es fast den ganzen Tag regnete. Aber man bekam trotzdem einen Eindruck von der Insel, auf der meine Großmutter geboren wurde. Ihren Geburtsort Misdroy (heute: Międzyzdroje), den wir nach der Fertigstellung des dortigen Schiffsanlegers dann mit einem Bäderschiff direkt von Ahlbeck aus erreichen konnten, durchschritt ich geradezu andächtig.

Nachdem die Grenze Ende 2007 endgültig gefallen war, verschwand auch das Schild am Strand. Man konnte nun ungehindert am Wasser entlang bis zur Swine-Mündung mit der Mühlenbake laufen. Unser Aktionsradius hatte sich noch einmal erweitert. Mit der Fertigstellung der durchgehenden Strandpromenade von den Kaiserbädern bis nach Swinemünde hinein im Jahre 2011 wurde der einstmals urige Waldwanderweg nun zu einer vielbegangenen und von Radfahrern genutzten Betonpiste. Es war manchmal ungemütlich voll. Die gesamte durchgehende Promenade von Bansin bis Swinemünde soll mit einer Länge von 12 km die längste Europas sein.

Wir blieben auch weiterhin lieber am Strand, an dem sich nach der Grenzöffnung Polen und Deutsche auf beiden Seiten sehr schnell vermischten. Woanders ist das Gras immer grüner, sagt man. Viele Arbeitskräfte in den Kaiserbädern, vor allem in der Gastronomie, kamen nun aus dem Nachbarland.

Oft war ich auf dem Strandabschnitt vor Swinemünde auch in Gedanken bei meiner Mutter, die hier in ihrer Kindheit – mit dem Schiff von Stettin kommend – viele Sonntage verbracht hatte. Einmal soll meinem Großvater die Geldbörse aus seinen am Strand gelagerten Sachen gestohlen worden sein, während die Familie sich im Wasser vergnügte. Das war in den 1930er-Jahren.

Natürlich durfte auch ein Ausflug nach Stettin nicht fehlen. Mit dem Schiff ging es von Kamminke über das Haff nach Alt-Warp, wo uns ein Bus zu einer Stadtrundfahrt abholte. Die ein bis zwei  Stunden zur freien Verfügung habe ich in nicht so guter Erinnerung – verpflegen konnten wir uns erst, nachdem wir in der nächsten Bank Zloty getauscht hatten. Euro lehnte man ab, auch Deutsch konnte (oder wollte) niemand sprechen. Ein großer Unterschied zum Leben in Swinemünde. Aber immerhin hatte ich einiges von der Stadt gesehen, was ich bisher nur aus Erzählungen kannte. Abends folgte ein langes Telefongespräch mit meiner Mutter, in dem ich viel zu erzählen hatte.

2022 fuhren wir noch einmal nach Ahlbeck, diesmal im September statt wie sonst immer im Mai/Juni zur schönsten Vorsaison. Uns war bewusst, dass es aus verschiedenen Gründen wahrscheinlich das letzte Mal sein würde. Es hatte sich mittlerweile viel verändert. Seit der Wende war man bemüht gewesen, die wunderschöne Bäderarchitektur aufrechtzuerhalten und viele alte Villen liebevoll zu restaurieren. Mittlerweile gibt es überall einige Bausünden, und man hat ein riesiges neues Strandhotel zwischen Ahlbeck und Heringsdorf gesetzt, das in seiner Größe und Ausführung einen hässlichen Fremdkörper zu den vorhandenen Gebäuden darstellt. Ob man damit auf Dauer ein jüngeres Publikum als bisher in den Ort zieht, bleibt abzuwarten. Wir sind schon mal weg.



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Kommentare zu diesem Text

Agnetia (66)
(14.08.24, 13:40)
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 Citronella meinte dazu am 14.08.24 um 21:27:
... wobei ich Rügen fast genau so gern mag.

LG Citronella
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