Ein wirklich übler Tag

Bericht zum Thema Reisen

von  Citronella

(Auszug aus einem Hurtigruten-Reisebericht - Vorletzter Tag - ab Rørvik südgehend)

Eine der Merkwürdigkeiten einer Schiffsreise ist, dass man nach einer kurzen Eingewöhnungsphase nachts nicht mehr von den Schiffsgeräuschen wach wird, sondern eher von der Ruhe, z. B. wenn das Schiff längere Zeit im Hafen liegt. Im Halbschlaf kann ich am sehr frühen Morgen die Stille deshalb zunächst nicht einordnen - in Trondheim können wir doch noch nicht sein?

Meine Uhr zeigt 4.30 Uhr, als ich einen ersten Blick aus dem Fenster werfe. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe: Ockergelbe Kaischuppen - die habe ich doch gestern Abend vor der Abfahrt zuletzt gesehen ... Wir müssen in der Nacht nach Rørvik zurückgekehrt sein!

Nachdem ich mich total perplex wieder in die Koje gelegt habe, grübele ich lange darüber nach, wie viel Verspätung wir mittlerweile haben und ob mein Heimflug aus Bergen dadurch gefährdet sein könnte. Einschlafen kann ich nicht mehr, zumal eine sehr frühe Durchsage, zunächst nur auf Norwegisch und Englisch, erfolgt, dass sich verbliebene Passagiere für Trondheim bitte sofort an der Rezeption melden möchten. Diese Durchsage wird dann erst eine halbe Stunde später auch auf Deutsch wiederholt, man hat wohl gemerkt, dass noch nicht alle verstanden haben, worum es geht. Kurze Zeit später dann die klare Ansage, dass Trondheim heute nicht mehr angefahren werden könne und alle Passagiere für Trondheim an diesem Morgen mit Bussen weiterfahren müssten. Es habe in der Nacht technische Probleme mit einem Propeller gegeben, deshalb habe man bei dem starken Sturm auf der Folda* umkehren müssen.

Die Sonne wagt sich zum ersten Mal durch die Wolken. Gelegenheit für einige Fotos von Rørvik am Morgen. Es sieht alles sehr friedlich aus. Kurz danach öffnet der Himmel wieder seine Schleusen und macht den Morgen mit heftigen Schnee- und Graupelschauern sehr ungemütlich.

Das Restaurant ist beim Frühstück fast leer. Nachdem die Busse Richtung Trondheim abgefahren sind, geht es auch für uns gegen 9.30 Uhr weiter. Laut Ansage soll es ohne jeden Zwischenstopp bis Ålesund durchgehen.

Während ich danach im Panoramasalon abhänge, wird das Wasser langsam aber stetig unruhiger. Ich bin jedoch guten Mutes, versuche fasziniert in einem Minivideo mit meiner Miniknipse die brodelnde See bei strahlendem Sonnenschein aufzunehmen und habe keine Zweifel, dass der Selbstversuch - ohne Medikamente und Seaband - gut ausgehen wird.

Die Wellen werden höher.

Um 11.00 Uhr soll eine Info-Veranstaltung im Konferenzraum stattfinden, da will ich natürlich dabei sein. Vorher möchte ich noch meinen Thermobecher in die Kabine bringen, merke jedoch  auf dem Weg dorthin, dass ich schon erhebliche Schwierigkeiten mit dem aufrechten Gehen habe. Ich denke, dass es nun an der Zeit ist, den Selbstversuch schnellstens zu beenden, werfe mir eine Vomex-Tablette ein und streife hastig die Seabands über. In weiser Voraussicht nehme ich auch schon mal eine gewisse Tüte mit. Dann wieder zurück von Deck 7, ziemlich weit hinten, nach Deck 5, ganz vorn. Auch andere Passagiere haben mittlerweile Mühe, in der Spur zu bleiben.

Der Konferenzraum ist schon dicht besetzt, so wie oft im Kino sind nur die mittleren Plätze noch frei. Ich quetsche mich irgendwo durch und bin froh, dass ich endlich sitze.

Was mir dann passiert, wollt ihr nicht wirklich wissen ... Von links reicht mir ein wohlmeinender Mensch ein Papiertaschentuch, Crewmitglieder verteilen reichlich Tüten unter den Anwesenden, und ich hänge (hier muß der dumme Spruch mal her) wie ein Schluck Wasser in der Kurve völlig fertig in meinem Sessel. Wirklich Neues hat uns die Reiseleiterin nicht zu sagen. Man entschuldigt sich für den Schaden und die Verspätung, teilt mit, dass wir bis Ålesund durchfahren würden, dass wir mittlerweile Windstärke 10 - 12 und bis zu 10 m hohe Wellen hätten ... Um uns das zu erzählen, hätte auch eine Lautsprecherdurchsage gereicht! Mitreisende bestätigen mir später, dass der Aufenthalt in diesem dunklen, stickigen Raum am Bug des Schiffes, wo es am meisten schwankt, vielen Leuten den Rest gegeben habe. War so etwas den Veranstaltern nicht klar?

Die Leute quälen sich langsam hoch, ich will nur noch schnellstens hier raus! Ich hangele mich zwei Treppen hoch, schwanke über lange Gänge, unterwegs treffe ich mehr als eine Person, die sich in einem ähnlichen Zustand befindet. Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig, in die Kabine zu segeln und ins Bad zu stolpern.

Danach will ich von der Welt nichts mehr wissen. Ich hänge das "Do not disturb"-Schild nach draußen, ziehe die Vorhänge zu und falle in die Koje. Diese scheint sich ständig zu heben und zu senken. Besonders unangenehm ist es, wenn die Füße plötzlich höher liegen. Physikalischen Gesetzen folgend halten sich die Vorhänge senkrecht, während das Schiff in Schräglage geht. Dadurch kommt es immer wieder zu unangenehmem Lichteinfall, denn draußen ist es noch sonnig. Ab und zu hört man einen dumpfen Aufschlag, wenn das Schiff mal wieder eine größere Welle "genommen" hat.

Dieser Höllenritt über die Folda dauert noch ca. 2 1/2 Stunden, die ich völlig benommen im Halbschlaf verdöse, dann klopft die Reinigungskraft (trotz des roten Schildes) an die Tür. Wie kann man unter diesen Umständen noch arbeiten (müssen)? Ich gebe schwache Zeichen, dass ich nicht gestört werden möchte, bin dann aber doch wieder so weit in Form, dass ich aufstehen kann. Ein bisschen neugierig bin ich ja schon, was so rundherum vor sich geht.

Das Mittagessen ist erst einmal verschoben worden, das Küchenpersonal hatte wohl keine Chance bei diesen Arbeitsbedingungen. Später werden das Mittag- und Abendessen in Form eines Buffets auf 16.00 - 18.30 Uhr zusammengelegt.

Die See hat sich mittlerweile ziemlich beruhigt. Das Schiff ist zum Geisterschiff geworden, es ist kaum jemand unterwegs. Die Schäden der letzten Stunden zeigen sich auch am Arbeitsplatz der Reiseleiterin, der total verwüstet ist. Die Schränke der Informationsecke waren zuvor noch hastig abgeklebt worden.

Einige umtriebige Deutsche halten sich in der Cafeteria auf, wegen des ausgefallenen Mittagessens gibt es hier jetzt Snacks kostenlos. Eine Durchsage dazu habe ich nicht gehört. Ich decke mich mit einem Sandwich und einer Tüte Chips ein und hole mir einen Tee dazu. Schließlich muss mein leerer Magen wieder etwas zu tun bekommen! Man wundert sich, wozu der Mensch so in der Lage ist.

Am späteren Nachmittag sitzen nur wenige Leute im Panoramasalon, bei den meisten hat die Frisur anscheinend auch bei Windstille 12 gehalten (während ich nach den letzten Stunden wohl etwas "durch den Wind" aussehe). Gegen 17.00 Uhr wage ich mich dann in das Restaurant, es ist erstaunlich voll. Ich begnüge mich mit einer kleinen Portion, gönne mir aber danach ein schönes Stück Torte und eine Tasse Kaffee zur Kreislaufstabilisierung. Das ist nun also das letzte Abendessen an Bord.

Später kommt die Durchsage, dass es auf der Hustadvika noch einmal zu stärkerem Seegang kommen werde, doch "nur" mit bis zu 5 m hohen Wellen zu rechnen sei. Na, das erschreckt einen doch jetzt nicht mehr!

Eigentlich möchte ich nun Koffer packen, aber das gestaltet sich bei zunehmendem Schaukeln als schwierig. Schranktüren, die ich öffne, fallen bei der nächsten Schräglage des Schiffes wieder zu, andere öffnen sich von selbst. Der Weg durch die Kabine geht mal aufwärts, mal abwärts. Ich gebe irgendwann entnervt auf und lese, bis der Spuk zu Ende ist. Dank der Seabands und einer weiteren Tablette habe ich nun keine Probleme mit dem Seegang.


Kurz nach 22.00 Uhr ist dann auch der Koffer größtenteils gepackt, und ich genehmige mir zum letzten Mal einen Gruß aus der Brauerei Mack. Prost - heute wieder eine Erfahrung im Leben dazugewonnen! An der Bar sitzen nur zwei Männer und starren in ihre Getränke, im Panoramasalon hält sich dann außer mir nur noch eine einzige Frau auf. Der Tag hat wohl doch vielen Leuten zugesetzt. Ein bisschen traurig, dieser letzte Abend! Auf dem Monitor sehe ich, dass das Schiff jetzt mit weit über 15 Knoten Fahrt macht, es beeilt sich wirklich.

Von der Landschaft draußen habe ich heute übrigens sehr wenig gesehen.




Anmerkung von Citronella:

Die Folda, oder auch Folla, ist ein Seegebiet vor der Küste der  norwegischen  Fylke (Provinz)  Trøndelag. Es erstreckt sich über eine Gesamtdistanz von rund 30  Seemeilen … Die Folda ist wegen ihres schweren Seegangs berüchtigt und wird oft als Schiffsfriedhof bezeichnet, da dort so viele Schiffe ihr Ende fanden. Eines der bekanntesten war das  Hurtigruten-Schiff  Sanct Svithun, das dort im Oktober 1962 unterging, wobei 41 Menschen ihr Leben verloren.  

(Wikipedia)

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