Es war einer dieser Abende, die nahtlos in einen ermüdenden Tag hineinreichen, als hätten die Stunden keine Grenzen, als verschluckte die Dunkelheit das Davor und Danach in einem einzigen, endlosen Augenblick. Anders saß im Auto. Der Motor brummte gleichmäßig, das Radio säuselte leise, die Lichter der Stadt zogen vorbei. Acht Stunden Softwareentwicklung, endlose Meetings - der Tag hatte sich wie eine Schlinge um ihn gelegt. Die Fahrt nach Lüneburg zur Abendvorlesung war ihm zur Routine geworden, die er wie im Halbschlaf bewältigte. Die Worte des Dozenten hingen noch in der Luft, schwer und substanzlos zugleich, während die nächtliche Stille die Gedanken nach und nach verschluckte.
Die Rückfahrt über die Elbe bei Geesthacht hatte immer etwas zeitlos Schönes. Der Mond, bleich und silbern, ruhte auf dem dunklen Wasser, ein steter Begleiter, der das Ufer mit kühlem Glanz überzog. In solchen Momenten empfand Anders eine seltsame Ruhe, als ob die Unendlichkeit des Himmels und die sanfte Bewegung des Flusses ihn mit einer wortlosen Gewissheit umhüllten. Doch heute lastete etwas Schweres auf ihm, dichter als die Müdigkeit. Ein anderes, unbestimmtes Gewicht.
Die Radiomoderatorin unterbrach das Schweigen. „Freddy Mercury ist tot. Gestorben an Aids.“
Der Satz traf Anders unerwartet, fast wie ein körperlicher Schlag. Freddy Mercury, dessen Stimme ihm immer als Inbegriff von Leben und Energie erschienen war, war nicht mehr. Ein Mann, der alles hatte - Ruhm, Reichtum, grenzenlose Möglichkeiten - und doch war auch er am Ende machtlos gegen das unaufhaltsame Fortschreiten der Krankheit gewesen. Ärzte, Medikamente, all das hatte nichts genutzt. Jetzt war er tot.
Anders’ Hände klammerten sich fester um das Lenkrad, seine Augen starrten ins Leere. Freddy Mercury war nicht nur ein Star unter vielen gewesen. Seine Musik hatte Anders durch unzählige Nächte getragen, Nächte wie diese, in denen er sich durch die Schichten von Arbeit und Verantwortung gekämpft hatte. Nun war er fort und mit ihm ein Teil dieser unsichtbaren Konstante, die Anders getragen hatte, ohne dass er es je bewusst wahrgenommen hatte.
Aids war nicht länger ein fernes Phänomen, das sich irgendwo weit weg in den Nachrichten abspielte. Es war nah, greifbar, real. Die Krankheit hatte jemanden wie Freddy erwischt, und Anders spürte, wie sich ein leises Unbehagen in ihm regte, ein Bewusstsein der eigenen Zerbrechlichkeit, das er bis dahin erfolgreich verdrängt hatte. Das Mondlicht, das sich auf dem Wasser spiegelte, erschien ihm plötzlich weniger tröstlich, die Bewegung des Flusses weniger sanft. Die Gewissheiten, an die er sich bis dahin gewöhnt hatte, begannen zu bröckeln.
Der Rest der Fahrt verlief in einer sprachlosen Stille. Nur der Mond blieb. Hoch über Hamburg, stummer Zeuge der unaufhaltsamen Vergänglichkeit, die jeden Tag ein Stückchen näher rückte.
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