Der Schattenkasten
Kurzgeschichte
von Isensee
Die Stadt ist ein Schattenkasten, ein Ort voller abgerissener Stimmen und flüchtiger Lichter, die über das Pflaster zucken.
Ein Abend hängt sich über die Straßen, die Luft dick und feucht. Während ich durch die Gassen gehe, um in die Leere zu driften. Die Menschen, die ich passiere, wie abgestorbene Blätter, jeder Schritt ein verzweifelter Versuch, dem grauen Alltag zu entkommen.
Ich fand eine Bar Der Eingang war schäbig, die neonfarbenen Buchstaben flackerten über dem schmutzigen Fenster. Drinnen klangen die Stimmen verlockend. Ich trat ein und ließ die Welt hinter mir.
Der Geruch von billigem Alkohol umhüllte mich. In der stickigen Luft hingen Erinnerungen an Nächte, in denen ich die Seelen der Verlorenen gefangen nahm.
In einer dunklen Ecke saß ein Mann allein, ein Glas in der Hand, ein Anker. Sein Blick war abwesend, doch als ich mich näherte, richtete er sich auf. „Darf ich mich setzen?“ fragte ich. Sein Nicken war ein zustimmendes Ja.
Ich redete, meine Worte flogen über den Tisch, und ich sah, wie die Freude in seinen Augen wuchs, während ich seine Langeweile vertreiben konnte. In mir loderte das Vergnügen – ich war der Magier in diesem Spiel. Doch in mir nagte auch die Einsamkeit, die nie ganz verschwand.
Nach einer Weile schlug ich vor, frische Luft zu schnappen. Draußen war die Nacht still. Ich führte ihn zu meinem Auto, einem unauffälligen Wagen. „Komm, ich habe einen geheimen Ort, den du sehen musst“, sagte ich. Sein Gesicht leuchtete auf, eine Mischung aus Neugierde und Angst. Nichtsahnend war er in die Fänge eines Spiels geraten, dessen Regeln er nicht verstand.
Die Fahrt durch die verlassene Stadt war drückend still. „Wo gehen wir hin?“ fragte er. Ich lächelte, ein Lächeln, das nichts Gutes verhieß. „Das wirst du schon sehen.“
Als wir an einem abgelegenen Ort hielten, wo die Dunkelheit uns umhüllte, spürte ich die Spannung in der Luft. „Du bist jetzt in meiner Welt“, flüsterte ich. Seine Augen weiteten sich vor Angst, und ich genoss es, zu sehen, wie sich die Panik in ihm aufbaute. Ich stellte mir vor, wie ich ihn an den Rand des Abgrunds führte, nur um ihn dann zurückzuhalten, als er zu fallen drohte.
Ich ließ ihn aus dem Auto steigen und stellte ihn auf den schmuddeligen Boden. Er zitterte. „Du wirst hier nicht verletzt“, sagte ich. „Du bist nur ein Teil des Spiels.“ Dann verschwand ich einfach, beobachtete ihn aus dem Schatten.
Manchmal bleibe ich stehen und schaue zu, während sie begreifen, dass sie gefangen sind – die Furcht hält sie fest, wie ein unsichtbares Netz.
Einmal sah ich einen Mann, der zwölf Stunden an derselben Stelle verharrte, still und verloren. Ich dachte an die Schwäche, die er ausstrahlte, und wie leicht es war, sie für mein Spiel zu nutzen.
Jedes Mal, wenn ich zurückkam, schüttelte ich den Kopf über ihre jämmerliche Angst.
Es war der Höhepunkt meines Spiels: die Macht, die ich über sie hatte, und die Erkenntnis, dass sie, selbst in ihrer Verzweiflung, nie den Mut aufbrachten, zu entkommen. Die Stadt war mein Spielplatz, und ich der Meister der Angst, der unbemerkt durch die Schatten schlich, auf der Suche nach dem nächsten Opfer, das ich in die Dunkelheit führen konnte.