Plötzlich reich!

Grotesk-Zeitkritisches Drama zum Thema Erbe/ Testament

von  TassoTuwas

Ich dachte, mir gefriert das Blut und gleichzeitig durchfluteten mich Hitzewellen.

Ich ließ mich in den Stuhl fallen und atmete tief durch. Als die Buchstaben aufgehört hatten vor meinen Augen zu tanzen, las ich die Nachricht noch einmal, ganz langsam und noch einmal, noch langsamer.

Dann begriff ich.


Der Absender war eine Anwaltskanzlei in Panama-City und sie teilten mir mit, dass sie nach jahrelanger Suche in einer Erbschaftsangelegenheit endlich fündig geworden waren. Ich sei der einzige auffindbare Verwandte des Ernesto Gonzales Ibarra di Negrito. 

Der Verwandtschaftsgrad ergab sich durch eine gemeinsame Urgroßtante zweiten Grades von Mutters Seite, was die Suche in die Länge gezogen hätte, wofür sie sich entschuldigen möchten.

Die Angelegenheit könnte nun aber schnell abgewickelt werden, wenn ich auf den beigefügten Papieren die nötigen Angaben, die meine Identität bestätigten, nachweisen könnte.

Jedenfalls möchten sie mir schon jetzt zum Erbe, dessen Höhe sich aus Bargeld und Sachwerten in einer größeren achtstelligen US-Dollar Summe bewegt, herzlich gratulieren.


Es war der Beginn einer dreitägigen Achterbahnfahrt meiner Gefühle.


Mein erster Gedanke war, ich wollte reisen, um die ganze Welt und alle Plätze besuchen die mich lockten.

Als erstes San Francisco. Ich sah mich an Pier 39, mit Blick auf Alcatraz und weiter bis zum malerischen Sausolito am gegenüberliegenden Ufer, links die Golden-Gate-Bridge und hörte das Bellen der Seehunde. Als nächstes nach Buenos Aires, ein Besuch im Theater-Restaurant Carlos Gardel, auf dem Teller ein Tausend-Gramm-Steak, und danach die Tango Show und am darauf Tag mit Blumen zu Evitas Grab. Danach zum Vergleich des Geschmacks auf nach Tokio, das Steak des Wagyu-Rindes zu probieren, spannend wäre es auch ein Mahlzeit Kugelfisch zu wagen. 

Die Liste war lang und alles war möglich Kapstadt, Ulan-Bator, Honkong, Havanna.


Irgendwann schlief ich ein, als ich erwachte, regten sich Zweifel.


Reisen sind doch immer mit Strapazen verbunden. Schon im Vorfeld Impfungen gegen Gelbfiber und Tollwut, vergebliche Suche nach einem Sprachführer für Argentinisch, dann Hektik auf den Flughäfen, Kontrollen, Gedränge und Stoßen, Stunden im Flieger, Gepäckverlust, Zeitverschiebung, Jetlag und in manchen Ländern sollte man besser nicht fragen, was das auf dem Teller ist. Da meldeten sich schon erste Bedenken. Hatte es nicht erst kürzlich ein Erdbeben in Tokio gegeben, und in USA finden doch am hellerlichten Tag Schießereien statt.

Ehrlich, bei meinem Stammgriechen schmeckt es lecker, und in Bad Brückenau hat noch nie die Erde gebebt, und glaube auch nicht, dass es auf dem Tafelberg Kurkonzerte gibt.

Mir wurde klar, Reisen war nicht die Zukunft.


In der darauf folgenden Nacht hatte ich Schlimmes geträumt und ich wachte schweißgebadet auf.


Wie konnte ich den plötzlichen Reichtum vor der Welt verbergen. Früher oder später würde die Nachbarn davon erfahren, würde es sich herumsprechen. Die Anzahl meiner Facebook-Freunde würde sich innerhalb wenigen Tage von siebenundzwanzig um das Hundertfache erhöhen und stündlich weiter wachsen. Reporter würden Tag und Nacht vor dem Haus auf auf der Lauer liegen und die Post die Bettelbriefe im LKW anliefern. Und schlimmer noch, war ich erpressbar, hatte man doch einige längst vergessene fragwürdige Punkte in meiner Vergangenheit ausgegraben oder gab es schon Pläne mich zu entführen und drohten Lösegeldforderungen?

   

Das ganze Geld war nicht Segen, sondern ein Albtraum.


Am vierten Tag dachte ich über mein bisheriges Leben nach, und ich fand heraus, so schlecht war es gar nicht, die Rente war sicher, die Wohnung bezahlt, die Gegend ruhig und das Auto hatte erst 125 Tausend Kilometer auf dem Tacho und war gerade durch den TÜF. Brauchte ich eigentlich mehr?


Also schrieb ich einen Brief an die Herren in Panama-City, bedankte mich für ihre Mühe, und dass ich das Geld nicht brauchte, und ihnen die ganze Summe zu treuen Händen überlassen würde, wenn sie mir versprächen, das Geld unter den Bedürftigen ihres Landes zu verteilen. Klebte den Brief zu, warf ihn in den Kasten, und ging beschwingt nach hause.


Dann fiel mir noch ein, ich hatte etwas vergessen. So schickte ich noch schnell eine Ansichtskarte von unserem schönen Rathaus hinterher und bat sie, um eine Spendenquittung!


Das war vor drei Wochen und jetzt warte ich. Ich glaub sie haben viel zu tun.  

 


        

    

    



 


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Kommentare zu diesem Text


 Regina (21.11.24, 02:07)
Solche Briefe sind nur für die Selbsterkenntnis gut, damit man merkt, wovon man insgeheim träumt, hier das Reisen.
Sie schicken kein Geld, sie wollen nur deine Daten. Aber was wollen sie damit anfangen?

 AndreasGüntherThieme meinte dazu am 21.11.24 um 03:27:
Das frage ich mich auch.

Könnte man mit der Kontonummer und den Namen etwas anfangen, außer Geld auf das Konto zu überweisen, würde der Webmaster nicht seine verschiedenen Kontendaten veröffentlichen:

https://keinverlag.de/werbefrei.php

 Teo (21.11.24, 07:41)
Ach Tasso,
Geld Geld, immer nur Geld. Ach ne, komm, das macht doch nicht wirklich glücklich.
Villen, Jachten, schnelle Auto, freundliche Witwen, Schalke in der 
5. Liga....das macht glücklich!!!. 
Ich weiß noch, als vor 70 Jahren meine unglaubliche Lebensreise begann.
Ich fragte einmal eine unserer 
12 polnischen Hausangestellten in ihrer Landessprache: "Lonska di dubbeldi?"
Was soviel hieß wie:" Warum sind meine goldenen Windeln noch nicht gebügelt"?
Sie antwortete:" Drobga hobska brumm"
Was bedeutete:" Ich musste doch Euren Ferrari polieren!"
Du siehst, auch Reiche haben ihre Sorgen.
Bleib fröhlich, mein lieber Tasso
Teo
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