Es ist eine Frage des Vertrauens, die Vertrauensfrage zu stellen, sagt Mutti, denn man weiß ja nie, was dabei herauskommt. Und Mutti hat das Gefühl, dass keine Sau im Clan mehr auf sie hört und sie als Haushaltsvorstand noch achtet. Vatti latscht mit schmutzigen Schuhen durch das frisch gewischte Haus, die Kinder machen ihre Zimmer nicht sauber und einzig sie selbst räumt noch die Spülmaschine aus. Deshalb ruft Mutti nun das Familienparlament zusammen. Am Küchentisch.
Bernie, der zehnjährige Nachkömmling, der davon profitiert, dass seine Schwester Sandra schon in der Ausbildung ist und sein Bruder Dennis studiert, stellt eine Kerze auf den Tisch. Is gemütlicher, findet er. Bernie weiß jetzt schon, dass er zu Mutti halten wird. Denn er wächst anstatt in einer für den Dritten stets unbequemen Dreierkonstellation eigentlich wie ein Einzelkind auf. Und leitet daraus selbstverständlich gewisse Privilegien ab.
Als alle am Tisch sitzen, verkündet Mutti nicht ohne Theatralik: Ich bin schlecht bezahlt, habe keine Gewerkschaft, erwerbe keinerlei Rentenansprüche und sehe keine effektive und zielführende Zusammenarbeit mehr in der Gruppe. Kurzum: Ich bin nicht mehr euer Alpha-Dödel!
Fritzo, der Deutsche Schäferhund, wedelt erfreut und beginnt das Körbchen dieses elenden Mama-Dackels von der Heizung wegzuschieben und sein eigenes hin. Jetzt würde auch er endlich bei der Kälte mal einen warmen Popo haben. Der Dackel knurrt und springt in sein Körbchen. Sei vorsichtig, brummt Fritzo, wenn Mutti nicht mehr Alpha ist, dann weht hier ein anderer Wind, Junge!
Dennis, du könntest ja auch mal bügeln, beginnt Mutti ihre Tirade. Iiich? empört sich Dennis, ich bin doch kaum zuhause! Doch, du studentische Hilfskraft. Kannst dich freuen, dass wir noch einen Küchentisch haben, unter den du deine Beine stellen kannst. Der arme Noch- Vizekanzler Habeck hat scheinbar keinen. Muss seine Wahlvideos bei Freunden drehen. Also mach hier keinen Lindner und bügle bitte! Für alle? Ja, warum nicht, zürnt Mutti, mach ich seit Jahrzehnten.
Fritzo versucht nun, das Körbchen mitsamt Dackel wegzuzerren. Mutti brüllt. Fritzo! Lass es! Und der Schäferhund senkt den Kopf. Nee, abgewählt ist die Alpha noch nicht und sie ist schlecht gelaunt. Also Obacht! Der Dackel aber streckt sich genüsslich, trabt graden Rückens zu Mutti und legt sich unter dem Tisch auf ihre Füße.
Und Sandra! Auch, wenn du als Fast-MTA einen weißen Kittel trägst, musst du dir nicht zu fein sein, auch mal die Küche sauber zu machen. Wenn ich schon abends koche, damit wir alle noch gemeinsam essen können, dann bin ich nämlich auch mal müde. Iiich? fragt Sandra entsetzt, ich ess doch fast nix! Ja, das ist echt unfair, Mutti, wirft Dennis ein, du bist den ganzen Tag zuhause und wir arbeiten alle. Eben! stimmt Vatti zu und tätschelt dem Schäferhund den Kopf. Er weiß, dass jetzt das Müllthema kommt…
Ok, Leute, sagt Mutti erschreckend ruhig. Dann stelle ich euch jetzt die Vertrauensfrage. Ich entziehe euch das Vertrauen und schmeiße meinen Job hin.
Bernie nimmt Muttis Hand und flüstert: Ich geh mit dir, Mutti. Fritzo bewegt sich schleichend in Richtung Dackelkörbchen, nicht ohne Mutti im Augenwinkelblick zu behalten. Mutti wirft ihm eine leere Cola-Plastikflasche an die Flanke und brüllt: Fritzo! Verdammt – Platz! Und Fritzo legt sich beleidigt in sein Körbchen.
Vatti spricht nun präsidial: Ja, dann bitte ich jetzt um Vorschläge für die Neuwahl eines Familien- und Haushaltsvorstandes. Schweigen. Du, Vatti! sagt Sandra nach einer Weile und klimpert mit den Augenwimpern. Iiich? Nee. Hab ich keine Zeit für. Eure zahlreichen Termine koordinieren, den Haushalt führen, Urlaub buchen, den Garten machen, einkaufen, die Hunde ausführen. Das ist ja ein Fulltimejob! Da kann ich bei der Feuerwehr kündigen. Also echt - nä!
Ok, sagt Mutti lakonisch. Ich stelle fest: Dann wird diese Familie eben jetzt von einer Minderheitsregierung geführt.
Die beiden Hunde stehen fast gleichzeitig auf, stellen sich einträchtig nebeneinander und es sieht aus, als ob sie grinsen.