Hirschhornsalz - (Meine Moleküle)

Skizze zum Thema Weihnachten

von  Gabyi

Pünktlich Anfang Dezember zur Vorweihnachtszeit begann meine Mutter mit der Weihnachtsbäckerei. Jedes Jahr aufs Neue und immer nach dem gleichen Ritual. 
Sie schickte mich zuerst einmal zum Apotheker in die Hauptstraße. 
Zwei kleine Tütchen sollte ich dort kaufen, deren Ingredienzen seltsame Namen trugen. Ich dachte auf dem Weg zur Apotheke dabei, während ich die geheimnisvollen Namen vor mich hinmurmelte, an den Ofen der bösen Hexe von Hänsel und Gretel aus meinem Märchenbuch und an das wunderschöne Rentier, das auf meinem Adventskalender neben Knecht Ruprecht den Schlitten zog. Sein riesiges und prächtiges Geweih wurde abgesägt und zu Pulver gemahlen. 
Gemahlen zu Hirschhornsalz. 
Der arme Hirsch. Ich wurde traurig. Aber nur kurz, denn das andere Pulver tröstete mich schnell darüber hinweg. Ich musste an das bunte Lebkuchenhaus aus Grimms Märchen denken und an die gerechte Verbrennung der Hexe im Ofen. 
Das Pulver, das mich beschwichtigte, hieß Pottasche.
Pottasche besteht hauptsächlich aus Kaliumcarbonat und wurde früher aus Holzasche gewonnen. Dazu laugte man die Asche in Holzbottichen aus und dampfte die Lauge in Töpfen ein. Vorwiegend zur Herstellung von Seifen brauchte man es damals.
Die beiden Pulver gab es nicht im normalen Laden zu kaufen. Eine geheimnisvolle Aura umwehte sie allein schon deswegen. Ihre spezielle Aufgabe bestand darin, den Teig von Weihnachtsbäckereien in die Breite zu treiben und nicht in die Höhe. Das tat nur das normale Backpulver von Dr.Oetker. Aber meine Mutter wollte Lebkuchen backen. Braune Kuchen sagte sie dazu. 
Doch irgendein Fehler muss ihr beim Backen immer wieder unterlaufen sein. Jedes Jahr aufs Neue, permanent derselbe. Denn die Lebkuchen gingen in die Höhe und wurden nach ein paar Tagen steinhart - zum Zähneausbeißen. Das nahm meine Mutter aber gern in Kauf. 
Das andere Gebäck, das sie durch einen rostigen Fleischwolf zu drehen pflegte - den Teig natürlich - war dafür aber lecker und knusprig. Es hieß bei ihr "Essen und Kränze" und war eine Art Spritzgebäck in Form von "S"en und "O"s. Das Rezept hatte sie in einer Spezialausbildung erlernt oder es war von ihrer Mutter überliefert. Es benötigte auch Hirschhornsalz als Backtriebmittel. Heute würde man darauf achten, dass die Backtemperatur nicht zu hoch wird, denn es entsteht Acrylamid beim Erhitzen. Der Zerfall der Bestandteile in Kohlendioxid und Ammoniak ist allerdings erwünscht und verleiht dem Gebäck die lockere Konsistenz.
Das Hirschhornsalz an sich wurde früher durch trockenes Erhitzen von Horn, Klauen und Leder gewonnen. Das Geweih des Hirschen allerdings besteht aus Knochen.


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Kommentare zu diesem Text


 niemand (22.12.24, 18:19)
Dieses weihnachtliche Backen von Lebkuchen, oder Pfefferkuchen wie meine Schwiegermutter es zu ihren Lebzeiten nannte, erinnert mich an diese sagen wir mal Zeremonie. Wir bekamen damals diese Dinge Kartonweise von meiner Schwiegermutter. Ich mochte sie damals nicht so sehr, diese Plätzchen, oder Kuchen, wie man sie nannte und habe sie gerne weiter verschenkt. Heutzutage jedoch, wenn ich sie an den gekauften Backwaren bemesse, kommen sie mir doch köstlicher vor, weil sie mehr Geschmack hatten und irgendwie saubrer schmeckten, mit saubrer meine ich mit weniger Chemie belastet.
Heute hätte ich mich darüber sicher gefreut. Damals war ich noch zu jung
um dieses selbsthergestellte Gebäck zu würdigen ;)  LG niemand

 Gabyi meinte dazu am 22.12.24 um 21:26:
Danke, liebe niemand, für die Empfehlung :).
Habe noch eine weitere Geschichte in KV über Weihnachtskexe (Essen und Kränze)
https://keinverlag.de/480904.text
Ich mag selbstgebackene Kekse lieber als gekaufte, schon allein aus Gesundheitsaspekten.

LG, Gabyi
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