Das Baumhaus

Text

von  Saudade

Gerade musste ich an Pippi Langstrumpf denken, meine große Heldin, die sagte:


„Ja, die Zeit vergeht und man fängt an, alt zu werden“, sagte Pippi. „Im Herbst werde ich zehn Jahre alt und dann hat man wohl seine besten Tage hinter sich.“


Ja, sie hatte wohl recht, denn alles, was danach kam, war ein krampfhaftes Erwachsenen nachmachen und es später dann auch sein. 


Wie wohlig waren doch die Kindertage, besonders die Sommer, die wir hockelnd in den Wiesen verbrachten oder durch kleine Wälder marschierten. Auf unseren Häuptern drohnten Kronen aus Gänseblümchen oder Löwenzahn, die Buben hatten Indianerfedern vom letzten Fasching auf, brüllten und hatten Stöckchen zu ihrer Verteidigung in den Händen. 


An einen Tag kann ich mich besonders gut erinnern, wir begannen schon in den Morgenstunden mit den Arbeiten an einem Baumhaus. Thomas und Jürgen, die eineiigen Zwillinge, brachten Werkzeug vom Papa in das kleine Wäldchen neben unseren Reihenhäusern und wir rissen aus dem alten Zaun, der das Wäldchen zum Freibad trennte, Latten heraus, die schon ziemlich morsch waren. Karin hatte Bindfaden und Draht, sowie ein altes Laken mitgebracht und ich entwendete Töpfe aus Omas Schrank. Mit unserem Diebesgut kletterten die Zwillinge abwechselnd einen kleinen, aber doch stabilen Baum rauf und runter. Es wurde gehämmert und gesägt, am späten Nachmittag war es mehr eine Plattform als ein Haus, aber wir waren stolz auf unser Ergebnis. Jürgen spannte das Laken über Äste und nun war das Haus, eher die Höhle, fertig. Karin reichte die Töpfe Jürgen und der befestigte sie mit einem Bindfaden an seiner Hose, schepperte hinauf. Es war herrlich! 


Keine Stunde später krachte Thomas durch die morschen Latten, fiel drei Meter zu Boden, mit ihm die Töpfe, die auf seinen Kopf fielen, dort abprallten, brach sich zum Glück nichts, sah kurz sprachlos zu uns, dann lachten wir. 


Ja, wir waren enttäuscht, dass es nicht funktionierte, aber Jahre, nein, Jahrzehnte später, denke ich, dass es gar nicht um das Ergebnis ging, wir hatten so viel Spaß und Ernst in die Sache gelegt, es war ein wunderschöner Tag, den wir gemeinsam verbrachten, das zählte, sonst nichts. 


Thomas wurde übrigens Architekt. Seine Häuser stehen und es wohnen Menschen darin, keine Sorge.


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Kommentare zu diesem Text


 Aron Manfeld (15.02.25, 23:28)
Drei Meter sind doch nix, liebes Tschapperl.

 Saudade meinte dazu am 15.02.25 um 23:30:
Für kleine Kinder ist das ein Berg :) Im Ernst, zum Glück!

 AchterZwerg (16.02.25, 06:06)
Auch wieder im Lande? :)

Im sozialen Wohnungsbau scheint "dein" Thomas jedenfalls nicht tätig zu sein ...

 Lorolex (16.02.25, 09:40)
Ja damals, die Natur war voller schöner Gerüche und Eindrücke! Wir erlebten Abenteuer und wenn das Lied vom Wannsee kam, waren wir in voller Vorfreude auf den Tag an der Ostsee. Weihnachten und Ostern fieberten wir schon Monate vorher entgegen, ganz zu schweigen vom Geburtstag. 
Das kindliche Gemüt kann man sich bewahren, nämlich dann, wenn wir nicht den Normen entsprechen und uns erinnern an die schönen Tage früher und sie im Herzen festhalten.

Alex hat mit seinen Text "2. Pubertät" ebenfalls ein Hommage an die jugendlichen Jahre verfasst!

Kommentar geändert am 16.02.2025 um 09:49 Uhr

 Saudade antwortete darauf am 16.02.25 um 11:25:
:)

 Quoth schrieb daraufhin am 16.02.25 um 14:07:
dass es gar nicht um das Ergebnis ging, wir hatten so viel Spaß und Ernst in die Sache gelegt, es war ein wunderschöner Tag, den wir gemeinsam verbrachten, das zählte, sonst nichts. 
Konzept der Bau- oder Abenteuerspielplätze der 80er Jahre, leider durch stabil möblierte weitgehend verdrängt. Schöner Erinnerungstext!

 Saudade äußerte darauf am 16.02.25 um 14:13:
Danke. Ja, ich sehe auch mit Entsetzen die Veränderungen in meiner Umgebung.
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