Ganz gut

Text

von  Saudade

Ja, es lebt sich ganz gut, zumindest eine zeitlang, wenn man alles Schlimme ausblendet, Krieg, zum Beispiel, oder die Unfähigkeit eines Landes eine Regierung zu bilden, das geht, denn schlussendlich hat jeder sein eigenes Leben und eigene Probleme, nein, da ist keiner ein Egoist, schlussendlich sind die Pommesfresser schon Anfang der 90' vor dem Fernseher gesessen, sahen Bomben in den Abendnachrichten fallen und das verdarb keinem den Appetit. Wer anderes behauptet, der lügt. Das war alles weit weg und da war noch kein Smartphone, das im Sekundentakt Kriegsherde ins Wohnzimmer zauberte. Nur eine leichte Empörung, sodass (oder weil) der Opernball abgesagt wurde.


Die Schnur zog sich etwas enger um den Hals, zumindest in Österreich, als plötzlich "vor der Haustüre" Krieg war - sie nannten es nicht Krieg, sondern Krise, aber dann schepperte es an den Grenzen, dann war Schluss mit Lustig, das Nachdenken begann, wahrlich intensiv. Aber dann war alles wieder gut (es wurde nie wieder gut) und das Spiel mit dem Fernseher und "weit weg" begann von vorne. 


Jedoch, jetzt, mit Handy, steckt in jedem ein Experte, ich, um vom "man" wegzugehen, interessierte mich nicht dafür, ganz einfach, weil es immer schon war, hatte andere Sorgen. 

Ich verstand Krieg nicht, ja, er war mir zu hoch, deshalb blendete ich aus. 


Einmal kam ich nach einer Attacke in den Votivpark, die Verletzte war längst abtransportiert, der Täter, ein verwirrter Obdachloser, stach einer wildfremden Frau mit einer Gürtelschnalle (dem spitzen Teil) mit voller Wucht in die Halsschlagader. Am Boden war eine tiefe Blutlache zu sehen. Das traf mich tief, ich war nicht mehr fähig zu denken. Einfach eine wildfremde Frau zu attackieren, tatsächlich einfach so. 


So etwas bringt mich aus dem Konzept, jetzt verstehe ich etwas davon, habe es gelernt, bin geschult, aber begreifen kann ich es noch immer nicht. Das ist eine Miniaturform des Krieges, Wildfremde zu attackieren.


So, wie der irre Syrer, der nach seinem Messerattentat in Villach beim Brunnen saß und lachte. Das Foto zeigt eine sichtlich angespannte Polizistin von hinten, die ihre gezogene Waffe auf den Arsch richtet, den sie am Liebsten erschießen würde, ja, definitiv, ich ertappte mich dabei, diesen, nämlich meinen Gedanken, in ihren Kopf zu setzen. Nein, ich wollte noch nie Menschen erschießen, aber den wollte ich als Polizistin in dem Moment erschießen und keiner wäre böse gewesen, niemand, dennoch wäre ich wegen vorsätzlichen Mordes als Polizistin ins Gefängnis gekommen und der Typ ist es nicht wert, sein eigenes Leben wegzuwerfen, das dachte ich, dass sie dachte, was eigentlich ich dachte, aber vielleicht dachte sie es tatsächlich. 

Mich erschütterte beides, meinen Mordgedanken und das Attentat, das mehr. Lachte, tatsächlich und ein Vierzehnjähriger kommt nie wieder nachhause. 


Und nun schreien viel mehr, dass alle Syrer weggehören, auch die netten. Das kann ich nicht mehr ausblenden, es überschwemmt mich nun ganz. Der Krieg aus dem Fernsehen ist nun hier. Wir machen ihn mit Mordgedanken und Hass, ja, ich auch, aber ich mag nette Syrer, will nicht, dass die in einen Topf geworfen werden, dennoch, ich dachte als Geschulte, die stets neutral bleiben muss, an Mord. Das erschüttert mich enorm. Ich bin nicht besser als die sinnlosen Menschenhasser, die alle in den Topf schmeißen, ich wollte abdrücken, dies als Verwaltungspersonal, als fremde Person, um den Gedanken von mir selbst wegzubringen, aber das geht nicht. So fängt Krieg an, mit Hass auf Menschen. 


Der Krieg ist jetzt da, hier bei mir und ich muss mich damit auseinandersetzen und das ist unerträglich, es lässt mich nicht mehr schlafen, versetzt mich in Panik. Nein, ich brauche keine Generalin spielen und jeden Feldzug erklären, dies von fremden Kriegen, ich muss meinen eigenen Krieg im Kopf klären und wenn das jeder machen würde, gäbe es irgendwann keinen Krieg im Außen, weil die Lösung so schwer ist, dass jeder sehr lange nachdenken müsste und gar keine Zeit hätte, Krieg zu führen, es würden nur noch nachdenkliche Menschen herumlaufen. 


Wenn das Wörtchen wenn nicht wär.

Krieg beginnt im eigenen Kopf, das habe ich jetzt verstanden, nun kann ich daran arbeiten. Ich habe keine Zeit Krieg zu führen, ich muss darüber nachdenken, wie ich das Bild wieder aus dem Kopf bekomme und meinen abgrundtiefen Hass auf diesen armseligen Vollidioten. DEN, nicht alle, dennoch, einer reicht, denn viele haben einen und dann werden es viele, so ist's leichter abzudrücken. Ich kenne den nicht. Im Krieg kennt der Soldat sein Gegenüber auch nicht.




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Kommentare zu diesem Text


 Regina (18.02.25, 08:05)
Willkommen zurück.
Diesen Text finde ich gut, weil er sich mit den eigenen Reaktionen auf die gesehenen Nachrichten auseinandersetzt.
Gruß Gina

 eiskimo (18.02.25, 08:55)
Du verdeutlichst und machst bewusst, was auch in mir eigentlich abläuft angesichts dieser Bluttaten, die zur Zeit ja fast nach einem medialen Ritual ablaufen.
Da sagst auch, was man anstellt, um wieder "ganz gut" leben zu können.
Dein Text ist also ganz dicht dran an einer Wirklichkeit, die uns hin- und herreißt zwischen Wohlstand und tiefsten Abgründen.

 Saudade meinte dazu am 18.02.25 um 11:07:
Es ist natürlich mehr eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Hass, denn Hass schürrt immer Hass. Das darf nicht passieren, das ist ja, was das Gegenüber wollte.

Antwort geändert am 18.02.2025 um 11:16 Uhr

 Quoth (18.02.25, 08:57)
Ich glaube, Du wünschtest Dir beim Anblick des lachenden Messerstechers und der Polizistin unbewusst, dass es die Todesstrafe in Österreich noch oder wieder gäbe. Krieg hat wenig oder gar nichts mit persönlichem Hass zu tun, in den Krieg geht ein Soldat, weil viele andere es tun, weil er Angst vor Strafe und Schande hat, wenn er es nicht tut, kurz, weil es ihm befohlen wird und weil er hofft, zu denen zu gehören, die lebend davonkommen.

 Saudade antwortete darauf am 18.02.25 um 11:04:
Nein, das wünschte und wünsche ich mir nie, in keinem Land der Erde sollte es so etwas geben. Das war ein Gedanke an DEN und nicht an VIELE.

Antwort geändert am 18.02.2025 um 11:05 Uhr

 niemand (18.02.25, 11:12)
dieses ständige behaupten seitens der medien, das die menschen nur eines im kopf haben und zwar, dass alle ausländer/migranten abgeschoben werden sollen, ist ein propagandistischer unsinn, wird aber immer weiter wie ein mantra heruntergebetet und passt der regierung/der elite sehr gut in den kram. und zwar bietet es doch immer wieder ein alibi für die nicht abschiebung krimineller.
so kann man sich aus der verantwortung herausschleichen, indem man die
"schuld" dem volk in die schuhe schiebt. ein ganz schön mieser trick, der das versagen der regierung vertuschen möchte. lg irene

 Saudade schrieb daraufhin am 18.02.25 um 11:21:
Eigentlich nein, Irene, ich sehe den Hass im Facebook. Jedes zweite Kommentar spricht von Abschiebung aller und "die" und so weiter. Es war aber DER und bei euch war es auch immer einer, der tötete, nie alle. Was schon ist, es sind langsam einige. Das ist bedenklich, rechtfertigt aber nicht das Wort "alle".
Und ja, ich bin geistig bei dir, Regierungen gehören in die Pflicht genommen, denn Kriegstraumatisierte einfach "links liegen lassen" ohne Betreuung geht einfach nicht. Wie entsteht Radikalisierung? In erster Linie durch Langeweile oder wenig Perspektiven.

Antwort geändert am 18.02.2025 um 11:24 Uhr
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