ways
Erzählung
von minze
Ich habe am Abend schon beschlossen, dass ich außen vor bin. Ich werde nicht den Mut haben, etwas anderes zu tun, ich anerkenne, dass ich das letzte Paket Kraft aufgebe an Joscha und was wieder passiert ist. Mich bedrängen die Mails seiner Lehrerin. Ich finde keine Uhrzeit, um meine Mails zu lesen oder nicht zu lesen, jedes Mal ist es eine Lauer vor einem Ereignis, das sich überwirft mit dem nächsten, obwohl ich nicht fasse, was passiert und wieder und nochmal passiert und mich schon aufgehängt habe an der Garderobe mit den Schuhen, die ich ausziehe. Wann habe ich angefangen, Stoffschuhe ohne Socken zu tragen? Ich schwitze nicht mehr darin, als zu vermuten wäre. Ich finde den leichten Geruch sogar gut. Ich ziehe die Schuhe aus und habe die angenehme Feuchte, das Warme, Intime, was sich an mich schmiegt und gebe eigentlich den Tag ab, um 16 Uhr. Es wird so sein, dass wir, wenn die Kinder schlafen, uns kraftlos oder aufgerieben wahrnehmen in unserem Schock, oder in meinem Schock, ich halte den Schockmoment kurz und gerate ins Rotieren danach, Yann aber will hinschmeißen, er will hinschmeißen und ärgert sich, wenn ich mit ihm was erörtern will. Ich rotiere mit Plänen, sie gehen mir nicht aus, aber sie wachsen auch über meinen Kopf hinaus, sie machen es mir ganz schwindelig. Als Joscha Anna gebissen hat, grundlos schreibt Frau Männle, ist es das zweite Mal die Woche, Anna ist ein ruhiges Kind, das erste war Sandro, ich habe bei ihm innerlich nicht so geschwitzt, mit Anna ist es ganz schlimm für mich. Joscha ist enerviert, er ist durch von den vielen Ereignissen und auch zu erschöpft, es zu erzählen, er will sich ablenken, er will essen, er will spielen, er will Hörspiele hören, wenn er mich will, will er kuscheln, er will nicht reden, er will sich nichts anhören, ich will ihm alles geben und will zu ihm halten und will mit ihm reden. Ich will ihn hören und ihm was sagen, ich will alles besprechen und einen Plan machen, es ist ihm alles zu viel, wir werden laut, ganz laut, er schläft ein, ich wecke ihn auf, ich sage, dass wir zu Anna gehen. Ich unterschätze es manchmal, wie viel es ist und wie spät es ist, weil es mitten im Sommer ist. Es wird ganz spät erst dunkel und ich denke, so lange es Tag ist, müssen wir das regeln. Es ist komisch, weil ich eigentlich um 16:00 Uhr schon vorbei war. Schließlich bin ich aufgezogen, so auf klaren Zug, dass der Besuch mit ein paar Blümchen bei Anna noch gehen wird und ich danach umfalle.
Als wir bei Anna sind, ist es ihrer Mama unangenehm, im Badeanzug zu sein, sie holt schnell ein Handtuch, sie sagt mir, dass das ihr Familienbadeanzug sei. Wir sind willkommen, wir versuchen uns mit den Kindern zur Sitzecke zu setzen, Annas Mutter hat Wasser und Gläser da, ich nehme das sehr ernst als Gastfreundschaft und die Rührung darüber bringt etwas Normalität in diese Woche. Anna will Joscha gleich zum Pool nehmen, die Kinder sind etwas verschämt, über die Situation in der Schule zu sprechen. Wir sprechen viel an ihrer Stelle, aber sie bekommen raus, was war und dass Joscha meinte, Anna habe sich auf seine Hand gesetzt und Anna ihn nicht gesehen hat auf dem Lesesofa und sie beide sind erschrocken gewesen über das, was dann passiert ist und jetzt wollen sie eigentlich spielen und nicht mehr über die Schule sprechen. Annas Mama verspricht uns, dass Joscha bald mal zu Besuch kommen, in den Pool kann und ich sage ihr, dass er jetzt schwimmt. Er hat es wirklich gelernt.
Ich halte kurz inne, weil das auch passiert ist. Er hat schwimmen gelernt, manchmal bin ich ins Schwimmbad geflüchtet, wenn was war und manchmal war es auch noch dazu, oben drauf, neben allem was ist, der unbedingte Wille, dass Joscha diesen Sommer schwimmen lernt. Jetzt scheint es mir ein wichtiges Pfund.
Ich fühle mich schuldig, Joscha in die Schule zu begleiten am nächsten Tag und er ist froh. Er hat es abgehakt. Ich bin taumelnd; wie sehr wir den Schlaf brauchten. Er voller Kraft. Lange habe ich gedacht, ich muss ihn daheim lassen, ich halte es nicht aus, wenn die anderen Tage noch mehr passiert. Ich bin es aber, die zu Hause bleiben muss. Also lass ich ihn den Roller holen und ich nehme das Rad. Etwas verwundert, wie selbstverständlich er wieder in die Schule geht, fahre ich hinter ihm her. Er kennt so viele kleine Wege, die mir neu sind. Wir können aus unserer Straße hinaus fahren und dann die Hauptverkehrsader bis zur Ampel, bis zur einzigen großen Kreuzung, dann am Döner, Altenheim vorbei, direkt zur Schule hin, aber er geht ganz anders und mir erstreckt sich unser Dorf als Labyrinth mit allen kleinen Ecken, er erklärt es mir, blättert es mir auf als sein Dorf, seine Heimat, dort der Igel, da die Fallen, dann am Park vorbei, dort der Taco-Automat-den-du-nie-erlaubst.
Ich schlucke und weiß, warum ich will, dass er hier auf die Schule geht, ich nehme es trocken an als Gewissheit. Ich will eigentlich schon anfangen zu weinen, als tröstlichen Moment, aber ich lass es noch, ich gehe noch mit. Es ist so, wie auf dem letzten Klassenausflug, ich erscheine auf dem Pausenhof in einer Präsenz, die mir wie Trotz gegenüber aller Scham oder Peinlichkeit ist. Wir bleiben da, denke ich, ich bleib mit ihm da.
Langsam kommen viele Nachrichten zum Geburtstag, weil ich Geburtstag habe, ich liege im Bett und meine Nerven pulsieren auf und ab, ich beobachte sie, zum schlafen komme ich nicht ganz, aber ich döse und lass es abschwellen, es ist ein schöner Geburtstag, ich gebe bei der Arbeit Bescheid, dass ich nicht komme. Ein Grund ist auch, dass ich in diesem Zustand von niemanden einen Blumenstrauß bekommen möchte und keine Karte, von keinem Kollegen. Ich schlage Yann vor, der sich ruhig um den Haushalt kümmert, dass wir mittags Joscha und Mara holen und Pizza essen gehen. Weinschorle trinken, nicht korrekt sein, weil ich krank gemeldet bin. Er lächelt.