Flattern
Erzählung
von minze
Es muss ein Papiertuch sein, was zwischen uns ist. Das ist nicht logisch, eher sollte es ein straffer Vorhang sein, an einer Stange mit Ösen, das sind kreisrunde Ringe, an denen der Stoff haftet und an dem er zur Seite gezogen werden könnte. Wann eigentlich – wenn aus irgendwelchen Gründen der Raum vergrößert werden müsste, weil es nicht um die Separierung mehrere Patienten geht – vielleicht weil eine Familie gemeinsam verunglückt ist, ein Paar, eine Mutter und ihr Kind und sie so gemeinsam liegen in diesem Krankenzimmer. Also es gibt die Unterteilung, es gibt einen Stoff der Trennung, er soll eigentlich eine Wahrung der Privatsphäre, der Leiden des jeweils Einzelnen schaffen, denn jeder auf seinem Bett, in seiner Situation, ist geschwächt und muss in gewisser Hinsicht abwarten, muss es geschehen lassen und ist damit allein und zurückgeworfen und ganz absurd getrennt von dem, was er bestimmen könnte. So liegend wollen sie keine richtige Zusammenlegung. Oder man sollte sich einander nicht zumuten müssen.
Ich habe eine letzte Erinnerung an das eine Mal, als ich auf der wirklichen Intensivstation war, nachdem ich die Operation am Rücken hatte. Ich war gerade jugendlich, vier Jahre nach dem Tod meines Bruders. Die Operation war gelungen, das habe ich trotz des Schmerzmittels verstanden, trotz meines anhaltenden Dämmerzustandes, vielleicht im Morphium. Und mit einem Mal hat mein Herz angefangen zu rasen und die Geräusche des aufzeichnenden Apparates und die Hektik und die Messgeräte haben viel Trouble gemacht. Meine Mutter war in der Nähe und sie muss geweint haben. Entweder hat sie es gesagt oder ich – nicht noch ein Kind darf sterben. Und neben mir war eine alte Person, sie ist auch aufgewacht aus einer Operation, sie muss alt gewesen sein, weil sie ein Hustenbonbon nach dem anderen aus einer goldenfarbenden Dose nahm und mir welche anbot. Ich fand das sehr freundlich, aber konnte nicht einmal trinken, nur langsam mit dem Halm.
Vielleicht täuscht mich die Erinnerung, weil niemand nach einer Operation ein Bonbon lutschen kann. Als aber meine Mutter am schluchzen war und die Ärzte das mit meinem Herzen verstehen wollten, da wollte ich nicht, dass es dem Menschen neben mir zuzumuten sei, ich wollte, es gäbe eine Trennung, zumindest diesen Vorhang, dass er die scheiß Geräusche zwar hört, aber nicht rüberschauen muss, nur auf seine Dose schaut und abwartet und alle Untersuchungen und Beschwichtigungen gegenüber meiner Mutter diskret, abgeschirmt stattfinden.
Wir sind also getrennt von diesem Tuch, es scheint mir nur so hauchdünn wie die Auflage auf den Krankenliegen, die immer ausgetauscht werden. Vielleicht, weil die Abtrennung so provisorisch, zunächst angedacht ist, aber sie bewegt sich leicht, wann immer Pfleger kommen und gehen oder wenn das Fenster auf Kipp ist und bald geht mein Blick durch die Lücken, die entstehen, weil das Tuch in Streifen zwischen uns hängt.
Ich sehe dich und verstumme. Ich erkenne dich, wo ich dachte, vielleicht könne ich dich nicht erkennen, weil es so lange her ist. Aber in einer festen Gewissheit bist du es, sind wir nebeneinander gelandet. Ich versuche mich anzustrengen, versuche darüber nachzudenken, ob es nicht so wäre, eigentlich, dass man nach Geschlechtern getrennt in einem Krankenzimmer liegt, so wirklich kann ich aber nicht zuordnen, in welcher Art von Zimmer oder Einrichtung wir sind. Vielleicht gibt es andere Regelungen in Notfällen, Hospizen oder Krankenhäuser anderer Länder, es spielt auch alles keine Rolle mehr, weil ich abwartend bin und es keine Anstrengung braucht, das zu verstehen, jetzt sind nur diese Tücher und das hinüberspähen da. Wir fangen kein Gespräch an, aber ich glaube, es bewegen sich stumm die Lippen, auch der Blick wandert und mir ist, als wandere ich mit, als würden sich bewusstlos die Wege in mir ablaufen, in einer ähnlichen Bewegung wie sich dein Augapfel von links nach rechts dreht. Ich bemerke es als Erste, dass wir hier gemeinsam sind, da legt sich dein Kopf nach rechts, du bist zu meiner Linken und wir sehen uns an. Ich glaube, es ist vor allem Müdigkeit, aber auch ruhiges Erkennen. Es ist stumm und weich.