Das Gewissen

Gesetz zum Thema Wahrhaftigkeit

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Der Übermensch

Das Leben ist leicht. Es kann hart, schmerzvoll, tragisch sein, und es ist immer noch leicht. Erst das Gewissen verleiht dem Leben Schwere.


Das Gewissen ist ein Speichermedium für Ressentiments, es ist das personalisierte Gedächtnis. Erinnerungen werden darin nicht neutral und objektiv nach Wahrheit und Wichtigkeit, sondern immer im Bezug zur eigenen Person gespeichert.


Wer die doppelte Buchführung erfunden hat, hat, wie die meisten Erfinder, bloß bei der Natur abgeschaut. Das Gewissen speichert Schuldscheine und Gutscheine; weil die Schuldscheine gültig sind, solange die sich schuldig fühlende Person ihre Gültigkeit durch die Schuldgefühle anerkennt, ist die Schuld harte Währung. Die Gutscheine sind immer unsicher, da eine Person nie wissen kann, ob sie tatsächlich bekommt, was ihr nach ihrem Gerechtigkeitsempfinden zusteht.


Die uneingelösten Gutscheine verwandeln sich in Ressentiments. Diese berechtigen zum Hass, ohne sich dabei zu versündigen; berechtigter Hass wird ausgelebt und der Gutschein damit verbraucht. Doch hier denkt der Missratene, er würde den Gutschein dennoch für alle Ewigkeit besitzen. Er hat den Kuchen in Form von Hass (Versündigung gegen die Nächstenliebe, Übelwollen, eventuell Schadenfreude) längst gegessen, führt ihn aber weiterhin als einen Akitivposten. In den Seelenkellern der Missratenen stapeln sich gegessene Kuchen.


Die Schuld ist unmittelbar durch das Schuldgefühl wirksam. Deshalb werden Schuldgefühle benutzt, um andere zu beherrschen, zu entwaffnen oder zu schwächen. Die Sklaven bleiben durch ihre Schuldgefühle (wobei es hier eher die Furcht vor der Hölle ist) versklavt und erlösen sich nicht selbst durch den Freitod. Die mittelmäßig Missratenen werden durch Schuldgefühle zu moralisch besseren Taten angetrieben als ihre wahren Absichten (wobei es bei ihnen eine zum Schuldgefühl konditionierte Angst vor Strafe ist). Nur die Wohlgeratenen empfinden Schuld als Schuld: Reue, Bedauern, Selbstverachtung, und haben den Wunsch, die Zeit zurückzudrehen, und den unbedingten Willen, den Schaden wiedergutzumachen.


Auf dem Gewissen der Wohlgeratenen, das nach Reinheit strebt, parasitieren die Missratenen, indem sie ihnen Schuldgefühle machen. Manche der Wohlgeratenen, die weniger Geistig-Apollinischen und mehr Seelisch-Dionysischen, legen das Gewissen ab und befreien sich so von ihrer Schuld. Dann werden sie von den Missratenen als gewissenlos bezeichnet. Doch die Qual des Gewissens ist für einen Menschen, der wahrhaft nach seinem Ideal strebt, viel leidvoller als die dumpfe Angst der Ochsen vor dem Schlächter, ohne dessen Vorstellung sie sofort zu Verbrechern geworden wären.


Die Manipulation des Gewissens, der Missbrauch der Schuldgefühle, verursacht beim höheren Menschen so schweres Leid, dass er moralisch berechtigt ist, das Gewissen abzulegen, um weiter leben zu können: um nach der Selbstvervollkommnung zu streben, musst du am Leben sein. Dieser Zwangsabstieg vom Apollinischen zum Dionysischen ist bereits der Preis, den der Wohlgeratene für das Abwerfen des Gewissens bezahlt hat, und nun hat er das Recht, sich wie ein ungezähmtes Raubtier zu verhalten und rücksichtslos Gewalt gegen die Missratenen auszuüben: sie haben ihm bereits durch dieses Herunterziehen Gewalt angetan, und so kann er ihnen gegenüber nicht mehr schuldig werden.



Anmerkung von Jack:

3.2023

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Moppel.

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Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (27.02.25, 10:39)
Wollte nur mal sagen, daß ich (bis auf den Miezentext) alle Texte von Dir mit großem Interesse gelesen habe. In Anbetracht der geringen Aufrufzahl fragt man (-also ich) sich ja, wer die drei Leser wohl gewesen sind. Also der Graeculus, der Augustus und meine Verschwindigkeit sind auf jeden Fall darunter. Und was willst du mehr ...

Zum Hochbegabten fällt mir noch ein: nichts, außer bonoboisches Äffen.

 S4SCH4 meinte dazu am 27.02.25 um 11:09:
Ich würde gerne mehr lesen, aber es verhält sich so, dass, um bei diesem Text zu bleiben, dass es ein rigoroses entweder oder gibt und ein Bild von Reinheit eines Menschen beschrieben wird, der darüber erhaben sei. Vielleicht ist es einfach das wording, mit dem ich nicht warm werde. Das Problem ist nicht, dass es all das gibt was die ersten Absätze beschreiben (Schuld, Vorurteil, etc.), sondern das man sich anmaßt oder als Aufgabe macht, darüber zu stehen und das in vollem Wissen um Recht und Wahrheit (wobei diese Wahrheit streng logisch zu sein scheint und dem Begriff vieler Philosophen nicht gerecht wird). Frag mich nicht warum, aber man kann auch nicht verlangen, einen dritten Arm mit einem Auge zu haben, wobei das Konstrukt ständig mit einem Smartphone Geld für dich generieren. Also chemisch und genetisch zu experimentieren wäre etwas anderes. Versuch mal ein bisschen mehr "Swiftness" in die Texte zu bringen, ansonsten sind die Texte, für die Thematik und die Art der Verarbeitung okay.

Antwort geändert am 27.02.2025 um 11:14 Uhr

 LotharAtzert antwortete darauf am 27.02.25 um 13:31:
Jack ist halt ein Krim-Tartar und ich nur ein frommer hessischer Kartoffelbauer, der zum Vajrayana kam, wie die Jungfrau zum Kind  :D

 Jack schrieb daraufhin am 28.02.25 um 05:55:
Meine Ersatzarbeit für Meditation und Verbeugungswerk war als Autist in einer hysterionormativen Welt aufzuwachsen. Ständig reizüberflutet, immer beschämt, beschuldigt, hochfunktional-schwerdepressiv (jeden Tag unerträglicher Stress, der zu Zwangsneurosen und Suchtverhalten führt) geleistet, geleistet, geleistet, nie emotional zurückbekommen. Die wohlbehüteten Mönche sind dagegen ins gemütliche Kloster geflohen, während ich schon 42 Jahre in der Hölle auf Erden verbringe. Ich kam zur Erleuchtung so hochverdient wie Bayer Leverkusen zum ersten Meistertitel.

 LotharAtzert äußerte darauf am 28.02.25 um 13:30:
Die wohlbehüteten Mönche sind dagegen ins gemütliche Kloster geflohen, während ich schon 42 Jahre in der Hölle auf Erden verbringe
Jack, übertreibs nicht. Deine Kenntnisse bezüglich Tibets sind marginal und Du folgst der westlichen Tradition des Nachplapperns und Herabstufens, da es sich „nur“ um Lamaismus handelt. Was ist mit den vielen Yogis, die teilweise lebenslang in Höhlen sitzen, oder Nachts auf Friedhöfen herumstreifen, die unheimlich klingende Knochentrompetn blasen (Tschöd), um die Dämonen anzulocken, ihnen den eigenen Körper anbieten, wenn sie im Gegenzug den Dharma praktizieren, bzw. zu Schützer der Lehre werden. Was ist mit den vielen Mahasiddhas, denen Zeit und Raum nicht länger Hindernisse sind, sie dafür aber die Fähigkeit haben an soundsovielen Orten gleichzeitig zu erscheinen, Schnee und Eis nur durch Gedankenkraft und Visualisierung zum Schmelzen zu bringen und vieles mehr (Mahamudra)?

Und last but not least: die Erleuchtung. In der Schlußzeile eines Gebetes aus dem Guruyoga des Dzogchen heißt es „Der aus sich selbst entstandene vollkommene Zustand wurde nie erleuchtet und ist nie zu erleuchten“. – ich schickte Dir das früher schon einmal.

Ich kam zur Erleuchtung so hochverdient wie Bayer Leverkusen zum ersten Meistertitel.
Ja gut, da können Eintracht Frankfurt und ich nicht mehr mithalten. ... scheiß Spiel.
 
 

 Aron Manfeld (27.02.25, 13:17)
Wer hat die Doppelte Buchführung erfunden, Jack?

 Saudade ergänzte dazu am 27.02.25 um 13:19:
Die Italiener, leider.😂

 Jack meinte dazu am 28.02.25 um 05:56:
Die Natur, wie implizit drinsteht. Die Bankiers der Renaissance haben sie "nur" entdeckt.
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