Die B*rnitzerbande
Roman zum Thema Jugend
von Koreapeitsche
Einige Kinder waren härter als die anderen. Das waren die, die zuerst tätowiert waren. Das waren auch die, die zuerst etwas mit Drogen zu tun hatten und schlussendlich zuerst auf dem Friedhof lagen.
Es begann alles in der Grundschule, wo die Knirpse plötzlich anfingen, auf dem Schulhof Sieg Heil zu schreien und in kleinen Formationen über den Schulhof zu marschieren. Da waren wir vielleicht gerade sieben Jahre alt. Nachmittags trafen wir uns auf dem Abenteuerspielplatz. Viele bekamen alte Nazi-Parolen und Teile von NS-Liedern von älteren Familienmitgliedern beigebracht, die die Kinder auf diese Weise indoktrinieren wollten. Das waren unbelehrbare Altnazis, die am liebsten gleich wieder den Krieg aufnehmen wollten.
Wir spielten gerne Krieg auf dem Abenteuerspielplatz, imitierten die Geräusche von Bomben und Handgranaten mit einem „Buuum“, und die Geräusche von Maschinengewehren mit einem ä-ä-ä-ä-ä.
Ich lernte die B*rnitzerbande kennen, als deren Anführer mir mein allererstes Fahrrad klaute. Mein Vater schaffte es, das Fahrrad wieder auszulösen. Das imponierte der B*rnitzerbande. Fortan durfte ich Bestandteil ihrer Bande sein. Sie wohnten außerhalb in einem Dorf. Dort war ihr Wirkungskreis. Wenn ich mich mit der Bande traf, dann nur in dem Dorf. Dort bauten wir uns eine Höhle, die halb unterirdisch war, halb überirdisch, also aus zwei kleinen Etagen bestand. Dazu nagelten wir eine Tischplatte auf einen Baum, von dem wir die Krone gekappt hatten. Es war bloß lebensmüde, oben auf die Tischplatte zu klettern. Alles was die B*rnitzerbande machte, war der pure Wahnsinn und deshalb lebensmüde. Der Anführer war von der Dampferbrücke gesprungen und hatte sich dabei die Halswirbelsäule gebrochen. Das Springen von der Dampferbrücke war natürlich verboten, auch wenn es gut gehen konnte, sofern ins tiefe Wasser gesprungen wurde. Der Anführer der B*rnitzerbande sprang jedoch angetrunken kopfüber auf die Sandbank. Jetzt musste er monatelang ein Gipskorsett tragen, bei dem der Kopf an der Stirn fixiert war. Deshalb konnte er den Kopf nicht wenden, sondern musste jedes Mal den ganzen Körper drehen. Deshalb wirkte er wie ein Ritter in einer weißen Ritterrüstung. Da er der älteste in der B*rnitzerbande war, gab er auch die Befehle. Hinzu veranstaltete er Mutproben und Bestrafungsaktionen wie Auspeitschen mit gertenähnlichen Stöckern aus Haselnusssträuchern. Wir hatten alle Angst vor ihm, auch sein kleiner Bruder. Als die halbunterirdische Höhle fast fertig war, trug er uns auf, Katzen zu fangen und zu töten. Die Katzenköpfe sollten abgeschnitten und auf Metallstangen aufgespießt werden. Diese Metallstangen sollten links und rechts vom Eingang zur Höhle aufgestellt werden. Die Stangen hatten wir bereits auf Straßenbaustellen gestohlen. Jedoch traute sich niemand von uns eine Katze zu töten. Als der Anführer es erneut befahl, gingen wir los und hatten Speere und spitze Stangen dabei.
Ich stand einmal daneben, als der Anführer der Bande einem Jugendlichen in einem kleinen Waldbereich aus heiterem Himmel einen Zahn ausschlug. Der Zahn flog in einem Bogen wie in Zeitlupe durch die Luft und landete im Gestrüpp auf dem Waldboden. Da fing der Jugendliche an, nach seinem verlorenen Zahn zu suchen, während der Bandenchef schon den nächsten Jugendlichen anvisierte.
Mein Vater hatte zu Hause einen echten Morgenstern im Flur hängen. Als der Bandenchef davon erfuhr, wollte er ihn mal sehen. Ich war zögerlich. Doch eines Tages trug der Bandenchef mir auf, ihn mit zu unserem Erdloch zu nehmen. Ich wollte nicht so recht. Schließlich befahl er mir „Bring mir den Morgenstern!“ Da bekam ich es mit der Angst und nahm ihn von der Wand, um ihn dem Bandenchef zu bringen. Er sah sich ihn in Ruhe an, entschied, dass er ihn mit nach Hause nimmt. Ich sollte ihn nach ein paar Tagen wiederbekommen, wenn er ihn getestet hatte. Doch ich bekam den Morgenstern nie wieder. Mein Vater fragte mich, wo der Morgenstern sei. Ich sagte, den habe ich verliehen.
Einmal war ich dazu verdonnert, mit der Bande Frösche zu sammeln. Ich war noch nicht eingeweiht, was mt den Fröschen geschehen sollte. Schließlich gingen wir mit unseren gesammelten Fröschen auf den Feldweg zwischen Uhlenhorster Weg und Seekamper Weg. Wir hatten Pfeil und Bogen dabei. Nach halber Strecke auf dem Feldweg gingen wir durch den Knick auf den Acker. Hier holte der Bandenchef den ersten Frosch aus dem Eimer und legte ihn auf den Acker. Danach nahm er den Bogen, setzte den Pfeil auf die Sehne und spannte Pfeil und Bogen. Er zielte schräg nach unten auf den Frosch. Er wartete noch einen Augenblick und ließ das Pfeilende los. Zisch. Da steckte der Pfeil zur Hälfte im Acker und hatte den Frosch aufgespießt. Er schien tot zu sein. Das leblose Wesen wurde mit der Fußaußenkante vom Pfeil abgestreift, Pfeil und Bogen dem nächsten übergeben. Der Bruder des Bandenchefs war jetzt an der Reihe, einen Frosch zu erlegen. Der zweite Frosch wurde aus dem Eimer geholt und auf den Acker gelegt. Auch er traf den Frosch tötlich. Jetzt ging die Diskusson los, ob der Frosch es überleben würde, wenn der Pfeil den Frosch an der Maulspitze traf, sodass er am Unterkiefer wieder austrat. Ich kann euch nur sagen, der Nachmittag wurde eine ziemlich blutige Angelegenheit. Als ich Pfeil und Bogen erhielt und Bandenchef Olli einen weiteren Frosch aus dem Eimer holte, wurde so getan, als hätte ich Schwierigkeiten damit, den Frosch zu erledigen. Doch ich ging recht professionell ans Werk. Auch ich spießte den Frosch sauber mit dem abgeschossenen Pfeil auf. Es jedesmal ein dumpfes Geräusch. Der Bruder des Bandenchefs war sich sicher, dass der Frosch noch quaak machte. Das ging jetzt so lange weiter, bis alle Frösche tot und der Eimer leer war.
An ebendieser Stelle am Feldwegs bewarfen wir uns eines Tages mit Sandbrocken des Ackers. Es wurde immer nur ein Kind von den anderen zweien beworfen. Es war eine Art Mutprobe. Wenn das Opfer zu sehr zusammenzuckte, durften die anderen einen Schritt näher an ihn herantreten und die Distanz verkürzen. Das Spiel nannte sich Steinigen. Wir durften auch nicht Aua sagen. Das war problematisch, wenn ein paar Steine in den Sandbrocken waren.
Wir kauften uns alle Fahrtenmesser und Finnmesser beim Spielzeughändler, der ja ursprünglich ein Fahrradhändler war. Die Fahrtenmesser waren gefährliche Waffen, sehr scharf mit langen Klingen und Verzierungen auf dem geriffelten Griff und einer eingelassenen Metallplaketten mit einer symbolisierten Lilie. Sie erinnerten in ihrer Form an die Nazi-Dolche. Die „Finndolche“ waren sogar noch schärfer. Sie hatten einen Holzgriff und galten als ideales Werkzeug, um beim Angeln Fische auszunehmen.
Temporär waren die kleinen Mini-Axte im Verkauf, auf die wir sehr scharf waren. Das waren richtig kleine Hackebeile, mit denen wir auch werfen konnten, vor allem gegen Holzstämme oder auf Möbel. Sie hatten einen silberfarben Kopf und einen schwarzem geriffelten Griff - wie die Gummigriffe am Fahrradlenker. Der Bandenchef wies uns an, damit kleine Bäume zu fällen. Es waren junge Pappeln, die daran glauben mussten, deren Durchmesser zumeist nur 10 cm war, also bei rauher Oberfläche ein Umfang von gut 32 cm. Das war eine Menge Holz. Musste jemand pinkeln oder kacken, hörte er auf zu hacken und entferte sich tiefer ins Dickicht. Mit den kleinen Hackebeilen brauchten wir nur wenige Minuten, um einen dieser Bäume zu fällen.
„Jetzt bricht er!“
„Pass auf, dass du ihn nicht an Kopp kriegst.“
Doch meistens verhedderten sich die oberen Äste in den Nachbarbäumen, sodass wir den gefällten Baum an der Abrissstelle packten und aus dem Gestrüpp rausziehen mussten. Die Baumkrone wurde am obersten Ende des Stamms ebenfalls abgehackt und die Stämme aufeinandergelegt, bis wir einen kleinen Stapel von bestimmt 20 bis 30 Stämmen hatten, je ungefähr 5 m lang. Wir planten, an Ort und Stelle eine Hohle oder besser ein Blockhaus zu errichten. Doch das gefällte Holz verschwand. Es musste eine undichte Stelle gegeben haben, denn den Aufbewahrungsort kannten nur wir. Ich weiß nicht, ob der Bandenchef dahinter steckte. Wir versuchten noch die Spuren zu lesen.
Unser Bandenchef hatte unzählige kleine Penisse mit Fügeln tatowiert, die er bereitwillig zeigte, wenn er darauf angesprochen wurde. Die Penisse waren das Erkennungszeichen der „Flying Pissers“.
Auch am Hochsitz hackten wir rum, aber eher aus Langeweile, denn wir hassten die Jäger.