Qualia

Prolog zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Zhuang Jack

Kommunikation scheitert grundsätzlich. Die deprimierendste Erfahrung des Scheiterns der Kommunikation passiert nach einem guten Gespräch mit vermeintlich gelungener Kommunikation, wenn du später Anzeichen erkennst, missverstanden worden zu sein. Du fragst dich, wenn das Gefühl des Missverständnisses einseitig ist: habe ich mit einem Idioten geredet? Ein Kommunikationsidiot ist jemand, der nicht bemerkt, dass es ein Missverständnis gibt; er geht davon aus, das seine Perspektive, Interpretation usw. die einzig mögliche ist, und der Gesprächspartner selbstverständlicherweise nur das gemeint haben kann, was man selbst verstanden hat.


Wer das Scheitern der Kommunikation fortwährend feststellt, fragt sich zuerst nach strukturellen Gründen des Scheiterns (z. B. die vier Ebenen der Kommunikation nach Schulz von Thun: Sachebene, Beziehungsebene, Appell und Selbstoffenbarung; dazu die metakommunikative Ebene, für die die meisten leider entweder zu dumm oder zu verlogen sind (sie vermeiden Wahrhaftigkeit, sie kommunizieren, um zu manipulieren)). Diese sind bald erschöpft, da das Wesentliche für eine gelingende Kommunikation sich eben nicht im reibungslosen Funktionieren der vier Ebenen plus Metaebene erschöpft.


Was will denn der Kommunizierende mitteilen? Diese Frage ist voraussetzungsreich. Sie setzt voraus, dass es Mitteilbares gibt, das durch bloß strukturelles Gelingen der Kommunikation verloren gehen kann. Deshalb gilt unausgesprochen die Voraussetzung, dass der Sender und der Empfänger keine philosophischen Zombies sind, anders gesagt: dass beide die Erfahrung von Qualia haben. Qualia sind irreduzibel, womöglich singlulär. Qualia sind subjektiv, aber können sie auch intersubjektiv sein? Ist die Annahme, dass eins und dasselbe Qualium von zwei Subjekten als identisch erfahren werden kann, die intuitive Voraussetzung für Kommunikation? Würden wir ohne diese Grundannahme überhaupt kommunizieren wollen?


Natürlich ist hier die Kommunikation höherer Art gemeint, nicht die bloß funktional-transaktionale Kommunikation (eine telefonische Pizzabestellung, ein Kundengespräch, eine Wegbeschreibung, ja vielleicht sogar ein erheblicher Teil davon, was die kommunikative Arbeit eines Lehrers oder Arztes ausmacht: all das kann die KI inzwischen besser als der Mensch). Ein Kommunikationsidiot wiederum würde nicht begreifen, dass der Dichter nicht eine bestimmte Frau mit einem Arsch und zwei Titten meint, wenn er von seiner Geliebten spricht; diese bestimmte Frau kann sich durch ein Missverständnis für die Geliebte des Dichters halten, und borniert darauf bestehen, dass nur sie gemeint sein kann, weil ihr das Qualium dieser bestimmten Liebe nicht zugänglich ist.


Ist wahre Liebe überhaupt kommunizierbar? Um der ersten großen Liebe meine Gefühle zu offenbaren, hätte es nicht ausgereicht, stotterfrei zu sprechen, was mir damals mit 16 nicht möglich war. Hätte ich den elegantesten Liebesbrief verfasst oder die charmanteste Rede gehalten, bliebe das Qualium "Ich liebe dieses Mädchen" lost in translation. Jede wahre Liebe ist eine Besondere, denn es handelt sich damit um ein Qualium komplexer Art (ein Qualium einfacher Art wäre z. B. dieses bestimmte Rot oder Blau). Wenn das Mädchen ein philosophischer Zombie war, dann war nicht nur meine Verliebtheit, sondern auch das Erleben der gesamten Situation einseitig: es war außer mir keiner da. Wenn das Mädchen wirklich da war: (wie) hätte sie mich verstehen können?


Hier an einem Septembermorgen 1999, wenige Minuten vor Beginn der ersten Schulstunde hätte ich sie ansprechen können; ich hätte schweigend ihre Hand nehmen können und den gemeinsamen Schulweg mit ihr zusammen gehen. Und dann? Irgendwann hätte das erste Wort fallen müssen. Hätte es alles zerstört? War das Überholen des Mädchens durch schnelle Schritte und scheinbares Nicht-Wahrnehmen nicht bereits als das wahrzunehmen, was es war: ein leidenschaftliches Liebesgeständnis? Oder hätte ich auf dem Schulweg einen Smalltalk beginnen, nach ihrem Namen fragen sollen? Ich war aber nicht in ihren Namen verliebt. Können Qualia solch unbeschreiblicher Intensität überhaupt in Worte gefasst werden? Und können sie unkommuniziert bleiben, selbst wenn jede Art von Kommunikation vermieden wird?


Leider ist jedes manifeste Liebesgeständnis ein Herunterbrechen dessen, was gemeint ist, auf eine Ebene, auf der es mehr wahr ist. Der Liebende wird zusätzlich dadurch verletzt, dass er von ihn umgebenden Kommunikationsidioten auf die banale Ebene festgenagelt wird: vom noch unschuldigen, aber belanglos-banalen "Jack ist in Jennifer(?) verknallt" bis zum derben "Er steht auf sie/ist scharf auf sie". Das wahre Qualium der Liebe zu diesem Mädchen wird damit als entweiht erlebt, der Liebe wird die Unschuld genommen, die Tatsache des Verliebtseins zum Vorwurf gemacht. Das Beste und Höchste, das an komplexen Qualia möglich ist, wird, reduziert auf die Alltagsebene, zu einem gewöhnlichen zwischenmenschlichen Stoff für Tratsch. Allein das genügt für einen Suizid aus Verzweiflung vollkommen.


Die Preisgabe des heiligen Qualiums wird erlebt als Sünde, die die höchste Strafe fordert. Das Scheitern der (höheren) Kommunikation wird als das Scheitern des (höheren) Selbst erlebt, als ein Offenbarungseid des Ich: wenn mein höchstes Qualium auf ein banales und für die Mitwelt bedeutungsloses "Er ist in sie verknallt" reduziert wird, werde ich auf das Nichts reduziert. Meine Gefühle, mein Leben, mein Tod: eine Nichtigkeit. Hier bricht nicht das "Reale" in die Innenwelt des Subjekts ein, sondern Hegels "verkehrte Welt": das Höchste wird zum Banalsten, das Wesen zum Nichts, während das Nichtseiende sich als Richter über das höchste Sein erhebt. Als Erfahrung ist das nicht weniger als ein Tod Gottes.


Doch Gott ist nicht tot. In Träumen besteht die Möglichkeit, wie in Hegels Phänomenologie des Geistes die Verkehrung der verkehrten Welt des funktionalistischen/transaktionalistischen/NPC-esken Alltags zu erfahren. Qualia werden ohne Übersetzungsverluste kommuniziert, die ursprüngliche Ebene wird gehalten, Gesagtes oder auch nur durch Blicke oder bloße Gedanken Mitgeiteltes wird exakt so verstanden, wie es gemeint war. Mehr noch: es gibt einen Kommunikationsgewinn. Ich bin nicht in sensorischer Deprivation aufgewachsen, aber wie sich die ultrazarten Hände meiner elfenhaften Mieze anfühlen, kann ich unmöglich aus der Realität in die Traumwelt mitgenommen haben: als sie mich an den Händen nahm und aus einer lästigen Situation herausführte, war das ein neu erlebtes Qualium. Auch ihr tiefer und unbeschreiblich zarter Blick, mit vollkommenem Verständnis meiner Überforderung mit der Menschenmenge als Autist, aber ohne die geringste Spur des herablassenden Mitleids: das war eine Erfahrung von Angenommensein, von Verstandensein, von Zuhause, die ich nie vorher erlebt hatte.


Dadurch, dass wir unsere Qualia auf der Ursprungsebene teilen, werden sie nicht heruntergebrochen, sondern auf eine weitere Ebene erhöht, in ihrer Komplexität vertieft; es entsteht ein einzigartiges gemeinsames Qualium, das nur zusammen erfahrbar ist. Was mein Traummädchen mir im Traum gezeigt hat, halte ich daher für grundsätzlich möglich, egal ob die Begegnung in einem Traum, in der (besser: einer) Realität oder einer Simulation stattfindet. Es kommt nicht auf die technischen Bedingungen der Erfahrungsmöglichkeit an, sondern auf das Dasein des Bewusstseins. Neo und Trinity empfinden in der "Matrix" und in der "realen Welt" dasselbe füreinander. Im "13th Floor" hängt die Liebe der Protagonisten zueinander nicht davon ab, ob sie sich in einer Simulation, einer Simulation einer Simulation oder einer Simulation einer Simulation einer Simulation befinden: sofort wird intuitiv erkannt, ob er/sie der/dieselbe ist oder nicht. Und doch erscheint es uns als common sense, jene Realitätsebene für "wirklich real" zu halten, auf der höhere Kommunikation nicht möglich ist, auf der Qualia in der Übersetzung verloren gehen, und alles Geistige, Seelische, Mentale, Intentionale auf bloßes Funktionieren von Transaktionen reduziert wird, und zwar durch die (entropische?) Beschaffenheit der Realitätsebene selbst.


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