Das abgebrochene Interview bevor es begann

Erzählung zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  uwesch

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  BEGEGNUNGEN (Erzählungen, Short Stories),  Aus dem Leben gegriffen

Nach dem Telefonat vor drei Tagen und ihrer Verabredung zu einem Interview öffnete sie nach einem langen Moment die Tür ihrer Loft-Wohnung im renommierten Viertel Pöseldorf an der Außenalster. Hannes fühlte sich nach dem Eintreten und der Begrüßung gleich von der Atmosphäre angesprochen. Bequeme Möbel, ein weicher Berberteppich, überall waren Bücher, Bilder hingen an den Wänden. Es wirkte nicht wie die Wohnung einer Bankerin, sondern wie von einer Frau, die viel Zeit für Dinge hatte.

Er dagegen lebte, wie auch schon die Jahre zuvor, in einem Apartment in Eimsbüttel, dessen Einrichtung bereits zu Anfang nicht sehr elegant gewesen war und sich seitdem kaum verändert hatte. Das gleiche lange Sofa, dieselben Stühle und Lampen, derselbe weiß lackierte Tisch in der Küche, an dem er am Morgen rauchte, seinen Kaffee trank und, nachdem er die Zeitung gelesen hatte, im Radio seinen Lieblingsmoderator der Hamburg-Welle hörte. Dessen bissige Kommentare wiederholte er mit leicht heiserer Stimme vor seinen Kollegen in der Redaktion, eine Stimme, in der die Erfahrung anklang wie auch der Alkohol.
Sie hatte edle Züge, inzwischen vielleicht ein wenig zu faltig für ihr Gesicht, das ihr über Jahre erlaubt hatte zu sagen und zu tun was immer sie wollte, und das Geld natürlich.

Nachdem sie sich gesetzt hatten sagte sie mit lapidar klingender Stimme: „Ich heiße Leonore“, und zuckte mit den Achseln, als wollte sie sagen sie hätte den Namen nicht ausgesucht. Er war überrascht, dass sie sich gleich mit ihrem Vornamen vorstellte.

„Ich bin der Hannes“, entgegnete er und straffte seinen Rücken.

Auf dem Couchtisch bemerkte er eine Postkarte. Die Piazza Navona in Rom mit den drei Springbrunnen entlang der Mittellinie war zu sehen, daneben ein Foto von einer jungen Frau im Bikini und einem Bild von einem Pastagericht, das aus einer Zeitschrift ausgeschnitten war.

„T.T.T.“, sagte sie.

„T.T.T.?“
„Tempel, Titten und Tortellini.“

Er grinste und entblößte die Lücken zwischen seinen Zähnen. Vom vielen Rauch waren sie gelb eingefärbt.

„Bist duhhh das Leonore?“
Es fiel ihm etwas schwer, sie mit dem Vornamen anzusprechen.

„Ja.“

„Gut sahst du aus … damals … äh, sorry, natürlich siehst du auch heute sehr ansprechend aus … die Reife in deinem Blick.“

„Danke für die Lorbeeren, aber ich fürchte, dass ich meinen Zenit überschritten habe. Man kann sich nur eine bestimmte Zeit lang auf sein Aussehen verlassen, ich meine wirklich verlassen“, sagte sie.

„Da geht es wohl allen Frauen gleich“, sagte er, doch er wusste aus seiner Berufserfahrung, dass es Frauen gab, die immer interessant waren, auch wenn ihre äußere Attraktivität verblich.

Er schätzte ihre Aufrichtigkeit und dass sie offensichtlich nicht selbstmitleidig war. 

Endlich konnte er seine erste Frage zu dem Bankskandal ihres Arbeitgebers stellen. Er wollte wissen ob sie persönlich damit zu tun hätte.

„Unverschämtheit!“, schrie sie und stand abrupt auf.

„Wie reden Sie mit mir? … raus hier, aber schnell!“

Sie wies ihm die Tür. Er rappelte sich konsterniert auf und eilte von dannen. Auf der Straße schüttelte er sich aus, drehte sich eine Zigarette ohne Filter und sog ein paar tiefe Züge aus der Lulle, obwohl er sich gerade wieder einmal die Raucherei abgewöhnen wollte weil sein Arzt ihn ins Gebet genommen hatte.

Mit einem lauten „Scheiße“ auf den Lippen, bei dem sich ein Fußgängerpaar empört umdrehte, winkte er ein Taxi herbei.



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (23.09.23, 08:38)
so wie die alte reagiert
war sie darin wohl involviert
geschnitzt aus kaum so hartem holz
wie unser werter kanzler scholz! :) lg vom harzer

 uwesch meinte dazu am 23.09.23 um 11:20:
:)  Dank Dir für Kommi und Empfehlungen.
LG Uwe
Agnete (66)
(23.09.23, 10:35)
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 uwesch antwortete darauf am 23.09.23 um 11:25:
Gehörst Du zu den gestandenen Frauen?  
Ich denke schon - oder? Hast ja eine Katze, die Dein Leben begleitet  :)
Dank für Kommi und Empfehlung. LG Uwe
Agnete (66) schrieb daraufhin am 23.09.23 um 11:32:
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 Rosalinde äußerte darauf am 23.09.23 um 15:39:
Hallo Uwe,

die Reaktion der Frau ist mir verständlich. Sie ist fest davon überzeugt, dass ihr Chef nicht in die Sache involviert ist. Aus diesem Grunde kann sie nicht bereit sein, eine widersprechende Information aufzunehmen. Ich hätte diese Szene ein bisschen ausgebaut, sie den Chef verteidigen lassen. So dass sich das Gespräch bis zum Gipfel steigern würde. Sie will ja aus diesem Grunde das Interview, genauso wie er, der es aber aus anderen Gründen will. Die plötzliche Empörung ist für mich nicht ganz verständlich. 

Aber ansonsten ist die Geschichte gut geschrieben.
Nur eine Frage: Der Autor ist Nichtraucher?

Liebe Grüße, Rosalinde

 uwesch ergänzte dazu am 23.09.23 um 18:57:
Na ja, da könnte man eine längere und noch differenziertere Geschichte draus machen. Erst lasse ich sie mal so stehen und gehe vielleicht später noch mal ran.
Ja, ich bin Nichtraucher. Hab früher mal an Zigarillos rumgemacht, weil das in meinen Kreisen als chic galt.
Dank Dir für Kommi und Empfehlung. LG Uwe

Antwort geändert am 23.09.2023 um 18:59 Uhr
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