Rand-Erscheinung

Text

von  Jane_Doe

Unendlich viele Menschen drängen sich an uns vorbei, auf der Suche nach der besten Party, nach dem besten Schnaps, nach dem besten Fick.

Die Kleidchen sind kurz, die Beine lang und glatt. Viel zu junge Mädchen schmiegen sich an viel zu aufgepumpte Typen mit Goldkettchen, die unbeeindruckt weiter mit ihren Kollegen über andere Bitches quatschen.
Die letzten Sonnenstrahlen werden mit Tequila Gold runtergespült und die Sterne dann wahrscheinlich mit einer großen Kotzlache begrüßt. Die Bässe von einem Charthit drücken mich näher an dich ran. 


Will mich gerade gerne hinter, unter, in dir verkriechen. 

Was dachte ich mir dabei, mit hier her zu kommen? Menschenmengen stoßen mich ab, Dummheit und Eitelkeiten widern mich an.
Und doch steh ich hier. Mache gute Miene zum absurden Spiel um mich herum. In einem Moment sind wir alle Freunde, im nächsten klappt das Messer in der Tasche auf und steckt kurz darauf bei jemandem in der Leber oder im Herzen. Wegen einem Blick, einem Satz. Wegen nichtigen Wichtigkeiten.

 
Ein zwei Meter großer Jungspund in Adidas pöbelt ein Pärchen an, will dem Typen einen einschenken. Bläht sich auf, gockelt laut um ihn herum. Die weibliche Begleitung verfällt in Hysterie und schreit Passanten um Hilfe an. 

Du bleibst stehen, du Gutmensch. Willst eingreifen. Ich ziehe dich weiter, versuche mein nachsichtiges Grinsen zu verstecken. Nicht unser Bier. Das gehört zum Mann werden. Außerdem stehen die Cops nur 5 m entfernt. 

Wenige Schritte weiter zerrt eine Dame des späten mittleren Alters einen sichtlich jüngeren Herren torkelnd ins Gebüsch. Da lernt wohl jemand segeln. 


Wir wenden uns ab, gehen etwas abseits. Ich atme durch. Verschlucke fast eine Mücke.

 
Die uns entgegenkommenden Leute mustern, begutachten, starren uns an. Schauen auf unsere ineinander verschränkten Hände. Bei unseren kleinen Zärtlichkeiten erröten sie, schauen kurz weg und beobachten uns trotz gesenkten Blickes weiter. Männer johlen, als ich dich im Arm halte. Mädchen tuscheln, als du meine Schulter küsst.


Meine Zündschnur beginnt zu zischen.

 
Du hältst meinen Kopf, willst mich auf dich fokussieren. Legst deine Stirn an meine und flüsterst mir ruhige Worte entgegen. Die Augen geschlossen, genieße ich deinen Atem auf meinem Gesicht. Versuche alles auszublenden.

 
Irgendwer rempelt mich an und mault mich voll, warum ich so dämlich im Weg stünde.
Du willst mich wegziehen. Aus dem Weg. Wie schon den ganze Zeit über, als du jedem und allem ausgewichen bist und mich dabei teils unsanft mit der Hüfte an den Rand drängtest.

 
Ich bin kein Randmensch.

 
Meine Hand schließt sich bestimmt um deine und lässt dich nicht ausweichen. Der Rempler kommt immer näher und beschimpft uns. Seine Fahne weht mir aggressiv ins Gesicht. 


Komm. Noch n bisschen.

 
Wir sollen uns verpissen. Asoziales Volk. Damals (und jeder weiß, wann er meint) hätt’s das nicht gegeben. Was sollen denn die Kinder denken? Wir sind für den Untergang Deutschlands verantwortlich. Konservativer, braun angestrichener Schwachsinn ergießt sich über mich. Mein Schweigen und leichtes Lächeln spornen ihn an. Er beginnt mich zu schubsen. Deine Hand zittert, du bist das alles nicht gewohnt. Willst weg. Ich lasse dich los und befreie damit uns beide.

 
Wir fallen in unsere Rollen zurück. Du gehst an den Rand und willst ihn argumentativ überzeugen. Dass ja alles gar nicht so wild wäre und wir ja alle nur einen schönen Abend verbringen wollen, und ob wir nicht einfach weitergehen können. Das letzte ist auch an mich gerichtet.


Ich stehe vor ihm, den Kopf erhoben, stoisch schweigend.

 
Mehrere Leute pirschen sich langsam an uns heran, abständig und warten, was passiert.
Mittlerweile steht der Typ mit mir Stirn an Stirn. Wie wir beide vorhin. Auch seine Stimme ist leiser geworden. Er zischt mich nur noch an, was ich wolle, ob ich’n Problem hätte, ob ich Streit suche.

 
Kein Wort, keine Regung von mir. Mach schon.

 
Er gibt mir eine Kopfnuss. Es dröhnt im Schädel. Du schreist auf, schreist um Hilfe. Wie das Mädchen vorhin.

 
Ich nicke. Gehe auf Abstand zu ihm. Er kommt hinterher. Ob ich jetzt genug habe? Ich ramme meine Faust auf sein Jochbein. Mein Knie in seine Rippen. Mein Schienbein gegen sein Knie. Als er wie ein nasser Sack zu Boden geht – Don’t drink and fight – nehme ich ihn in den rear naked choke und zähle bis 10. Er greift nach meinen Klamotten, nach meinen Haaren, kratzt mir den Unterarm auf. Keiner hält mich auf. Er wird bewusstlos und ich lege ihn vorsichtig auf den Boden. Gleich wird er wieder da sein.

 
Du stehst am Rand, Tränen laufen aus deinen aufgerissenen Augen, dein Mund zittert. Ich streiche dir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht und küsse dich auf die Nasenspitze. Die Leute starren schon wieder.

 
Es ist nicht immer solch ein Kampf.

 
Aber ich werde mich nie freiwillig an den Rand stellen.



Anmerkung von Jane_Doe:

Puh, der Text ist alt - über 10 Jahre. 

Und auch wenn ich ihn heute so wahrscheinlich nicht mehr schreiben würde, bringt er bei mir noch irgendetwas zum Klingen... Komme nur nicht drauf was es ist.

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