Tüten-Glück

Lyrischer Prosatext

von  Jane_Doe

Was vom Tage und dem Leben übrigbleibt
ist maximal ein verschlissenes Blatt Papier.

Die letzte To-Do- Liste
-Milch
-Kaffee
-Arzttermin 16.15Uhr
-Glück finden und damit sterben

Immer vergess‘ ich die Milch.

Ich nehm‘ mir mein kleines Päckchen Glück,
normiert im 9g Papiertütchen,
mehr war für mich nicht drin,
und bereite es nach Anweisung zu.

Mit dem letzten 100 Mark Schein
- 50 läppische Euro -
ziehe ich es hoch
und:
Beam me up, Scotty!

Nach kurzem Ab- und Wegtreten
stelle ich fest, dass ich allein bin.
Allein mit mir und meinem
in den Schleimhäuten klebenden
Glück.
Aber ich bin. Hier. Atmend. Pulsierend.

Mein Glück
9g in Papier
scheint zu wenig zu sein
zum Leben und zum Sterben.

Ich nehme
nasenblutend
die Verpackung in die Hand,
überfliege die Anleitung
und bin mir keines Fehlers bewusst.

Fühle mich vom Leben
und vom Tod
und allgemein
beschissen.

Ich nehme mir ein Tempo
schlurfe zur Liste
und radiere das Häkchen
vom Glück wieder weg.

Beim nächsten Mal dann.

Ich muss dringend an die Milch denken.



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Kommentare zu diesem Text


 S4SCH4 (31.05.25, 16:29)
Derartiges Glück findet sich in keinem letzten Moment, sofern dies der Wunsch von Glücksverehrern sei, von solchen die es herausforderten. Denn, so wie es im Text beschrieben daherkommt, ist es eine Entschuldigung für gescheiterte Versuche und vergessenen Kram (auf Listen) im Leben und niemand wird dies mit Glückseligkeit quittieren, nicht einmal der liebe Gott, außer, ja das ist das perfide und listige: außer du willst es gar nicht, dieses Glück. Dann gibt es tatsächlich eine Chance! Worauf? Warum? Klar, nur um ein letztes Mal vom Gegenteil zu überzeugen und nicht dumm, sondern reuevoll, zu sterben.

Warum schreibe ich diese unsachgemäße Bedienungsanleitung als Kommentar? Einerseits dein Text, andererseits: Ich habe mir vor nicht wenigen Tagen in etwa die gleiche, oder eine vergleichbare Frage gestellt, nämlich, ob ein einziger glücklicher Moment im Auge des Todes dazu ausreiche, um ein letztes Mal milde und zufrieden über das gesamte eigene Leben zu blicken, während man so viel Unglück einfach vergisst oder besser gesagt: es sich fügen ließe. Ich bin gespannt.

 Jane_Doe meinte dazu am 01.06.25 um 13:24:
Vielen Dank für Daumen und Empfehlung. 

Zu deiner Frage (Triggerwarnung):
Wie unglaublich gemein wäre es, wenn ein kleiner Glücksmoment, kurz vorm endgültigen Ausscheiden, das bisher bescheidene (und vielleicht nun mittlerweile ungewollte) Leben in ein wärmeres, weichgezeichneteres Licht rücken würde, als das was man vorher empfand (und sich evtl. für entsprechende Maßnahmen entschied). 

Ich hoffe eher, dass im letzten Moment sich einfach ein Gefühl von "passt schon" einstellt. 

Vielleicht sollte man das allgemein als Basis-Glück annehmen. Hätte ja auch schlimmer kommen können ;)
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