Mbappé und andere Heilige

Essay zum Thema Religion

von  eiskimo

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Die Kathedrale Saint-Lazare im französischen Autun ist kein buddhistischer Tempel. Wäre sie einer, trüge man für eine Besichtigung respektvolle Kleidung, am Eingang zöge man brav die Schuhe aus und im Inneren wäre man leise.

Man brächte wahrscheinlich auch nicht die Reste seiner Pizza im Pappkarton mit, man hätte das plärrende Kleinkind zu Hause gelassen und das Smartphone  rechtzeitig stumm geschaltet.

Ja, Saint-Lazare ist halt nur ein katholisches Gotteshaus. Es kostet keinen Eintritt. Domschweizer gibt es nicht, und die alte Frau, die an einem Bücherstand ein paar Postkarten verkauft, ist eh völlig hilflos. Zur Mittagszeit an einem Ferien-Wochenende, da gibt es in dieser burgundischen Kleinstadt tatsächlich so etwas wie touristischen Andrang.

Deswegen spazieren zwei verschwitzte Mountainbiker mal eben durchs Seitenportal, ihre Trinkflaschen um den Hals. Die Adapter ihrer Klickpedalen schrappen über die Tausend Jahre alten Bodenplatten.  Zwei Fotografen diskutieren laut über den zu wählenden Standort, um die Kapitelle formatfüllend abzulichten, während ein Ehepaar mit Kind schon die Selfie-Pose vor der Mutter Gottes eingenommen hat – es blitzt mehrfach.

Zwei junge Frauen in bunten T-Shirts huschen vorbei. Die eine trägt die Nummer 7 mit „Mbappé“ , die andere das Tournee-Programm von Nirwana spazieren.

Was sie in dieser Kirche wollen?  Vielleicht die Top-Ten von Autun abklappern, die sie vorher kurz mal bei Tripadvisor eingesehen haben?

Anders gefragt: Wo ist das Sakrale geblieben? Wo das Bedürfnis nach Tiefe?

Saint-Lazare ist über 900 Jahre alt. Viele Jahrhunderte lang waren ganze Pilgerströme nach Autun gekommen; die Leute hatten erhebliche Strapazen hinter sich, bevor sie vor den Reliquien des Lazarus beten konnten, um Stärkung bitten oder um Trost.

Alles nur Hokuspokus, würden wir heute sagen. Religion als Mittel, das Volk hörig zu machen. Wir sind ja inzwischen  Gott sei Dank (?) aufgeklärt. Wir tragen Nirwana- oder Mbappé-Hemdchen und vergöttern nur noch uns selber… per Selfie.

Nochmal: Wo ist das Sakrale geblieben?  Keiner, der in Saint-Lazare an diesem späten Ferien-Vormittag etwa niederkniet. Keiner, der eine Kerze anzündete. Die Beichtstühle: Leer. Ein paar nutzen immerhin den Audio-Guide, der ihnen die Kunstgeschichte der Location darlegt. Insbesondere Gislebertus, der 1135 das Tympanon über dem Haupteingang geschaffen hatte. Thema: Das Jüngste Gericht.

Das Mütterchen vom Bücherstand schließt ihre kleine Auslage. Mittagspause. Bevor sie die Kathedrale verlässt, hält sie kurz am Weihwasserbecken inne. Sie blickt etwas traurig zurück in dieses gewaltige Kirchenschiff. Dann macht sie das Kreuzzeichen.

Draußen ist ein gutes Dutzend Motorradfahrer vorgefahren. Satter Sound vor Saint-Lazare. Viel schwarzes Leder. Ob die Biker etwa auch noch in die Kirche gehen? Nein. Keine Option. Sie steuern direkt die Pizzeria am Vorplatz an.  Da boxt schon der Papst.





Anmerkung von eiskimo:

Saint-Lazare ist nur ein Beispiel für das vielfach zu beobachtende spirituelle Abflachen und Entzaubern.... Was lernen unsere Kinder?

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Kommentare zu diesem Text


 Teo (01.06.25, 10:31)
Moin,
Interessantes Essay.
Gefällt mir.
LG
Teo

 eiskimo meinte dazu am 01.06.25 um 11:18:
Danke, Teo. Und einen schönen "Tag des Herrn"!

 AchterZwerg (01.06.25, 11:25)
Ach, eiskimo, ick lieber dir! 
Nur als  Zwerch und allenfalls als LyrIch, also keine Sorge.
  
Vorigen Samstag ist mir Ähnliches in Strasbourg sauer aufgestoßen: Es "lief" die Heilige Messe im Münster, durch mehr als notwendige(!) Absperrungen vom unaufhaltsamen Strom der Touristen getrennt; es gab herzzerreißend schöne, anrührende Gesänge und

uns.

 eiskimo antwortete darauf am 01.06.25 um 12:42:
Danke,  ich freue mich über unsere Parallelen...
Immerhin  merken wir noch, was da Wertvolles weggebrochen ist. Ich will damit keine Lanze brechen für die katholische Kirche...
LG

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 01.06.25 um 18:41:
Bin ja ebenfalls kein bisschen katholisch, finde manche Geschehnisse aber extrem geschmacklos.
Damals, als die Christen den "Heiden" ihre Heiligen Eichen gefällt hatten, wäre ich genauso empört gewesen.

Das Schlimmste daran, ist, dass wir irgendwie mittendrin zappeln.  :(
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